Elton John «Ich musste leider die Klappe halten und auf den Rat anderer hören»

Von Marlène von Arx

6.12.2020

Am Filmfestival Cannes 2019 feierte Elton Johns «Rocketman» Premiere. «Blue» hat die britische Legende damals zum Interview getroffen. Kann das Biopic nun auch Raffa überzeugen? Sie glotzt und motzt.

Der beeindruckende Musicalfilm erzählt die Geschichte, wie aus dem verschüchterten Klavier-Protégé Reginald Dwight der Alkohol- und Drogen-Süchtige Superstar Elton John wurde und was ihm letztlich das Leben rettete.

ie Pop-Ikone und sein Gemahl David Furnish, beide Produzenten des Films, blicken an dieser Stelle auf ein Leben voller Höhen und Tiefen zurück.

Raffa: «Ich landete schon nach drei Zügen von einem Joint im Spital»

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Raffa glotzt «Rocketman» und motzt eigentlich nur über Drogen. Elton John hat aus seinem Rauschmittelkonsum keinen Hehl gemacht und bestand darauf, dass dies in seinem Biopic auch gezeigt wird.

12.04.2021


Elton John, wie fühlt es sich an, seine eigene Geschichte auf der Leinwand zu sehen?

Sehr seltsam. Noch dazu, wenn man noch am Leben ist! [lacht]. Meistens sind die Leute ja tot, wenn die Biographie gedreht wird. Ausser bei Tina Turner. Es war einerseits komisch, andererseits war es aber auch so lebensnah, dass ich das Gefühl hatte, dass da kein Schauspieler spielt. Taron Egerton ist wirklich ich geworden – auch beim Singen. Ich kann ihm kein grösseres Kompliment machen.

Eigentlich mutig, was im Film alles offenbart wird. Kostete das Überwindung?

Elton John: Also wenn schon ein Film über mich, dann sicher ein ehrlicher. Der Erfolg war super, aber ich konnte nicht damit umgehen. David hat den Dokumentarfilm «Tantrums and Tiaras» über mich gemacht, und ich wollte, dass «Rocketman» ebenso wahrhaft wird.

David Furnish: Die Kehrtwende ist ja nicht so befriedigend, wenn man den Abstieg nicht sieht. Dass Elton jetzt 29 Jahre clean ist, ist sehr inspirierend, denn auch heute schämen sich noch viele, über Sucht und psychische Probleme zu sprechen. Dass wir es tun, hilft hoffentlich anderen.

Elton John: Ich habe auch in der schlimmsten Zeit Musik gemacht und bin auf Tour gegangen. Musik hat mich am Leben erhalten. Ich wollte im Film auch nicht verstecken, dass ich ein schwuler Mann bin. Ich glaube, das ist der erste Film eines grossen Filmstudios mit einer homosexuellen Liebesszene. Darauf bin ich stolz. Es war tatsächlich so wie im Film: Ich hatte mit 23 Jahren zum ersten Mal Sex. Mein Vater sagte, wenn ich masturbiere, würde ich blind. Mit dreizehn musste ich eine Brille tragen, und ich dachte: Oh Gott, er hat recht! [lacht]

Was war der schwierigste Moment, den Sie im Kino noch einmal durchlebt haben?

Elton John: Als ich die «I Want Love» Sequenz zum ersten Mal sah, war ich in Tränen aufgelöst. Gewisse Drogen-Momente waren auch sehr schmerzhaft, weil das einfach eine furchtbare Zeit war. Als ich den Film dann an der Premiere in Cannes sah, hat mich die Szene mit Bernie Taupin (Liedtexter für Elton John, Anm. d. Red.), als er mich in der Entzugsklinik besuchte, am meisten mitgenommen. Unsere Freundschaft ist das einzige, an das ich mich halten konnte, und er zog sich zurück, weil er es nicht mehr aushielt. In jener Szene kam er zurück. Wir sind heute enger befreundet denn je. Es war der Anfang unseres zweiten Kapitels. Als er mir den Text zu «I’m Still Standing» gab, wusste ich, ich werde wieder gesund.



Das kam aber nicht über Nacht?

Elton John: Nein, es erforderte viel Arbeit. Ich musste viel lernen und für einmal die Klappe halten und auf den Rat anderer hören. Auch wenn ich das manchmal nicht wollte, aber meine Methode funktionierte ja nicht. Das erste Jahr ohne Alkohol tourte ich nicht, in den ersten drei Jahren ging ich zu etwa 1'200 AA-Meetings. Ich wurde ein besserer Mensch. Wichtig für meine Rehabilitation war auch, mich im Kampf gegen Aids zu engagieren, und so gründete ich 1992 die Elton John Aids Foundation. Als ich noch süchtig war, setzte ich mich zu wenig ein, denn man verliert jeden Sinn für Logik, Vernunft und Verantwortung. Für kreative Personen und Performer wird die Welt immer mal wieder düster, aber jetzt habe ich ja David, der mir dann hilft, das Licht wieder zu sehen. Und um die Kinder herum ist mir auch nie trübe.

Wie man in «Rocketman» sieht, stammen Sie offenbar selber nicht aus einem liebevollen Elternhaus …

Elton John: Meine Eltern hätten nie heiraten dürfen. Sie passten überhaupt nicht zusammen, und ich bin sehr froh, dass beide ihr Glück in ihren zweiten Ehen fanden.

David Furnish: Elton sagte mir einmal, seine Erinnerungen an seine Kindheit sind Erinnerungen der Angst. Angst, dass er etwas falsch machen würde, etwas täte, das der Vater nicht billigte. Deshalb wollte er, dass unsere Kinder uns nicht mit Angst, sondern mit Möglichkeiten in Verbindung bringen. Wir sagen unseren Söhnen jeden Tag, dass wir sie lieb haben. Umarmungen gehören zur Tagesordnung.

Elton John: Es war damals auch eine andere Zeit. Mein Onkel sagte, meine Eltern könnten sich nicht scheiden lassen, denn was würden da die Nachbarn sagen? Sie blieben für meine Ausbildung zusammen, aber es wurde immer schlimmer. Zum Glück hatte ich die Musik, durch die ich der Realität entfliehen konnte.

Unterrichten Sie Ihre Kinder Zachary (8) und Elijah (6) am Piano?

Elton John: Ich bin kein guter Lehrer, und Kinder müssen auch wirklich Lust haben, zu spielen. Sie zu forcieren bringt nichts. Unsere Söhne nehmen freiwillig Klavierunterricht und haben Spass daran. Ich glaube nicht, dass sie wie ich werden, aber es gefällt ihnen – und es ist gut für sie.

Sir Elton John und «Blue»-Kolumnistin Marlène von Arx beim Interview.
Sir Elton John und «Blue»-Kolumnistin Marlène von Arx beim Interview.
Marlène von Arx

Sie konnten bereits mit vier Jahren einmal gehörte Melodien nachspielen, und Klassiker schreiben Sie in Windeseile. Wie erklären Sie dieses Talent?

Elton John: Keine Ahnung, ich lege einfach meine Hände auf die Tasten, und dann passiert etwas. Eine Art Film erscheint zum Text. Bernie und ich haben einfach eine Gabe: Er schreibt den Text und ich die Melodie, und es dauert nie lang. «Your Song» habe ich in einer halben Stunde geschrieben. Wenn ich einen Song nicht in einer halben Stunde fertig habe, höre ich auf und komme später darauf zurück. Ich schreibe auch nicht jeden Tag, sondern einfach, wenn es mich drängt.

War diese Gabe nie eine Bürde für Sie? Oder gab es nie Momente, als Sie sich als Musiker missverstanden fühlten?

Elton John: Eigentlich nicht. Ich rede nicht über mein Talent, und Elton John bleibt auf der Bühne oder im Tonstudio. Er kommt nicht mit mir nach Hause. Eine Weile hing ich meine goldenen Schallplatten zu Hause auf und was halt so alles mit dem Erfolg kommt. Aber darüber bin ich hinweg. Sie sind heute irgendwo eingestellt. Klar, manchmal gibt es Zweifel, ob ich etwas wirklich gut genug mache. Kein Künstler mit einer Unze Selbst-Respekt sagt, es sei alles immer wundervoll oder er habe keine Selbstzweifel. So wird man ja auch nicht besser.

David Furnish: Jedes Mal, wenn er mit einem Album beginnt, warte ich auf den unvermeidlichen Anruf nach zwei oder drei Tagen, dass ein neues Album gar keinen Sinn mache und die Welt sowieso kein neues Elton John Album brauche. Da er quasi auf Bestellung schreibt, ist der Druck recht gross, den er sich auferlegt. Dann hat er angeblich den falschen Produzenten oder das falsche Tonstudio. Aber wenn er einmal ein, zwei Song eingespielt hat, geht’s – und er ist nicht mehr zu bremsen.

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