Adele Neuhauser spielt eine Transfrau«Irgendwann muss man sich seinen Verletzungen stellen»
Von Stefanie Moissl/Teleschau
3.12.2024
Adele Neuhauser, bekannt als «Tatort»-Kommissarin Bibi Fellner, spricht über ihren Film «Ungeschminkt», der die Geschichte einer Transperson erzählt. Ein Gespräch über gesellschaftliche und ganz persönliche Kämpfe.
Von Stefanie Moissl/Teleschau
03.12.2024, 22:32
04.12.2024, 07:06
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
In der TV-Tragikomödie «Ungeschminkt» (in der ARD-Mediathek) verkörpert Adele Neuhauser die Schauspielerin Josefa, die früher Josef hiess.
Im Interview spricht die 65-Jährige über einen Velounfall während den Dreharbeiten und frühere Phasen der Depression.
«Durch den Unfall habe ich gesehen, was mein Körper alles kann. Was er durch die Arbeit an ihm leistet und wie brav er heilt. Obwohl ich nicht wirklich gut mit ihm umgehe. Sprich: Ich ernähre mich nicht ausreichend gesund, ich rauche wieder. Und trotzdem ist er mir so ein gutes Haus», so Neuhauser.
Wo Adele Neuhauser draufsteht, ist meist ganz viel Haltung und dazu noch beste Unterhaltung drin. Nun hat ihr Uli Brée, der Mann, der für sie die ORF-«Tatort»-Kommissarin Bibi Fellner erfand, eine neue klasse Filmrolle auf den Leib geschrieben.
In der TV-Tragikomödie «Ungeschminkt» (in der ARD-Mediathek) verkörpert die Schauspielerin Josefa, die früher Josef hiess.
Das Besondere daran: Erzählt wird die berührende Geschichte auch aus Sicht derer, die damit hadern, dass Josefa ihr Leben als Mann radikal hinter sich gelassen hat.
Im Interview spricht Adele Neuhauser über Verletzungen: die, die sie sich bei den Dreharbeiten zuzog, aber auch die, die wir einander zufügen. Und sie sagt, was es braucht, solche Verletzungen zu überwinden, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Frau Neuhauser, bei den Dreharbeiten zu «Ungeschminkt» sind Sie schwer gestürzt und haben sich die Schulter gebrochen. Wie geht es Ihnen inzwischen?
Vielen Dank – es geht mir wieder gut. Ich bin noch nicht 100 Prozent hergestellt, aber ich arbeite an mir, und das tut mir gut.
Wie lange mussten Sie pausieren?
Drei Monate. Ich habe sehr, sehr tapfer an mir gearbeitet, damit ich die letzten zwei Drehtage nachholen konnte.
«Ungeschminkt» ist die Geschichte einer Transperson. Es geht um Josefa, die früher Josef hiess und nach 35 Jahren in ihr bayerisches Heimatdorf zurückkehrt. Im Film fällt der kluge Satz: «Das Geschlecht sitzt nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren.» Was muss sich ändern, damit das ankommt in den Köpfen der Menschen?
Ja, ein grossartiger Satz! Wir brauchen mehr Empathie. Für viele Menschen ist alles, was aus einer Norm herausfällt, mit Angst verbunden. Diese Angst wird dann oft mit Aggression umgesetzt, wie in der Figur von Josefas Vater.
Wir alle erfahren Verletzungen und fügen leider auch anderen Menschen welche zu. Irgendwann muss man sich seinen Verletzungen stellen. Wie man damit umgehen kann, erzählt der Film auf eine Weise, die Hoffnung macht. Das ist das Grandiose daran.
Geschrieben wurde «Ungeschminkt» von Uli Brée, der in Österreich ein Star ist. Er hat Ihnen schon mehrere Rollen auf den Leib geschrieben, er erfand die «Tatort»-Kommissarin Bibi Fellner. Wie muss man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen? Entwickeln Sie Ideen gemeinsam, oder schreibt er Ihnen die Figuren auf den Leib?
Eher Zweiteres. Uli ist ein Pool an Ideen, das ist unfassbar. Dadurch, dass er mich jetzt über die Jahre schon so gut kennengelernt hat, macht es ihm ungeheuren Spass, mich herauszufordern. Umgekehrt ist das für mich natürlich ein irres Geschenk.
Das ist das Schönste überhaupt: Gefordert zu werden, tief einzutauchen in ein Thema. Dass man sich hinsetzt, Literatur liest, Dokumentationen anschaut, mit Betroffenen spricht – was ich gemacht habe bei diesem Film. Das ist einfach schön, wenn man in eine Welt eintaucht und in sich sucht. Sich zur Verfügung stellt für einen zarten und unglaublich schönen Stoff.
«Ungeschminkt» wurde bereits auf mehreren Filmfestivals gezeigt. Wurden Sie da mit der Kritik konfrontiert, dass nur Schauspielerinnen und Schauspieler Transpersonen spielen sollten, die selbst Transpersonen sind?
Ich glaube, dass diese Kritik nur klarstellen will, dass nicht mit Sensationslust an solche herausfordernden Rollen gegangen werden sollte, sondern mit wahrer Hingabe. Und ich spiele alle meine Rollen mit wahrer Hingabe. Deshalb fühle ich mich nicht angesprochen.
Diese Hingabe betrifft vor allem auch die Wahl der Themen Ihrer Filme: Ihnen ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf gesellschaftlich wichtige Aspekte zu lenken ...
Richtig, ich will nicht an der Welt, wie sich gestaltet, vorbeireden. Und Transgeschlechtlichkeit ist ein Thema, das sehr universell ist. Man sollte meinen, das ist ein ganz spezifisches Thema. Natürlich auch. Aber es ist universell. Wir bleiben Menschen, egal, welche Geschichte wir durchwandeln. Und was tun wir einander an?! Wir müssen lernen, einander zu verzeihen, sonst wird das ewig so weitergehen.
Welche Themen beschäftigen Sie besonders im Moment?
Wir müssen gemeinsam die Ärmel hochkrempeln und einen Weg finden, wie wir unsere Umwelt heilen, anstatt immer nur klein-klein herumzutun. Wir müssen aufhören, uns gegenseitig Leid zuzufügen. Wir müssen akzeptieren, dass wir unterschiedlicher Meinung sind, dass wir unterschiedliche Haltungen haben.
Wir leben alle auf ein und demselben Planeten. Also müssen wir schauen, dass wir miteinander auskommen. Und solche Filme wie «Ungeschminkt» tragen dazu bei. Im übertragenen Sinne. Denn Filme können uns weichmachen, uns sensibilisieren, wie wir überhaupt miteinander umgehen.
Ähnlich wie Josefa im Film haben Sie jahrzehntelang gegen sich selbst gekämpft. In Ihrer Autobiografie «Ich war mein grösster Feind» erzählen Sie offen über Phasen der Depression und Ihre Selbstmordversuche. Sind Sie inzwischen Ihr bester Freund?
Es wird immer besser. Ich muss zugeben, dass diese sehr unangenehme Erfahrung mit dem Fahrradunfall während der Dreharbeiten ein guter Baustein für die Akzeptanz meiner Person war. So furchtbar das war. So richtig schlimm war eigentlich, dass ich den Film nicht zu Ende gebracht habe und dass ich einen anderen Film absagen musste und somit viele Menschen in die Unsicherheit geschickt habe.
Das hat mich wirklich belastet. Auf der anderen Seite habe ich durch meinen Unfall gesehen, was mein Körper alles kann. Was er durch die Arbeit an ihm leistet und wie brav er heilt. Obwohl ich nicht wirklich gut mit ihm umgehe. Sprich: Ich ernähre mich nicht ausreichend gesund, ich rauche wieder. Und trotzdem ist er mir so ein gutes Haus.
Was würden Sie der hadernden Adele von früher heute sagen?
Ich hätte ihr gewünscht, dass sie um Hilfe ruft. Dass sie es laut sagt und nicht Hand an sich legt. Hätte ich eine Therapie gemacht, hätte man mich sicher schneller aus der dunklen Phase rausgeholt. Ich hätte nicht so viele Jahre damit zugebracht. Auf der anderen Seite hat mich diese Angst und Wut, dieser Selbsthass, dazu gebracht, die zu werden, die ich heute bin.
Ich habe mich auf eine Art und Weise selbst in die Welt geholt. Obwohl ich mich eigentlich rausholen wollte. Vielleicht hat mich diese Zeit auch reich und sensibel gemacht, für die Dinge, die ich versuche umzusetzen. Künstlerisch. Das macht mich glücklich, dass ich so ausgestattet bin. Ich kann vieles dadurch auch inniger verstehen.
Sie haben einmal gesagt: «Meine Heimat ist in mir. Wirkliche Heimat bin ich.» Was haben Sie damit gemeint?
Ich war selber überrascht, dass dieser Satz aus mir herauskam (lacht). Aber genau so ist es. Früher habe ich mich immer nach meiner ursprünglichen Heimat Griechenland zurückgesehnt. Über die Jahre habe ich dann aber entdeckt, dass es gar kein Ort ist, sondern dass ich es bin.
Wenn ich mir nicht vertraue, wie soll ich anderen vertrauen? Wenn ich mich nicht schätze, wie kann ich andere schätzen? Wenn ich daran denke, was ich alles gemacht habe, als ich jung war ... Zu viel Alkohol, zu viel von vielem ... Aber ich habe es geschafft, ich habe mich nach Hause gebracht. All diese Dinge, die ich mit mir erlebt habe, haben mir gezeigt: Ich bin es. Ich bin meine Heimat.
Suizid-Gedanken? Hier findest du Hilfe:
Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.
Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefonnummer 143 oder www.143.ch
Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefonnummer 147 oder www.147.ch
Bötschi fragt Daniel Ziegler: «Ich schwimme jeden Tag anderthalb Kilometer»
Daniel Ziegler ist der musikalischste Komiker weit und breit. Der 51-Jährige aus Appenzell Ausserrhoden bereitet ein neues Soloprogramm vor. Im «Bötschi fragt» beweist er zudem, dass er wunderbar Pasta kochen kann.