TV-Kritik Zweite Rassismus-«Arena»: Kaum einen Schritt weiter

Von Gion Mathias Cavelty

19.6.2020

Nach einem komplett verunglückten ersten Anlauf versucht es SRF mit einer zweiten Rassismus-«Arena»: Bluewin-TV-Experte Gion Mathias Cavelty hat sie sich die Sendung angeschaut – und vermisst immer noch Greifbares.

Freitagabend, 18.43 Uhr: Der Link zum brandaktuellen «Arena»-Live-Stream ist da; nach einem Klick kann ich auch schon direkt ins «Arena»-Studio schauen.

An einem runden Tisch in der Mitte sitzen die vier dunkelhäutigen Gäste der Sendung: Angela Addo (Mitorganisatorin der Kundgebung «Black Lives Matter»), Gabriella Binkert (Unternehmerin und SVP-Präsidentin Val Müstair), Fatima Moumouni (Spoken Word Poetin) sowie Jovita Dos Santos Pinto (Kulturwissenschaftlerin und Mitgründerin Netzwerk Schwarzer Frauen «Bla*Sh»).

«Wir haben verstanden – ich habe verstanden», eröffnet Moderator Sandro Brotz die Diskussion, «wir reden noch einmal über Rassismus. Nicht, ob es ihn gibt – auch in der Schweiz. Nein, wir müssen darüber reden, was wir alle zusammen dagegen machen können.»

Das klingt super! Wollen wir mal schauen, was am Schluss tatsächlich an Konkretem herausgekommen ist. Die letzte Ausgabe der «Arena» war diesbezüglich (und nicht nur diesbezüglich) ein Fiasko – nach den Eingangs-Statements seiner Gäste meint Brotz dieses mit «Erstens Titel, zweitens Zusammensetzung, drittens zu wenig konstruktiv» treffend umrissen zu haben.

«Wir machen die Ohren ganz weit auf heute!», unterstreicht Brotz noch einmal seinen guten Willen ganz, ganz deutlich. Und daraus muss doch einfach etwas ganz, ganz Gutes resultieren! Nicht nur Blabla, sondern …

Aber oha! Worüber wird im Folgenden ausführlich diskutiert? Genau: Ob es Rassismus in der Schweiz gibt.

Tatsächlich werden wieder alte rassistische «Globi»-Geschichten hervorgekramt; traurige Gemeinplätze wie «Rassismus ist in jeder Kultur verankert» werden beackert; es wird noch einmal dem Sprecher von Republican Overseas Switzerland Sendezeit eingeräumt, der vor einer Woche punkto dunkelhäutiger Menschen gesagt hatte: «Sie haben nicht das Recht, NICHT beleidigt zu werden».

Und immer, immer wieder die Feststellung: Es gibt Rassismus in der Schweiz!

Silvia Binggeli, frühere Chefredakteurin der «Annabelle»: «Wir müssen nicht darüber diskutieren, ob es Rassismus in der Schweiz gibt. Aber man muss jetzt zusammen konstruktiv schauen, wie man Lösungen dafür findet.»

Gerne!

Fatima Moumouni: «Ich habe schon Tausend Mal gesagt: Es gibt Rassismus in der Schweiz! Ich würde gerne einen Schritt weitergehen.»

«Es gibt Rassismus in der Schweiz! Ich würde gerne einen Schritt weitergehen»

Yessss!

Auch statistisch/gefühlt statistisch wird immer wieder untermauert: Es gibt Rassismus in der Schweiz! («Jede dritte Person klagt über Rassismus»/«Meine schwarzen Kollegen fühlen sich nicht sicher, wenn die Polizie da ist», et cetera.)

Doch was ist mit dem SCHRITT, den doch alle so gerne weitergehen würden?

Zurecht definiert sich die Diskussionsrunde als Zusammensetzung von Dunkelhäutigen, «die ein Schlupfloch gefunden haben», also «etwas sind»; und um diese gehe «es nicht, sondern um die, die es nicht geschafft haben» (Moumouni).

Wo sind die, die es nicht geschafft haben?

Doch wo sind die, die es nicht geschafft haben? In der heutigen «Arena»-Runde auf jeden Fall nicht. Sie wird vom dunkelhäutigen Musiker Manuel Gagneux als «Parallelgesellschaft» und «Safe Space» kritisiert.

Nach 75 Minuten ist die Sendung zu Ende – was ist an Handfestem herausgekommen? Kann man die immer gleichen Vorschläge ernsthaft als Handfestes bezeichnen: Aufarbeitung in Schulbüchern («Die zentrale Rolle der Schweiz im Kolonialismus; bis Mitte der 60er-Jahre hatten wir Menschenzoos – wer weiss das? Das darf nicht totgeschwiegen werden!», Zitat Moumouni) – «am gegenseitigen Respekt arbeiten» – «die Wahrnehmung schulen» – «viel mehr sensibilisieren» (die Frage etwa, «woher jemand komme», könne nicht nur naiv-neugierig sein, sondern «je nachdem schlimme Auswirkungen haben», Zitat Dos Santos Pinto) – «die Richtlinien, wie Leute eingestellt werden, ändern» …?

Oder ist der klügste Vorschlag nicht der von Fatima Moumouni: «Ich habe oft gelesen, dass Leute sagen: ‹Man weiss ja gar nicht, was man heute überhaupt noch sagen darf› – ich glaube, dass Unsicherheit auch etwas Positives ist; dass sie uns hilft, noch einmal zurückzugehen und zu schauen, was ist eigentlich erlernt und warum ist es so … Ich plädiere für mehr Unsicherheit. Lassen Sie Unsicherheit zu!»

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