Regisseurin von Sohn getrennt «Mein Fehler: Die Scheidung von einem gewalttätigen Ehemann»

Von Franziska Pahle

17.11.2022

Gewalt in der Ehe, keine Hilfe von den Behörden. Regisseurin Diana Maria Olsson arbeitet ihre Geschichte im Film «First Class Citizen» auf. Das Werk wird diese Woche im Rahmen des Woman in Film Festival gezeigt.

Von Franziska Pahle

In ihrem Film «First Class Citizen» arbeitet Diana Maria Olsson nicht nur ihre eigene Geschichte einer gewalttätigen Beziehung auf, sondern lässt auch Frauen in ähnlichen Situationen zu Wort kommen.

Gleichzeitig stellt sie das Bild Schwedens als ein Land infrage, das die Gleichberechtigung der Geschlechter respektiert. Die Geschichte dreht sich um einen Ehemann, der sich als «Bürger erster Klasse» entpuppt und vom Staat anders behandelt wird als die litauische Einwanderin.

Mit blue News hat Olsson über ihre Erfahrungen gesprochen.


Frau Olsson, Ihr Film «First Class Citizen» ist keine leichte Kost. Sie lassen die Zuschauer an Ihrer gewalttätigen Ehe teilhaben und beschreiben, wie man Ihnen Ihr Kind wegnahm.

Diana Maria Olsson: Ja. Ich bin eine Frau, die gewaltsam von ihrem einzigen Sohn getrennt wurde. Mein einziger Fehler: die Scheidung von einem gewalttätigen Ehemann. 

Warum haben Sie aus Ihrer Erfahrung einen Film gemacht?

Es gab für mich keinen anderen Weg. Ich habe nur überlebt, weil ich mich in meinem Film zu Wort gemeldet habe. Der Dokumentarfilm ist die einzige Möglichkeit, den Überlebenden eine Stimme zu geben. Eine Frau, die von ihrem Kind getrennt wird, ist ein kleiner Mensch vor dem grossen System.

Was ist passiert?

Gegenfrage, was passiert mit einer Mutter, wenn ihr das Kind gewaltsam entrissen wird? Viele Mütter in meiner Situation begehen Suizid. Heute entzieht ein EU-Mitgliedstaat im Ausland geborenen Müttern ihre Kinder und die Kinder der Obhut ihrer Mütter, ohne das Wohl des Kindes zu berücksichtigen. 

Zur Person
Diana Maria Olsson
zvg

Diana Maria Olsson wurde in der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen geboren und von ihrem Grossvater aufgezogen. Die nordischen Länder waren für sie stets Vorbilder in Sachen Gleichberechtigung. Olsson hat vier Universitätsabschlüsse und zwei Bachelorstudiengänge absolviert und arbeitete als Journalistin. Nach ihrem Masterabschluss lernte sie ihren schwedischen Ehemann in Vilnius, Litauen, kennen und zog nach Schweden. Inzwischen lebt sie – immer noch getrennt von ihrem Sohn – in Dänemark. Dort ist es ihr, im Gegensatz zu Schweden, erlaubt, über ihre Geschichte zu sprechen.

Was ist Ihnen passiert?

Ich war Opfer häuslicher Gewalt durch meinen Ehemann. Körperliche Brutalität, Morddrohungen, was von der schwedischen Polizei und dem Gericht bestätigt wurde. Auch mein Kind wurde mindestens einmal von seinem Vater körperlich misshandelt. Vor meiner Heirat war ich eine erfolgreiche und unabhängige Berufstätige. 

Und dann?

Ich habe mich in den ersten drei Lebensjahren meines Sohnes um ihn gekümmert, ganz allein und unter finanzieller Belastung aufgrund der geringen Unterstützung durch seinen Vater. Infolge der häuslichen Gewalt, die ich erlitt, und der schädlichen institutionellen Beratung, die ich erhielt, hatte ich jedoch kein Recht auf Arbeit, Einkommen und eine soziale Existenz.

Das schwedische Kinderinstitut riet Ihnen, sich mit Ihrem Sohn zu verstecken, um ihn vor seinem Vater zu schützen. Das taten Sie nicht.

Nein. Ich weigerte mich, diesem schädlichen Rat zu folgen, der das Opfer und nicht den Täter bestrafte. Nachdem ich jahrelang psychische und physische Gewalt, Drohungen, soziale und berufliche Isolation und die daraus resultierenden finanziellen Schwierigkeiten ertragen hatte, fand ich die Kraft, die Scheidung einzureichen und zu versuchen, mein Leben neu zu gestalten. 

Gewalt in Beziehungen – ein Thema, das es gibt, worüber aber viele nicht sprechen. Warum?

Richtig, aber auch nicht richtig. Am Anfang wollte ich einen Film machen, um andere Frauen vor einer falschen Partnerwahl zu schützen. Wenn es zu spät ist, sie ermutigen, ihre gewalttätigen Ehemänner zu verlassen. Ich wollte sagen: «Verlass ihn, du wirst Hilfe bekommen.» Jetzt würde ich sagen: «Schweig.» Eine Mutter würde lieber jede Art von Prügel und Gewalt tolerieren, als die absoluteste Form von Gewalt: die Trennung von ihrem Kind.

Sie schweigen trotzdem nicht.

Nein. Aber für Unbeteiligte ist es fast unmöglich, das unsagbare Grauen zu begreifen. Der psychologische, soziale, gesundheitliche und berufliche Schaden, der den betroffenen Müttern zugefügt wird, ist unermesslich. Dies ist meine Geschichte und die meines Sohnes, und sie ist wichtig, möglicherweise auch für viele andere Frauen und Kinder in Europa.

Ich bin nicht nur Filmemacherin, sondern auch ein Opfer – und hoffe, dass ich überlebe – von Schwedens willkürlicher und diskriminierender Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte: des Rechts auf Familienleben, des Rechts auf Arbeit und des Rechts eines Kindes, mit seiner Familie aufzuwachsen.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Wir müssen auf schädliche Systeme reagieren und diesen Schaden öffentlich machen, damit wir ihn gemeinsam lösen können. Als Regisseurin möchte ich mit meinen Filmen mehr Bewusstsein schaffen. Ich möchte die Herzen der Menschen berühren. Nachdem ich zehn Jahre lang häusliche Gewalt und anschliessend institutionellen Missbrauch erlebt hatte, wurde mir klar, wie wichtig es ist, über Gewalt gegen Frauen zu sprechen und einen Dokumentarfilm zu drehen, damit anderen nicht dasselbe widerfährt.

Sie gründeten eine gemeinnützige Organisation und produzierten diesen Dokumentarfilm. Sie wollen Müttern nach der Scheidung die Rückkehr zu ihren Kindern ermöglichen.

Es sind einige Jahre vergangen, und ich lebe immer noch von meinem Kind getrennt. Es gibt noch andere Frauen, die Opfer dieser unmenschlichen willkürlichen Politik sind und sich nicht trauen, ihren Namen zu nennen.

Warum?

Aus Angst vor der Rache ihrer Männer oder vor institutionellem Druck, einschliesslich Arbeitsplatzverlust.

Was wollen Sie erreichen?

Ich bin fest entschlossen, dass meine Stimme zum Wohle aller zurückgelassenen stimmlosen Frauen gehört wird und dass ich wieder mit meinem Sohn zusammenkommen werde. Ich bin entschlossen, nicht zu schweigen, bis diese ungeheure Ungerechtigkeit beseitigt ist.

Resonanz auf den Film

«First Class Citizen» gewann den Preis für den besten Dokumentarfilm auf dem Porto Femme International Film Festival und dem International Children Care Film Festival in Paris. Der Film wurde als bester Menschenrechtsfilm nominiert und gewann den Preis für den besten Frauenfilm auf dem Cannes World Film Festival. Darüber hinaus wurde «First Class Citizen» in die offizielle Auswahl des Internationalen Menschenrechtsfilmfestivals in Albanien, des Astra-Filmfestivals in Rumänien und des Krakauer Filmfestivals in Polen aufgenommen.

Vom 18. bis 22. November 2022 findet in Zürich das What if? Woman in Film Festival statt. «First Class Citizen» wird dort zu sehen sein.

blue Play ist Official Streaming-Partner des WIFF. Vom 18. – 28 November bietet blue TV in ihrer kostenlosen Mediathek blue Play eine grosse Auswahl an aktuellen Festivalfilmen zum streamen an – unter anderem auch «First Class Citizen».


Brauchst du Hilfe? Hier kannst du reden

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143, www.143.ch Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:

Refugium: Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch
Nebelmeer: Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net