Interview Brad Pitt: «Wir bereuen alle etwas»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

23.9.2019

Eine Reise an den Rand unseres Sonnensystems und zu sich selbst: Brad Pitt über seinen neuesten Film «Ad Astra», ob er gern einen «Oscar» gewinnen würde – und wo er seinen Lebensabend zu verbringen gedenkt.

Donnerstag im Roosevelt Hotel, Los Angeles: Vor dem Fenster schlendern Touristen in Shorts den Hollywood Boulevard entlang. Brad Pitt, der für seine Astronauten-Rolle im introspektiven Sci-Fi-Drama «Ad Astra» als Oscar-Herausforder gilt, betritt den Academy-Raum und erklärt vor einer Runde von Journalisten: «Das ist nach zwei Monaten und zwei Filmen mein letztes Interview auf dieser Pressetour!»

Die Erleichterung ist dem 55-Jährigen ins Gesicht geschrieben. Also tauchen wir gleich ins Gespräch über die melancholische Sci-Fi-Odyssee, in der Brad Pitt seinen verschollenen Vater im All sucht und dabei einiges über sich selbst erfährt ein. 

In «Ad Astra» spielen Sie den Astronauten Roy McBride. Haben Sie sich mit dieser Rolle einen Bubentraum erfüllt?

Eigentlich nicht. Ich fand Abenteurer spannend – Sir Hillary, der erste Mann auf dem Mount Everest. Das klang sehr romantisch. An Armstrongs erste Schritte auf dem Mond erinnere ich mich nicht. Ich sah später Bilder davon. Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, was da draussen ist. Sci-Fi ist ein neues Genre für mich, das ich aber mag. Einer meiner Lieblingsfilme als Kind war «Aliens», den mich mein Vater viel zu früh im Kino hat sehen lassen. Aber ich hatte bisher nie einen Sci-Fi-Film gefunden, zu dem ich etwas beitragen konnte oder der das Genre auf eine neue Art anging.

Roy McBride reist bis zum Planeten Neptun, um Antworten über sich selbst zu finden. Welche Quellen zapfen Sie an, wenn Sie Fragen ans Universum haben?

Manchmal spirituelle Bücher oder Podcasts. Ich habe einen über Philosophie abonniert. Ich meditiere und versuche, in Psycho-Therapie zu gehen. Und ich diskutiere mit Freunden, da kommt jeweils am meisten dabei heraus.

Führen Sie auch einen inneren Dialog wie im Film?

Oh Gott, zu oft! Dieses Geflüster im Kopf, das einem bis in den Schlaf verfolgt. Und wenn man aufwacht, geht’s gleich weiter. Das ist in meinen Augen einer der grössten Herausforderungen, die wir als Menschen haben – oder jedenfalls für mich: Im Moment im Hier und mit den Menschen um einen herum zu sein und die Stimme im Kopf abzuschalten.

Was sagt die Stimme denn?

Alles Mögliche. Sie kann kritisch sein, besorgt oder überzeugt von sich selber, was gefährlich ist. Wie schön wäre es, wenn man einfach akzeptieren könnte, was einem der Tag so entgegenbringt. Das ist keine passive Sache, es erfordert konstante Achtsamkeit. Nehmen wir das Beispiel Verkehrstau: Wie man auf Stau reagiert, ist ein guter Barometer dafür, wie man gerade mit sich im Reinen ist.

Haben Sie selber auch schon eine Reise unternommen, auf der Sie sich in irgendeiner Weise gefunden haben?

Ja, aber die Details bleiben in meiner Westentasche.

Also eine einfachere Reise-Frage: Wo landen Sie am liebsten?

Wenn ich lange weg war: zu Hause. Es gibt nichts Besseres, als im eigenen Bett zu schlafen. Und sonst: Neuseeland steht noch auf meiner Liste; die Südinsel mit dem Motorrad. Ich möchte noch nach Chile und in die Dolomiten – und nach Japan. Ich war schon in den schottischen Highlands, in Marokko und Südafrika. Das waren alles tolle Trips. Ich überlege mir auch, wo ich später gerne leben würde, denn ich denke über den Tod nach. Wo will ich den letzten Lebensabschnitt verbringen? Die Kinder gehen noch etwa acht Jahre in die Schule, und das bestimmt den Ort. Aber dann? Für mich ist es in den Bergen.

Waren Sie schon mal in den Schweizer Alpen?

Ich war mal bei George Clooney am Comersee und da sind wir bis an die Schweizer Grenze gefahren. Aber nicht weiter. Vielleicht klappt es nach der Dolomiten-Tour. Ich bin gerne draussen in der Natur. Da kann ich gut abschalten – oder in meinem Malstudio. Film ist ein Mannschaftssport. Beim Malen bin ich ganz alleine und kann entdecken, was aus meinem Unterbewussten kommt.

«Ad Astra» ist letztlich ein Film über eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung. Sie sind in einer religiösen Familie in Missouri aufgewachsen. Wie hat Sie Ihr Vater geprägt?

Ich habe uns immer als von Pionieren abstammend betrachtet – also von jenen Leuten, die am Rand der etablierten Zivilisation ihr Leben aufgebaut haben. Es war gefährlich. Entsprechend gab es Paranoia, Misstrauen und das konstante Bedürfnis nach Schutz. Vielleicht liege ich ganz daneben, aber ich glaube, das ist immer noch in unserem Blut. Ich weiss nicht, wie diese Art Überlebens-Mentalität sich in unsere DNA eingenistet hat, aber ich sehe diese Züge in meiner Familie und in mir. Man sieht das auch gut bei den Wahlresultaten in Missouri. Der erste Reflex geht immer zu dieser Selbsterhaltung.

Konnten Sie mit Ihrer Familie über Gefühle reden?

Oh nein, das ist wohl der Grund, wieso mich das Medium Film angezogen hat. Weil ich das Bedürfnis hatte, Gefühle zu analysieren. Damals musste man schon ziemlich verrückt sein, bis jemand in Therapie ging. Heute sind wir diesbezüglich etwas weiter. Doch dann lese ich Texte von Philosophen aus der Antike und denke wieder, dass wir überhaupt nichts gelernt haben.

Was möchten Sie Ihren Kindern weitergeben, dass Sie von Ihrem Dad gelernt haben?

Mein Vater ist sehr arm aufgewachsen. Er wollte seinen Kindern ein besseres Leben ermöglichen – und das tat er auch. Wie kann ich das Leben meiner Kinder verbessern? Emotionale Offenheit gehört sicher dazu.

Sie kriegen gute Kritiken für «Ad Astra». Stimmt es, dass Sie trotzdem keine Oscar-Kampagne führen wollen?

Das habe ich nicht so gesagt. Es ist alles so subjektiv bei solchen Dingen. Ich glaube an die Meritokratie, aber ich weiss schon, dass die Welt nicht so funktioniert. Jedes Jahr werden wunderbare Talente ausgezeichnet und andere wunderbare Talente nicht. Wenn meine Nummer gezogen wird, macht’s Spass. Wenn die Nummer von jemand anderem gezogen wird, ist es oft ein Freund und macht auch Spass.

In «Ad Astra» spielen Sie Roy, einen einsamen Raumfahrt-Ingenieur. Kennen Sie dieses Gefühl auch?

Wer kennt es nicht! Da bin ich sicher nicht der einzige. Bedeutungslosigkeit, Wertlosigkeit, Verzweiflung – da muss man schauen, was echt ist daran und was eher ein psychischer Virus. Ich habe einen Freund, der im Hospiz gearbeitet hat. Er sagt, die Leute reden am Ende nicht über ihre Erfolge, ihre Karrieren und Autos, sondern über ihre Liebsten und was sie bereuen im Zusammenhang mit ihnen. Es ist also klar, worauf man sich konzentrieren muss.

Gibt es etwas, das Sie bereuen?

Wir bereuen alle etwas, tragen und vergraben es tief im Innern. Aber vielleicht ist das auch eine falsche Betrachtungsweise: Wenn man diese Momente genau anschaut und versteht, kann man sich auch verzeihen. Und wenn es etwas zu bereinigen gibt mit anderen, dann bereinigt man das. Mehr kann man nicht tun. Und so kommt man vielleicht um die Reue am Lebensende herum. Das hoffe ich zumindest.

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