«Tatort» im Check Kann man Unzurechnungsfähigkeit bei einer Straftat vortäuschen?

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26.12.2024

Der «Tatort: Made in China» mit Faber und Herzog bietet launige Dialoge, verrückte Behauptungen – und keine Leiche. Dafür Weihnachtsfreude und die Frage: Kann man Unzurechnungsfähigkeit wirklich vortäuschen?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im Dortmunder Weihnachts-«Tatort» gibt es diesmal keine Leiche, dafür viele Einblicke in dysfunktionale Familien.
  • Faber (Jörg Hartmann) und Herzog (Stefanie Reinsperger) ermitteln im Fall einer Frau, die behauptet, einen Mann ermordet zu haben. Fortan führen die Spuren zu einer Industriellendynastie.
  • Am Ende dreht sich viel um angebliche Unzurechnungsfähigkeit. Wie sieht es mit der Schuldunfähigkeit in Wirklichkeit aus? Kann man diese tatsächlich vortäuschen?

Ein Krimi ohne Leiche, darüber freut man sich doch an Weihnachten, dem Fest der Liebe. Zumal darin von unterschiedlichen Formen der Familienliebe erzählt wird.

Im «Tatort: Made in China» hat das nach dem Tod von Bönisch (Anna Schudt) und Abgang Pawlaks (Rick Okon) zum Duo geschrumpfte Dortmund-Team Faber (Jörg Hartmann) und Herzog (Stefanie Reinsperger) nicht wirklich funktionalen Eltern und Familien zu tun.

Fabers wiedergefundener Vater ist ein dementer Pflegeheimbewohner. Herzogs Mutter eine schweigend im Gefängnis sitzende RAF-Terroristin. Kaum weniger bunt geht es in einer der feineren Familien Dortmunds zu, den Stahlbaronen Haiden.

Hier ist der Vater ein Hallodri, der Geheimnisse an China lieferte – und alle bis auf den Biedermann-Vetter (Francis Fulton-Smith) lieben den Treulosen trotzdem. Weihnachten heisst eben auch verzeihen!

Doch kann es tatsächlich sein, dass die Tochter des Stahl-Gauklers dessen Ermordung vor psychiatrischen Fachkräften glaubhaft simulieren konnte?

Worum ging es?

Eine junge Frau (Klara Lange), geistig stark verwirrt, irrt blutverschmiert mit einem Messer durch einen Dortmunder Asia-Shop. Nachdem sie von der Polizei gestellt wurde, versuchen Faber und Herzog herauszufinden, wer die Frau ist, die behauptet, einen Mann getötet zu haben.

Spuren führen zur Industriellen-Familie Haiden, einer alten Dortmunder Stahldynastie. Hier könnte es den meist abwesenden Ehemann der Patriarchin Sophia Haiden (Marie-Lou Sellem) erwischt haben.

Jo Haiden verbringt viel Zeit in China, taucht ab und zu auf – und dann wieder ab. Offenbar ein wundersamer Typ.

Trotzdem einer, der auf seine Familienmitglieder eine gewisse Faszination ausübt – mit Ausnahme des Firmenchefs Stephan Haiden (Francis Fultion-Smith), der Jo offenbar hasst.

Was ist in dieser seltsamen Familie tatsächlich passiert? Und was hat der chinesische Geheimdienst damit zu tun?

Worum ging es wirklich?

Regisseur Jobst Christian Oetzmann drückt es so aus: «Das (Dreh)buch von Wolfgang Stauch ist eine Einladung in einen Reigen aus launigen Dialogen, handfesten Lügen, herrlichen Blossstellungen und absurden Behauptungen.»

Tatsächlich ist der erste Dortmund-Fall seit fast einem Jahr («Cash») vor allem ein Spiel mit verschiedenen Filmgenres: Spionage-Thriller, Psychiatrie-Rätsel und Screwball-Comedy. Letzteres wegen der launigen Wortgefechte, die sich durch den Film ziehen.

Der besinnliche Teil der Erzählung, die gut zu Weihnachten passt, ist aber die im Subtext enthaltene Botschaft: Familie kann sehr unterschiedlich aussehen und sich auch sehr verschieden anfühlen.

Vielleicht ist deine Mutter Terroristin, dein Vater dement oder er hatte heimlich mehrere Familien. Trotzdem könnten wir als Kinder all das verzeihen, sofern es von den «merkwürdigen» Eltern Signale echter Liebe gibt.

Was war die Schlüsselszene?

Obwohl der «Tatort» im Spätsommer und Frühherbst 2023 gedreht wurde, passt es, dass er ein gutes Jahr später zu Weihnachten läuft. Er erzählt nämlich eine Botschaft der Nächstenliebe, die – fast märchenhaft – sogar die Polizei erfasst.

Herzog und Chefin Ira Klasnić (Alessija Lause) überzeugen Faber, die Haidens trotz der Vortäuschung eines Verbrechens einfach gehen zu lassen. Im Sinne des Familienfriedens.

«Es ist doch eigentlich gut», sagt Herzog, «wenn eine Familie trotz der ganzen Scheisse zusammenhält. Wenn man sich verzeiht.» Darauf Faber: «Entschuldigung, Frau Herzog, wir sind die Polizei, wir sind nicht Pro Familia.»

Am Ende überstimmen die empathischen Frauen Faber und lassen die Haidens laufen. Was bedeutet: Die Polizei nimmt die Schuld auf sich – und bekommt schlechte Presse gratis dazu. Die Fahndung nach einem Mörder, den es nicht gibt, wird eingestellt.

Kann man Unzurechnungsfähigkeit vortäuschen?

Im Film kommen die Ermittler dem Schwestern-Duo auf die Schliche, das die Ermordung des Vaters lediglich vortäuschte, damit dieser untertauchen kann.

Man findet in der geheimen Kommandozentrale der Tat Blutbeutel, Bücher über Schauspieltraining und Posttraumatische Belastungsstörungen sowie Medikamente.

Ein Set aus Hilfsmitteln also, das der Vorbereitung auf die vorgetäuschte Tat diente. Doch könnte man Fachleute wie Psychiater tatsächlich davon überzeugen, einen Mord im unbewussten Zustand begangen zu haben?

Tatsächlich gibt es in unserem und vielen anderen Rechtssystemen den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit, die durch Drogen oder auch psychische Krankheit und Belastungsfaktoren ausgelöst werden kann. Menschen mit Schauspieltalent und Übung könnte es gelingen, Kennzeichen «automatisierter Handlungen» vorzutäuschen.

Doch auch Psychiater, Psychologen und vor allem gerichtliche Gutachter haben ihre Tricks, solche Pläne zu entlarven.

Käme man mit so etwas durch?

In westlichen Rechtssystemen gibt es den Grundsatz «Keine Strafe ohne Schuld». Gemäss dem deutschen Strafgesetzbuch, auf das die fiktive «Tatort»-Handlung anzuwenden wäre, handelt ein Täter ohne Schuld, wenn er bei der Tatbegehung aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, wegen Schwachsinns oder einer anderen schweren seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Kommt es zur Anklage, gilt es letztlich, ein Gericht zu überzeugen.

Ob im Sinne der Rechtssprechung eine «unbewusste Handlung» vorliegt, müsste eindeutig bewiesen werden. Dabei würden viele Faktoren, auch die Lebens- und Krankengeschichte der angeklagten Person, detailliert unter die Lupe genommen.

Mit anderen Worten: Es würden viele Fachleute bei einem Verfahren sehr genau hinschauen, ob ein psychiatrisches Krankheitsbild vorgetäuscht oder echt ist. Darüber hinaus schützt auch eine (teilweise) Unzurechnungsfähigkeit nicht vor jeglichen rechtlichen Konsequenzen.

Wie ist Unzurechnungsfähigkeit hierzulande geregelt?

Unzurechnungsfähigkeit – heute als Schuldunfähigkeit bezeichnet – ist im Artikel 19 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Schuldunfähigkeit liegt vor, wenn der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln. Es gibt auch die Möglichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit, bei der das Gericht die Strafe mildert.

Doch wo liegen die Unterschiede zwischen deutschem und Schweizer Recht?

Das deutsche Recht nennt vier spezifische Gründe für Schuldunfähigkeit: krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Schwachsinn und schwere andere seelische Abartigkeit.

Die Schweiz fokussiert sich auf allgemeine Konzepte der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.

Wie geht es beim «Tatort» aus Dortmund weiter?

Man glaubt es kaum, aber ein vor sieben Jahren abhanden gekommener Kommissar kehrt zurück – zumindest für eine Folge: Daniel Kossik (Stefan Konarske) vom LKA Düsseldorf unterstützt Faber, Herzig und Klasnić im Falle des Unfalltodes der Ex eines Clan-Mitglieds.

Bei der von einem SUV überfahrenen Angela Herrig handelt es sich um die ehemalige Freundin von Lorik Duka (Kasem Hoxha), der wohl viel Dreck am Stecken mit sich herumschleppt. Hatte er noch eine Rechnung mit der Frau offen?

Das Buch stammt von Dortmund-Revier-Erfinder Jürgen Werner, Torsten C. Fischer führte Regie. Gedreht wurde im Sommer 2024. Einen Ausstrahlungstermin für den 26. Dortmunder «Tatort» gibt es noch nicht.


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