Faszinierende Selbstdemontage Trash-TV erreicht neue Tiefen

Von Lukas Rüttimann

12.10.2020

Vom Werbeträger zum Gesicht von Mobbing und Hass: In Reality-Formaten wie «Sommerhaus der Stars» demontieren sich B-Prominente selbst. Auch solche, die es besser wissen müssten.

Corona hat vieles zum Erliegen gebracht: Konzerte, Events, Sport mit Zuschauern. Trash-TV gehört nicht dazu. Im Gegenteil: Reality-Formate haben sich nach einer Verschnaufpause gnadenlos zurückgemeldet. Aktuell laufen gar so viele Trash-Sendungen wie noch selten: «Like Me, I’m Famous», «Love Island» (kürzlich zu Ende gegangen), «Ex on the Beach», «Promi-Boxen», «Sommerhaus der Stars» – vor B-Promis in allen möglichen und unmöglichen Situationen gibt’s auf deutschen Sendern kaum ein Entkommen.

Ob Trash-TV in Zeiten der Coronapandemie seine Berechtigung hat, wurde hier bereits thematisiert. Letztlich muss jede und jeder selbst entscheiden, wie er sich in tristen Zeiten Ablenkung verschafft. Für Fans von Reality-TV ist «Das Sommerhaus der Stars» auf jeden Fall einmal mehr ein Highlight. Denn nachdem schon vor Jahresfrist Schauspieler Willy Herren und seine Mitstreiter kaum Grenzen kannten, ist die diesjährige Ausgabe in neue, geradezu faszinierende Untiefen des Trashs vorgestossen.

«Game of Thrones» in der deutschen Ödnis

Schon das Setting passt. Statt wie sonst im sonnigen Portugal mussten die «Prominenten» diesmal coronabedingt in ein auffallend hässliches Haus irgendwo in der regnerischen westfälischen Provinz einziehen. Zwischen Kuhfladen, Jagdtrophäen an den Wänden und hässlichen Hochbetten spielt sich ein Drama ab, an dem jeder Soziologe – speziell Anhänger von «Survival of the Fittest» – ihre helle Freude hätten. Es wird geschimpft, gelästert, intrigiert, gemobbt, gepöbelt; und das alles für ein einigermassen überschaubares Preisgeld von 50'000 Euro, das dem letzten verbliebenen Promi-Paar im Haus winkt.

Im Zentrum der Ausfälligkeiten stehen Andrej Mangold und Jenny Lange. Der Bachelor von 2019 und seine Auserwählte haben sich als strahlend schönes, gesundes und stets positiv gesinntes Traumpaar seit ihrem Zusammenkommen in der Kuppelshow erfolgreich auf Instagram inszeniert und nicht nur viele Follower, sondern auch lukrative Werbedeals an Land gezogen. Im «Sommerhaus» jedoch zeigen sie – allen voran Ex-Basketball-Profi Mangold – ein anderes Gesicht: Manipulativ und intrigant versucht der offensichtlich sehr von sich selbst überzeugte Beau, die anderen Paare (unter ihnen Ex-DSDS-Zicke Annemarie Eilfeld samt Anhang oder die YouTuber Lisha und Lou) auf seine Seite zu ziehen. «Alle gegen eine», lautet sein Credo, und diese eine ist Eva Benetatou. Die Bachelor-Kandidatin erhielt von Mangold im Finale der Kuppelshow letztes Jahr zwar keine Rose, hatte mit ihm aber Sex bei den «Dream Dates». Nun ist ausgerechnet sie mit ihrem neuen Partner und Verlobten Chris als Nachzüglerin in das «Sommerhaus» eingezogen.

Erstaunliche Selbstdemontage

Diese delikate Situation hat das Sommerhaus zur B-Promi-Kampfzone gemacht. Beschimpfungen, Spuck-Attacken, Lästereien, Pöbeleien und immer wieder übelste Mobbing-Attacken gegen Eva und ihren neuen Partner erinnern zeitweise mehr an «Game of Thrones» als an ein Reality-Format. Mit weitreichenden Konsequenzen: Denn in den sozialen Netzwerken ist «Team Gold», wie sich Mangold und Lange nennen, innert kürzester Zeit vom Glamour-Couple zum No-Go avanciert; der Shitstorm gegen die beiden war zeitweise so heftig, dass sie sich aus den sozialen Netzwerken zurückziehen mussten. Dazu kündigten mehrere Werbepartner ihre Deals, denn mit Mobbern in Zusammenhang gebracht werden will besonders im aktuellen, gesellschaftspolitisch aufgeheizten Klima niemand.

Erstaunlich ist bei dieser Selbstdemontage vor allem, dass sie einem Paar passiert, dass es eigentlich besser wissen müsste. Denn Mangold und Lange beschweren sich, sie seien von RTL falsch dargestellt worden. Konkret: Die am TV gezeigten Szenen seien «unfair zusammengeschnitten». Dabei müsste besonders ein Ex-Bachelor, der kürzlich selbst im Zentrum einer Reality-Show stand, wissen, wie die Mechanismen im Geschäft funktionieren. Und eigentlich müsste er auch wissen, dass Fans von Trash-TV zwar in vielerlei Hinsicht relativ schmerzfrei sind – der Spass bei Mobbing oder Diskriminierung aber aufhört.

Schon am kommenden Sonntag geht’s weiter im «Sommerhaus der Stars». Allerdings ohne Mangold und Lange, denn die beiden Favoriten auf den Sieg wurden – mit einer von RTL spontan eingeführten Sonderregel – von Eva Benetatou kurzerhand nach Hause geschickt.

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