Schweizer «Tatort» im Check Grandjean purzelt in die Hölle

Fabian Tschamper

22.12.2024

Mythologische Anspielungen, ein todgeweihter Mörder und eine Kommissarin in der Krise: Der Zürcher «Tatort» verspricht viel, liefert aber am Ende zu wenig.

Fabian Tschamper

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der «Tatort» aus Zürich beginnt stark mit einer spannenden, mythologisch inspirierten Handlung um einen todgeweihten Serienmörder.
  • Die Folge verliert aber an Spannung durch unprofessionelles Verhalten der Kommissarin, schwache Charakterentwicklung und ein fadenscheiniges Täter-Motiv.
  • Trotz vielversprechendem Auftakt scheitert die Episode an zu vielen Füllszenen und einer unbefriedigenden Auflösung.

Im Leben soll man doch hin und wieder etwas Neues ausprobieren. Deshalb habe ich mir ein Herz gefasst und die frische «Tatort»-Episode angeschaut – für mich die erste überhaupt. Sie kommt diesmal aus Zürich, mit den beiden Kommissarinnen Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Ott (Carol Schuler).

Beim Titel «Fährmann» wurde ich schon hellhörig, da ich eine Faszination für die griechische Mythologie habe. Ich assoziiere den Begriff mit Charon, der die Seelen der Toten über den Fluss Styx an den Eingang zur Unterwelt, zum Hades schifft. Als Bezahlung für die Überfahrt wird den Toten eine Münze unter die Zunge gelegt.

Und genau da setzt der Krimi auch an, gleich in der ersten Szene röchelt ein älterer Mann vor sich hin. Dabei wird er von einem dunkelhaarigen, Mantel und Handschuhe tragenden Lucas Gregorowicz beobachtet. Der Schauspieler in der Rolle von Marek wünscht dem Dahinscheidenden «eine gute Fahrt». Da hat er mich, der «Tatort». Auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass wir uns nicht ins Übernatürliche bewegen werden.

Am Weihnachtsmarkt in Zürich begegnet Isabelle Grandjean dem gut aussehenden Marek – er macht ihr klar, dass er nicht mehr viel Zeit für Smalltalk hat. In seinem Hirn macht sich ein Tumor breit und seine Zeit auf Erden hat ein Ablaufdatum – also steigt die Kommissarin prompt mit ihm ins Bett? Da hat mich der «Tatort» wieder ein bisschen verloren.

Klar, man vermutet nie das Schlimmste bei einer neuen Bekanntschaft, aber das scheint mir doch fahrlässig. Selbst, wenn sich Grandjean zu Weihnachten einsam fühlt. Als Kommissarin müsste sie in der Hinsicht viel vorsichtiger vorgehen. Aber gut, ich toleriere es, für die Handlung! Für die Spannung!

Der Todgeweihte bringt den Tod

Bald darauf erhält die Kommissarin einen persönlich adressierten Brief. Darin befinden sich Koordinaten, die sie in Zürich ans Ufer der Limmat leiten. Anbei erhielt Grandjean noch einen kryptischen Satz, der vom Hinabsteigen in den Hades spricht. Zuerst dachte ich, die Autor*innen des «Tatort» zitieren Dantes «Göttliche Komödie», aber nach kurzer Recherche scheint dem nicht so zu sein.

Item, bei den Koordinaten findet sie den Mann, der anfangs aus dem Leben scheidet. «Bitte nicht», nuschelt sie vor sich hin. Sie, wie auch ich, weiss, was sie im Mund des Mannes finden wird – eine Münze unter der Zunge.

Ein starker Auftakt! Wir haben es also mit einem todgeweihten Serienmörder zu tun.

Danach nimmt die Spannung ab, da muss ich ehrlich sein. Grandjean ist eine Kommissarin bei der Polizei, doch sie verhält sich wie eine Zivilistin, die von einem Mörder bedrängt wird – macht das Sinn? Sie hat unendliche Ressourcen, die ihr zur Verfügung stehen, um den Täter zu finden. Doch sie entscheidet sich, auf eigene Faust zu ermitteln und gaukelt ihren Kolleg*innen deshalb vor, sie sei krank.

Zu viel belangloses Geplänkel

Grandjean erinnert der Fall an Philipp Tournier, einen jungen Mann, den sie fälschlicherweise für einen Doppelmord verhaftet hat. Nach dem Geständnis hat er sich das Leben genommen. Die Kommissarin fühlt sich schuldig – geht sie vielleicht deshalb auf eigene Faust los? Das ist eine seltsame Art, eine Verbindung zum gegenwärtigen Verbrechen herzustellen – als hätte man zu wenig Material gehabt, um die Geschichte von Marek mit einem echten Motiv auszuschmücken.

Anyway, der «Tatort» füllt unzählige Szenen mit belanglosem Geplänkel, dazwischen wird manchmal die Handlung vorangetrieben. Es ist schade, ganz ehrlich. Die Thematik ist unendlich spannend, aber schliesslich ist bei dieser Folge zu wenig Fleisch am Knochen.

Eigentlich müsste diese «Tatort»-Folge rund 20 Minuten dauern: Grandjean kommuniziert, dass sie so einen Fall schon mal erlebt hat und gibt zu, die Münze im Mund des Opfers geklaut zu haben. Die Polizei setzt mit Teamwork die Puzzleteile zusammen und – tada – Mörder gefunden!

Die Polizei ist unprofessionell

Generell ist das Verhalten von Isabelle Grandjean komplett unprofessionell und übertrieben dramatisch. Tourniers Verhaftung und der darauffolgende Selbstmord liegen 20 Jahre zurück – dennoch zweifelt Grandjean deshalb ihre ganze Karriere an. Was hat sie denn die letzten zwei Jahrzehnte gemacht? Nie richtig gelegen bei ihren Verhaftungen? Ach komm.

Was wie ein starker Psychothriller beginnt, entgleist gegen Ende. Gründe dafür sind: Zu viele Füllszenen, die nichts zur Handlung beitragen, ein fadenscheiniges Motiv des Täters und eine gestandene Kommissarin, die ihre ganze Karriere aufgrund einer Fehlentscheidung in Frage stellt.

Vielleicht gebe ich dem «Tatort» in Zukunft dennoch wieder eine Chance. Mal schauen.


Mehr aus dem Ressort Entertainment

Erfolgsmusical «Wicked» im Kino: «Ich habe keine Lust so lange zu warten»

Erfolgsmusical «Wicked» im Kino: «Ich habe keine Lust so lange zu warten»

«Wicked» gehört zu den beliebtesten Musicals am Broadway. 65 Millionen Menschen hat die Geschcichte über die böse Hexe des Westens begeistert. Braucht es da jetzt wirklich noch eine Verfilmung?

12.12.2024