Hollywood-Kameramann erklärt «Echte Waffen helfen den Schauspielern, die Szene realistisch zu spielen»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

23.10.2021

Crew-Mitglieder kritisieren schwierige Arbeitsbedingungen bei Filmdrehs seit Jahren. Wir haben Warren Yeager, Kameramann und Waffen-Spezialist, gefragt, welche Konsequenzen der Tod der Kamerafrau Halyna Hutchins für die Arbeit auf Film-Sets haben könnte.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

23.10.2021

In Hollywood kann man den tragischen Todesfall auf dem Set von «Rust» auch heute noch nicht fassen. So etwas darf und müsste nicht passieren, heisst es in der Crew Community. Das findet auch Warren Yeager, der seit 30 Jahren Kameramann in Hollywood und zudem zertifizierter Waffenmeister ist: «Es gibt Sicherheitsvorkehrungen, wie man mit Waffen auf Filmsets umzugehen hat und deshalb sind solche tragischen Unfälle wie bei ‹Rust› auch sehr selten», erklärt er.

«Im Idealfall kommt der Waffenmeister mit der Waffe ans Set, erklärt allen den Ablauf und versichert sich, dass niemand in der Schusslinie steht. Wenn es eine nachgebildete Prop-Waffe ist, kann sich jeder davon überzeugen. Ich schaue sie mir immer an.» Man stelle soviel wie möglich zwischen Waffen und Crew: «Ich wurde schon unter Decken begraben und hinter Plexiglas gesteckt. Wenn es laut wird, gibt es Ohrenschutz und ich habe auch schon Handschuhe, lange Ärmel und ein Gesichtsschild getragen, falls etwas absplittern sollte.»

Auch wenn gegen die Kamera geschossen werde: Es wird nie auf jemanden direkt gezielt. Wenn die Kamera nicht mehr läuft, nimmt der Waffenmeister die Waffe sofort wieder an sich. «Aber wie gesagt, das ist der Idealfall.» Ein Idealfall war der «Rust»-Dreh nicht : Nur kurz vor dem fatalen Schuss legten ein halbes dutzend Crew-Leute aus Protest die Arbeit wegen unzumutbaren Arbeitsbedingungen nieder.

Kommt es doch noch zum Streik?

Schwierige Arbeitsbedingung, darunter lange Arbeitszeiten ohne genügend Erholungsphasen, werden bei Drehs immer wieder angeprangert. Gerade stimmten die 60’000 Mitglieder der Bühnen und Film-Arbeiter*innen Gewerkschaft IATSE für einen Streik, falls ihr Gesamtarbeitsvertrag mit den Hollywood Produzenten nicht verbessert würde.

Besonders pikant: in einem erst wenige Tage alten Video drückt Alec Baldwin seine Unterstützung für die IATSE aus. Als Co-Produzent von «Rust» war aber auch er selber für die schlechten Arbeitsbedingungen am Set verantwortlich.

In letzter Minute wurde eine Vereinbarung gefunden und ein Streik, der alle Hollywood-Produktionen lahm gelegt hätte, verhindert. Aber die Vereinbarung muss nun von den Mitgliedern auch angenommen werden – was nicht selbstverständlich erscheint, wenn man all die Aufrufe zu einem No-Vote in den einschlägigen Foren liest. Könnten im Fall von «Rust»-Fehler im Spiel gewesen sein, weil Verantwortliche unkonzentriert waren aufgrund von Übermüdung? Oder zu wenig trainiert?

«Durchaus möglich, vor allem kleine Indie-Produktionen sparen, wo immer möglich und manchmal werden Leute engagiert, die zu wenig ausgebildet sind», so Warren Yeager, der schon aus einem Studio verbannt wurde, weil er einen Waffenmeister auf die Gefahr eines Beinschusses hinwies, als er jemanden eine geladene Waffe in den Holster stecken sah. Er glaubt aber nicht, dass der Tod der Kamerafrau Halyna Hutchins einen grossen Einfluss auf die Abstimmung haben wird: «Die Kritiker sind jetzt laut, aber am Ende stimmen sie den Verträgen zu, weil die meisten nur wenige Wochen im Jahr arbeiten und deshalb soviel wie möglich verdienen müssen.»

«Viele mögen die langen Arbeitszeiten, denn da verdient man mehr Geld.»

Er zitiert den Präzedenzfall Brent Hershman («Pleasantville») von 1997: Der Kameramann starb bei einem Autounfall auf der Heimfahrt nach einem 19-Stunden-Tag. «Es gab viel Aufruhr, aber es änderte sich nichts. Viele mögen die langen Arbeitszeiten, denn da verdient man mehr Geld.» Konkret: die Stunde 8 bis 12 wird mit eineinhalb Mal der Rate vergütet und ab der 12. Stunde wird der Lohn verdoppelt.

Braucht es richtige Waffen auf Film-Sets?

Bleibt die Frage offen, ob es im Zeitalter von CGI richtige Waffen bei Film-Drehs überhaupt noch braucht. Rauchende Colts können heute problemlos im Computer erzeugt werden. «Das stimmt», so Warren Yeager. «Ich habe gehört, beim ersten ‹John Wick›-Film haben sie digitales Mündungsfeuer kreiert, gingen danach aber wieder zu Platzpatronen zurück. Ich finde, echte Waffen sollten eine Option bleiben, denn sie helfen vor allem den Schauspielern, die Szene realistisch zu spielen.»

Crew-Mitglieder weisen immer wieder darauf hin, dass auch Platzpatronen gefährlich und sogar tödlich sein können. Warren Yeager relativiert: «Ich mache selber Platzpatronen und teste sie: Aus einer Distanz von fünf Metern passiert nichts. Bei eineinhalb Metern kann es zu leichten Verbrennungen und Pulverspuren kommen. Aber richtig verletzt wird man nur wenn die Platzpatrone ins Auge fliegt oder man direkt an der Schläfe abdrückt.»

Genau das tat der Schauspieler Jon-Erik Hexum 1984 zum Spass mit einer Requisiten-Waffe und nahm sich so versehentlich das Leben. 1993 war der letzte Tote wegen einer Filmwaffe zu beklagen: Brandon Lee starb bei den Dreharbeiten zu «The Crow». Die Waffe hätte Platzpatronen abfeuern sollen, aber die Autopsie zeigte eine echte Patrone in er Nähe der Wirbelsäule. Damals wurden neue Sicherheitsrichtlinien für Waffen auf Sets erlassen. Dazu gehört auch, dass keine scharfe Munition aufs Set gehört. Aber wie bei Brandon Lee könnte eine echte Patrone im Lauf stecken geblieben und von der Platzpatrone rausgedrückt worden sein, als Alec Baldwin schoss», meint Yeager, der auch darauf hinweist, dass man Kameras heute fernbedienen kann. »Aber im Endeffekt zielt man einfach nicht auf eine Person. »