Klima-Aktivistin bei «Lässer»«Es geht leider nicht anders als zu stören»
amo
17.12.2022
Klima-Aktivistin Selina Lerch: «Es geht leider nicht anders»
Klima-Aktivistin Selina Lerch von «Renovate Switzerland» rechtfertigt die Klebe-Aktionen auf Strassen. «Es geht leider nicht anders als zu stören».
14.12.2022
Sie kleben sich mit Leim am Boden fest, blockieren Strassen und treiben Verkehrsteilnehmer zur Weissglut. Die Aktionen sind aus Sicht der Klima-Aktivist*innen von Renovate Switzerland aber nötig, sagt Selina Lerch.
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17.12.2022, 13:21
17.12.2022, 13:28
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Sie werden angeschrien, beschimpft und von der Polizei abgeführt. Eine Situation, der sich die meisten Menschen nicht freiwillig aussetzen. Die 28-jährige Selina Lerch macht genau das: Sie klebt sich mit weiteren Aktivist*innen auf dem Boden fest und blockiert Strassen.
Lerch gehört zu Renovate Switzerland, einer Gruppierung, die sich als Bewegung des zivilen Widerstands für den Schutz des Klimas sieht. Sie fordern vom Bundesrat eine Generalmobilmachung für die thermische Gebäudesanierung. Weiter wollen sie, dass der Bund sofort vier Milliarden Franken bereitstellt, um 100'000 Personen im Baugewerbe umzuschulen. Die Bewegung ist weltweit in mehreren Ländern aktiv.
Lerch bezeichnet die aktuelle Klimasituation als grösste Krise, die die Menschheit momentan durchmacht. «Unser Leben, unsere Träume, unsere Sicherheit werden infrage gestellt», sagt Lerch. Ändere sich nichts, könne sie sich eine Zukunft nicht mehr vorstellen. Darum habe sie sich entschieden, mit «Renovate Switzerland» auf die Strasse zu gehen und so Sicherheitsmassnahmen zu fordern.
«Ich war mega gestresst»
Ihren ersten Einsatz als Klebe-Aktivistin für «Renovate Switzerland» hatte Lerch im April auf der Autobahnausfahrt Bern Wankdorf. Leicht sei ihr das nicht gefallen. «Ich war mega gestresst», erzählt Lerch. Die geplante Aktion habe sie schon im Voraus sehr beschäftigt.
Es sei sowohl für Aktivisten wie auch für Verkehrsteilnehmer eine stressige Situation. Aktivisten, die an Klebeaktionen beteiligt sind, seien darum speziell dafür ausgebildet. «Sie gehen auf Autofahrer zu und erklären ihnen, was vor sich geht.»
Klimaaktivistin: «Ich war mega gestresst, es war meine erste Aktion»
Selina Lerch von «Renovate Switzerland» hat sich im April 2022 auf der Autobahnausfahrt Bern Wankdorf auf die Strasse geklebt. Die Situation sei sowohl für Aktivist*innen wie auch für Verkehrsteilnehmer*innen sehr stressig gewesen, so Lerch.
14.12.2022
Extreme Massnahmen wie das Festkleben auf Strassen sind für Lerch nötig. Die Meinungen und Reaktionen zu den Aktionen würden ganz unterschiedlich ausfallen. Es gehe aber nicht darum, die Menschen, die wegen einer Klebeaktion im Stau stehen, zu mobilisieren, sagt Lerch. Wichtiger sei, auf die Problematik aufmerksam zu machen. «Es geht leider nicht anders, als zu stören.»
Klima-Aktivist*innen der Gruppierung «Renovate Switzerland» blockieren die Autobahnausfahrt bei Bern Wankdorf, am Dienstag, 19. April 2022. Fünf Personen setzten sich kurz nach 7.30 Uhr auf die Fahrbahn und klebten sich fest.
19.04.2022
Sicherheitskonzept für jede Klebe-Aktion
Um sich ganz auf ihre Tätigkeit als Klimaschützerin zu fokussieren, hat Lerch im Sommer ihren Job gekündigt. Nun bildet sie für «Renovate Switzerland» angehende Klima-Aktivistinnen und Aktivisten aus. Dabei gehe es auch um das Thema Sicherheit und den Umgang mit wütenden Verkehrsteilnehmern und der Polizei.
Dass Strassenblockaden nicht ungefährlich sind, zeigt ein Fall aus Berlin, der Ende Oktober international Aufsehen erregte. Ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr erreichte eine verunfallte Velofahrerin erst verspätet, da es wegen einer Strassenblockade der Klima-Protestgruppe «Letzte Generation» im Stau stand. Die Velofahrerin verstarb einige Tage später im Spital.
Lerch beteuert jedoch, dass es für jede Klebeaktion ein Sicherheitskonzept gebe. Umliegende Spitäler würden über jeweilige Aktionen von «Renovate Switzerland» benachrichtigt. So könnten Ambulanzen die blockierten Strassen bei einem Notfall umfahren. Die Aktivistinnen und Aktivisten würden sich laut Lerch erst dann die Hände auf den Boden kleben, wenn die Polizei eintreffe und die Stelle gesichert sei. «Wir versuchen, alles zu machen, um die Risiken zu minimieren.»
«Wir kleben uns erst fest, wenn die Polizei da ist und der Ort gesichert ist»
Selina Lerch von «Renovate Switzerland» versichert, dass es für jede Klebeaktion ein Sicherheitskonzept gebe. Beispielsweise würden die umliegenden Spitäler über die Aktionen informiert, damit Ambulanzen bei einem Notfall die Stelle umfahren können.
14.12.2022
Dass provoziert werden muss, um auf den dringenden Handlungsbedarf aufmerksam zu machen, sagt auch der Basler Soziologe und Konfliktforscher Ueli Mäder. Er war in den 70er Jahren bei den Protesten gegen das geplante Atomkraftwerk in Kaiseraugst von Anfang an dabei. Es sei wichtig, dass die Bevölkerung einen gewissen Druck ausübe, sagt Mäder über Lerchs Aktivismus.
Die ganze «Lässer»-Sendung mit Selina Lerch und Ueli Mäder siehst du zudem am Samstag, 17. Dezember, 18:45 Uhr, auf blue Zoom.
Die ganze Sendung als Video
LÄSSER – mit Klimaaktivistin Selina Lerch und Soziologe Ueli Mäder
Klima-Protestaktionen erhitzen die Gemüter und sorgen für echauffierte Gespräche. Doch führen sie auch zum Erfolg? Mit Claudia Lässer diskutieren Ueli Mäder, Soziologe und Konfliktforscher und Selina Lerch, Klimaaktivistin bei Renovate Switzerland.