Locarno-Chefin Lili Hinstin Locarno-Chefin Lili Hinstin: «Natürlich würde ich ‹Star Wars› auf der Piazza zeigen»

Lukas Rüttimann

9.2.2019

«Bluewin» traf Lili Hinstin zum Interview. 
«Bluewin» traf Lili Hinstin zum Interview. 
Keystone

Lili Hinstin, 41, ist die neue Leiterin des Filmfestivals Locarno. Die Französin über den Spagat zwischen Kunst und Kommerz, Gratispässe für Junge – und warum sie das aktuelle Kinoprogramm nicht kennt.

Madame Hinstin, diese Woche hielten Sie im Landesmuseum Zürich Ihren ersten öffentlichen Schweizer Auftritt seit Ihrer Vorstellung in Locarno ab. Ist das als Zugeständnis an die Hochkultur zu werten?

Nein, das wäre zu viel hineininterpretiert. Ich liebe das Kino und bin mein ganzes Leben lang schon von Menschen umgeben, die das auch tun. Ich sehe es aber als meine Aufgabe an, auch Menschen für den Film zu begeistern, die nicht bereits mit dem Kino-Virus infiziert sind. Dafür war der Auftritt im Landesmuseum eine gute Gelegenheit.

Sie haben mehr Qualität und weniger Mainstream in Locarno angekündigt ...

(unterbricht) ... habe ich das? Locarno ist für mich schon immer ein Festival der höchsten Qualität gewesen. Diese zu steigern, halte ich für schwierig. Vielleicht meinte ich damit, dass ich den Qualitätsstandard meiner Vorgänger gerne beibehalten würde. Generell bin ich gegen Ghettos. Ein Ghetto kann sein, wenn in einem Umfeld nur Trash am TV konsumiert wird und man gar keine Chance hat, eine andere Filmwelt zu entdecken. Ein Ghetto kann aber auch sein, wenn jemand sich nur für hochintellektuelle Filme interessiert und alles andere verachtet. Qualität gibt es überall, bei Blockbustern wie Arthouse-Filmen.

Sie haben also kein Problem mit dem Blockbuster-Kino?

Absolut nicht. Wenn das Drehbuch gut ist und ich mich nicht langweile, finde ich Blockbuster-Filme toll. Für mich ist ein guter Film keine Frage des Budgets.

Herz und Seele des Filmfestivals Locarno ist die Piazza Grande mit ihren 8’000 Zuschauern. Wie wollen Sie den Spagat schaffen, dort sowohl Familien und Kids wie auch Filmkenner zufriedenzustellen?

Ich werde mein Bestes geben, solche Filme zu finden und sie auf der Piazza zu zeigen. Dass es sie gibt, davon bin ich überzeugt. Denken Sie bloss an einen Film wie «Star Wars».

Keine Angst vor den Reaktionen der Kulturpessimisten, wenn Sie im ersten Jahr gleich «Star Wars» auf der Piazza zeigen würden?

Natürlich nicht! Auf der Piazza muss das möglich sein, dort laufen Filme für ein breites Publikum. Nicht umsonst wurde dort letztes Jahr «The Equalizer 2» gezeigt.

Eines Ihrer erklärten Ziele ist es, Locarno für das junge Publikum zu öffnen. Wie wollen Sie das erreichen?

Ich denke, man kann in dieser Frage viel von Netflix lernen. Die Jungen sind nicht nur wegen der Inhalte auf Netflix, sondern wegen der Gewohnheit, wie sie heute Filme konsumieren. Sie schauen ihre Sachen wann und wo sie wollen. Häufig ist das zuhause. Auf der anderen Seite lieben es die jungen Leute mehr denn je, zusammenzukommen und etwas gemeinsam zu erleben. Hier können wir sie abholen, denn ein Festival ist wie ein Konzert. Ein Piazza-Screening ist ein kollektives emotionales Erlebnis. Ich habe letzthin einen Film auf der Piazza geschaut, den ich nicht mochte. Doch weil ich dieses immense gemeinschaftliche Gefühl mit den anderen Zuschauern gespürt habe, war es für mich trotzdem ein Erlebnis. Zusammen erleben, sich austauschen, sich begegnen – darum geht es an einem Filmfestival.

Lili Hinstin im April 2018, als sie als neue Locarno-Chefin vorgestellt wurde.
Lili Hinstin im April 2018, als sie als neue Locarno-Chefin vorgestellt wurde.
Keystone

Gibt es schon konkrete Neuerungen für die Ausgabe 2019?

Eine der simplen Neuerungen, die bereits beschlossen sind, dreht sich um das angesprochene Thema der Verjüngung. Wir werden junge Leute ohne Geld ans Festival einladen. Die Idee ist, 200 junge Menschen vor allem aus der Schweiz, aber auch einige aus dem Ausland, ans Festival einzuladen. Wir geben ihnen einen Pass und sorgen für die Übernachtung. Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie teuer das Festival für Junge ist. Ich konnte mir Locarno auch nicht leisten, bis ich selber in der Filmindustrie gearbeitet habe.

Wie stehen Sie zum Thema Filmstars in Locarno? Viele Leute wollen an einem Festival einfach möglichst viele grosse Stars sehen.

Locarno hat ja durchaus Tradition mit grossen Namen aus der Filmindustrie. Ich meine, sogar Harrison Ford war dort. Es ist aber nicht immer einfach, grosse Stars zu kriegen, weil das Festival mitten in der Ferienzeit stattfindet. Aber wir werden unser Bestes versuchen, erneut spannende Persönlichkeiten mit grossen Verdiensten für das Kino nach Locarno zu holen.

Ein vieldiskutiertes Thema sind TV-Serien an Filmfestivals. Werden wir davon in Locarno künftig mehr sehen?

Ich bin gegenüber Serien sehr offen. Ich habe bereits an meiner alten Wirkungsstätte in Belfort ein Programm mit TV-Filmen von grossen Regisseuren wie Claude Chabrol gezeigt. Viele Filmfans hatten keine Ahnung, wer schon alles für das Fernsehen gearbeitet hat. Das Formale spielt keine Rolle, solange das Publikum Neues entdecken kann.

Sehen Sie das andere grosse Schweizer Filmfestival, das ZFF, als Konkurrenz oder als Verbündeten?

Weder noch. Festivals wie das ZFF gibt es in vielen Ländern. Man zeigt dort vor allem Previews auf Filme, die später ins Kino kommen. Das ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil. Aber wir haben in Locarno einen anderen Ansatz. Bei uns sollen Filme entdeckt werden. Ich habe irgendwo gelesen, dass Locarno viel Mut beweise, eine Landkarte des aktuellen und künftigen Filmschaffens zu erstellen, die von Filmschaffenden auf der ganzen Welt angeschaut werde. Diese Beschreibung hat mir sehr gefallen.

Wann ist das Filmfestival Locarno für Sie ein Erfolg?

Wenn die Piazza gut besucht ist und eine gute Stimmung herrscht. Wenn viele spannende Begegnungen stattgefunden haben. Auch das internationale Feedback ist mir wichtig.

Welchen aktuellen Film würden Sie empfehlen?

Oh, das wurde ich kürzlich auch in Frankreich gefragt und hatte keine Antwort darauf! Das Problem ist: Ich sehe die meisten Filme sehr viel früher und habe keine Ahnung, was läuft. Jetzt komme ich zum Beispiel vom Sundance Festival, dort kenne ich das Programm. (lacht)

Etwas Spannendes für Locarno entdeckt?

Das verrate ich nicht.

Das Filmfestival Locarno findet dieses Jahr vom 7. bis 17. August statt. 

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