«Tatort» im Check Gab es die Hitler-Lieder aus Tukurs Retro-Krimi wirklich?

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20.10.2024

Ulrich Tukur und die Kreativen vom HR hatten mal wieder eine Idee: Der «Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich» spielte vor allem im Jahr 1944. Als Nazi-Ermittler Rother sang Tukur darin Lob- und Spottlieder über den Führer. Hatte Adolf Hitler tatsächlich nur einen Hoden?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ab ins Jahr 1944: Im «Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich» ermittelte Felix Murot (Ulrich Tukur) zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.
  • Im Mittelpunkt des ungewöhnlichen Krimis standen unter anderem zwei Lieder, wovon besonders eines Adolf Hitler verunglimpfte – nach realer Vorlage?
  • Bekannt dürfte dem ein oder anderen Zuschauer derweil ein junger Schauspieler gewesen sein, dessen Eltern beide «Tatort»-Vergangenheit haben.

Kenner der «Tatorte» mit Felix Murot (Ulrich Tukur) wissen, dass keine Idee zu verrückt ist, als dass sie die hessischen Kreativen nicht ausprobieren würden. So geschehen beim neuen Fall «Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich». 95 Prozent der Handlung spielte diesmal Jahr 1944.

Weil Murot damals noch nicht ermittelte, musste ein Alter Ego gefunden werden, das nicht nur Tukurs Gesicht trug, sondern auch dessen leicht verschrobene Art sowie die Liebe zur exakten Sprache und Ermittlungslogik teilte: Geboren wurde – wohl nur für einen Fall – Nazi-Sonderermittler Rother.

Der setzte sich sogar ans Klavier, um Nazi-Spottlieder und Hitler-Lobpreisungen zum Besten zu geben – um das Publikum zu beobachten und zu erfahren, wer systemtreu oder eher kritisch reagiert. Eine schöne Idee, wenn man bedenkt, dass es wahrscheinlich nur darum ging, Retro-Fan und Musiker Ulrich Tukur mal wieder das Piano spielen und singen zu lassen.

Wurden die beiden sehr speziellen Lieder extra für den Film erfunden oder sind sie historisch? Und wie schaffte man es, dass im Krimi ein ganzes Dorf so aussah, als hätte jemand die Uhr um 80 Jahre zurückgedreht?

Worum ging es?

Nazi-Ermittler Rother (Ulrich Tukur) blieb im Frühjahr 1944 mit seinem jungen Assistenten Hagen von Strelow (Ludwig Simon) und einer kleinen Entourage mit dem Auto in der hessischen Provinz liegen. Vom Strassenrand aus beobachteten sie den Absturz eines britischen Kampfflugzeugs. Nachdem die Durchreisenden in ein Dorf abgeschleppt worden waren, war klar: Die Reparatur des Fahrzeuges würde ein paar Tage dauern. Die Nazi-Polizisten stiegen im Gasthof von Clara Breuninger (Imogen Kogge) und ihrer Helferin Else Weiss (Barbara Philipp) ab.

Wenig später wurde der britische Pilot tot aufgefunden. Er war nicht in seinem Flugzeugwrack gestorben, sondern wurde ermordet. Offenbar hatte der Brite brisante Papiere dabei, die für den weiteren Verlauf des Krieges sehr relevant sein könnten.

Ermittler Rother versuchte, die Bevölkerung des Dorfes näher kennenzulernen, um einzuschätzen, wer im untergehenden Nazi-Reich nach wie vor systemtreu ist und wer die Treue zum Führer lediglich vorgaukelt. Konnte jemand aus dem Dorf, dem eigenen Stab – oder gar Rother selbst – ein Interesse daran haben, dass der Brite mit einer geheimnisvollen Fracht niemals ankommt?

Worum ging es wirklich?

Der «Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich» beschäftigt sich – neben einem Mord mit übersichtlichem Verdächtigenkreis nach guter, alter Agatha Christie-Tradition – im Hintergrund mit der bevorstehenden Invasion der Alliierten. Die fand tatsächlich am 6. Juni 1944 statt – vor 80 Jahren. Das fiktive Mordopfer transportierte die Pläne zur Militäraktion, die aus Sicht der Alliierten keinesfalls in die Hände der Nazis fallen durften.

Das Besondere am Krimi von Michael Proehl und Dirk Morgenstern (Drehbuch) war, dass ihre Geschichte nicht nur nach einem Mörder fahndete, sondern die Ermittlungen in einer Atmosphäre der Angst stattfanden.

Die entsteht dann, wenn man weiss: Es ist kein faires, demokratisches Rechtssystem, das da richtet. Dazu HR-Redakteur Jörg Himstedt: «Es war uns wichtig, einen Bogen zu schlagen, zu erzählen, was eine Diktatur mit Menschen macht, ob es Zivilcourage gibt und was der Preis dafür sein kann. Gleichzeitig hat uns natürlich gereizt, das Format ‹Tatort› in einem anderen Kontext zu transponieren und gleichzeitig einen spannenden Fall zu erzählen – nur einmal ganz anders.»

Wer war der fiese junge Offizier?

Der junge Hagen von Strelow, ein ziemlich fieser Vorzeige-Nazi, wird vom 27-jährigen Ludwig Simon verkörpert. Ab Januar 2017 war er für einige Folgen als Sohn des ehemaligen Saarbrücker «Tatort»-Kommissars Jens Stellbrink zu sehen, der von Devid Striesow gespielt wurde.

Besonders daran ist, dass Simon tatsächlich der leibliche Sohn Devid Striesows ist. Seinen Nachnamen hat er allerdings von seiner ebenfalls bekannten Mutter: Maria Simon, die früher als «Polizeiruf 110»-Ermittlerin Olga Lenski in Brandenburg aktiv war. Die Beziehung von Ludwig Simons damals jungen Eltern hielt allerdings nicht. Beide hatten danach weitere Kinder mit neuen Partnern.

Wo steht das alte Dorf, in dem gedreht wurde?

Ein so perfektes Retro-Dorf wie im «Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich»: So etwas gibt es doch gar nicht in echt, oder? Tatsächlich drehte Regisseur M.X. Oberg im Hessenpark, einem Freilichtmuseum in Neu-Anspach im Hochtaunuskreis (bei Frankfurt). Dort stehen auf 65 Hektar Fläche mehr als hundert historische Gebäude, wo die Geschichte des hessischen Dorflebens der letzten Jahrhunderte weiterlebt.

Die ebenfalls historische Kneipe, in der Ulrich Tukur zum Klavier singt und ermittelt, findet sich allerdings nicht dort. Sie steht im hessischen Büdingen, wo eine leer stehende Kneipe über drei Wochen umgebaut werden musste, damit «historisch» gedreht werden konnte.

Welche Lieder singt Ulrich Tukur in der Kneipe?

In einer Szene spielt Ulrich Tukur mal wieder Klavier und singt im Wirtshaus Adolf-Hitler-Lieder vor den Augen und Ohren der Dorfgemeinschaft. Die beiden vorgetragenen Songs «Adolf Hitlers Lieblingsblume ist das schlichte Edelweiss» sowie «Hitler has only got one ball» sind historisch – es gibt sie wirklich.

Ersteres schrieb der Komponist Otto Rathke nach der Machtergreifung der Nazis 1933 zu Ehren des Führers: «Adolf Hitlers Lieblingsblume ist das schlichte Edelweiss» mit dem Text von Emil Gustav Adolf Stadthagen, gesungen vom Opernsänger Harry Steier. 1939 verbot die Reichsmusikprüfkammer das Lied mit der Begründung, es sei «nationaler Kitsch». In Nazi- und später Neonazi-Kreisen blieb es jedoch populär.

Der Song «Hitler has only got one ball» hingegen ist ein britisches Spottlied, das während des Zweiten Weltkrieges auf die Melodie des 1914 komponierten «Colonel Bogey March» gesungen wurde. Man kennt die Melodie aus dem Film «Die Brücke am Kwai» oder aus der Underberg-Werbung («Komm doch mit auf den Underberg»).

Die Original-Textzeile lautet: «Hitler has only got one ball, Göring has two, but very small». In der Tat tauchte vor etwa zehn Jahren ein verschollen geglaubtes Arzt-Dokument auf, das die Ein-Hoden-These der Engländer belegt. Bei einer körperlichen Untersuchung Hitlers im Gefängnis nach dessen gescheitertem Putschversuch 1923 wurde «rechtsseitiger Kryptorchismus» festgestellt.

Wie geht es mit dem Tukur-«Tatort» weiter?

Ende Mai 2024 veröffentlichte der Hessische Rundfunk eine Meldung, dass gerade der neue «Tatort: Murot und der Elefant im Raum» gedreht wird. Ausgestrahlt werden dürfte der Film im Herbst 2025.

Das Drehbuch stammt von Dietrich Brüggemann, der wie bereits beim «Tatort: Murot und das Murmeltier» auch Regie führte. Es geht um eine Mutter (Nadine Dubois), die ihren fünfjährigen Sohn am Familiengericht entführt und sich im Taunus versteckt.

Hier wollen Murot und seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) mithilfe einer besonderen psychologischen Technik suchen: Murots Therapeut Dr. Schneider (Robert Gwisdek) hat eine Maschine entwickelt, mit deren Hilfe man in seiner eigenen Psyche spazieren gehen kann wie in einer Landschaft.