Jeden Abend trägt sie unsere Kolumnistin in den Schlaf: die tiefe, unverkennbare Stimme des ehemaligen Präsidenten der USA. Der Beginn einer neuen Hörbuch-Obsession.
Schon seit 30, 40 Minuten liege ich wach, es ist totenstill im Raum und ich realisiere: Es geht nicht mehr ohne ihn. Ich kann nicht mehr einschlafen ohne Barack Obama. Aber von vorne.
Die letzten zwei Jahre hatte ich nur Ohren für Stephen Fry, den wohl besten Sprecher der Welt (und überhaupt Alleskönner) mit seinem wunderbar elegant-exzentrischem British English. Mit den Harry-Potter-Büchern (sieben Stück à bis zu 30 Stunden), der Sherlock-Holmes-Collection (71 Stunden) und zuletzt dem grossartigen «Mythos», einer Sammlung der griechischen Mythen (15 Stunden), war ich ziemlich busy.
Im Dezember wies mich die App darauf hin, dass auch andere Bücher gute Sprecher haben und empfahl mir «A Promised Land» (dt. «Ein verheissungsvolles Land»), die Autobiografie von Barack Obama. Die Tatsache, dass er das Hörbuch selber liest, machte die Kaufentscheidung leicht, gilt Obama doch als begnadeter Redner.
Diesem Ruf wird er gerecht, so viel kann ich nach den ersten 16 von insgesamt 29 Stunden sagen. Doch so eloquent er formuliert, so sedativ ist auch seine tiefe, unverwechselbare Stimme. Ich spiele das Hörbuch jeweils ab, wenn ich ins Bett gehe und knacke zuverlässig innert zehn Minuten weg.
Meine Kompetenz für eine fundierte Rezension hält sich also in Grenzen, verschwimmen Wahlkampf, Finanzkrise und Gesundheitsreform in meinen Erinnerungen ineinander, wobei nicht immer klar ist, was ich tatsächlich gehört und was geträumt habe. Nicht, dass es inhaltlich nicht interessant wäre, aber das beruhigende Timbre lullt einen ein wie eine warme Decke.
Eine Kostprobe des Hörbuchs «A Promised Land».
Youtube
Eines Nachts holten mich die Worte «global pandemic» aus dem Halbschlaf. Wie war das, es gab während Obamas Amtszeit auch eine Pandemie? Das H1N1-Virus, besser bekannt als Schweinegrippe, hatte ich komplett vergessen. Im Juni 2009 rief die WHO die erste Pandemie nach 40 Jahren aus. Obama war damals ganz frisch im Amt und sagte angesichts der ungewissen Situation:
«Es war noch zu früh, um zu sagen, wie tödlich dieses neue Virus sein würde, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Meine Anweisungen an das Gesundheitsteam waren einfach: Entscheidungen werden auf der Grundlage der besten verfügbaren Wissenschaft getroffen. Und wir werden der Öffentlichkeit jeden Schritt unserer Reaktion erklären, einschliesslich dessen, was wir wissen und was wir nicht wissen.»
Worte, die nach vier Jahren Donald Trump und seiner katastrophalen Führung in der Corona-Krise runtergehen wie Butter. Die Schweinegrippe-Pandemie wurde übrigens von der WHO im August 2010 für beendet erklärt.
Die einzige Nacht, in der ich Obama nicht zuhören konnte, war der 6. Januar. Nachdem ich den ganzen Abend auf CNN live der Stürmung des Kapitols zusah, war der Kontrast schlicht zu heftig.
Mittlerweile golft der Brandstifter in Florida, Joe Biden zeigt sich entschlossen im Kampf gegen die Pandemie und ich kann wieder mehr oder weniger beruhigt einschlafen – mit und dank Bariton-Barack.
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.