Manche lieben es lang 14 Stunden Kino-Marathon in Locarno: Lohnt sich das? Und wie!

Nicolai Morawitz

10.8.2018

Mariano Llinas hat ein biblisches Werk von 808 Minuten Länge geschaffen, in dem sieben Sprachen gesprochen werden.
Mariano Llinas hat ein biblisches Werk von 808 Minuten Länge geschaffen, in dem sieben Sprachen gesprochen werden.
Locarno Festival

Das Locarno Festival ist bekannt dafür, seinem Publikum auch längere Filme zuzumuten. Doch der diesjährige Streifen «La Flor» bricht alle Rekorde: Fast 14 Stunden, also mehr als 800 Minuten, dauert die Produktion des argentinischen Regisseurs Mariano Llinas. «Bluewin» hat ihn und hin- und hergerissene Zuschauer getroffen.

Die gesamte «Herr der Ringe»-Trilogie: Neun Stunden Kino-Erlebnis. Die vollständige «Harry Potter»-Saga: 19 Stunden Leinwandflimmern. Beim Locarno Festival schafft es in diesem Jahr ein einziger Film, knapp an der 14-Stunden-Marke zu kratzen.

Die Kinogänger scheint das aber nicht abzuschrecken: Trotz schwüler Hitze pilgern bestimmt zweihundert Menschen von der schmucken Altstadt in Richtung der Betonwüste des «Fevi», eine Mehrzweckhalle, die sich während des Festivals in ein Kino verwandelt. Die Zuschauer wollen sich auf den Film-Marathon einlassen, zu dessen Beginn auch der Regisseur Mariano Llinas und Festivaldirektor Carlo Chatrian anwesend sind. 

Llinas ist ein sanftmütiger Hüne, der die Zuschauer aus einem Vollbart anlacht: Die erste Pause sei erst nach drei Stunden vorgesehen, lässt er das Publikum wissen und verrät zugleich ein Code-Wort, das zur Vorbereitung helfe. Denn der Unterbruch soll nur fünf Minuten dauern, und er will gut vorbereitet sein.

Mut zur Musse

Die Sitzreihen leeren sich aber auch nach dieser Ankündigung nicht. Viele Zuschauer haben schon einzelne Episoden des Streifens gesehen und sind infiziert.

Beim Filmfestival können sich die Zuschauer «La Flor»  in unterschiedlichen Dosen verabreichen: Einerseits in acht Teilen und dafür mit mehr Atempausen oder als Blockbuster mit bis zu fünf Stunden Länge in drei Teilen.

Süsse Überforderung

Eine wirkliche Konstante ist in «La Flor» nur die ausserordentliche Schauspielleistung der vier Hauptdarstellerinnen: Sie können Agentinnen mimen, sich in wutentbrannte Sängerinnen verwandeln oder als gebrochene Guerilla-Kämpferinnen auf Sinnsuche gehen. Sie bezirzen, schweigen stark und verschwinden sang und klanglos. Einfach fulminant.

Festivaldirektor Chatrian sieht den Film in seinen sechs Episoden von verschiedenen Filmkunstformen inspiriert. Jede Episode gehört einem Genre an. Die erste Episode könne als B-Film betrachtet werden, also als diejenige Sorte von Film, welche die Amerikaner früher mit geschlossenen Augen gedreht haben und heute einfach nicht mehr drehen können.

Die zweite Episode sei eine Art Musical mit einem geheimnisvollen Touch. Die dritte Episode wiederum ein Spionagefilm. Die Vierte dagegen schwer zu beschreiben. Die Fünfte sei von einem alten französischen Film inspiriert. Und die letzte Episode handle von einigen gefangenen Frauen, die im 19. Jahrhundert, nach vielen Jahren bei den Indianern, aus der Wüste zurückkehren. Llinas: «Wir arbeiten gegen die Filmindustrie.»

Bei einem Film, der 14 Stunden dauert und fast zehn Jahre bis zum Abschluss brauchte, drängt sich schnell die Frage auf, wer ein solches Mammutwerk überhaupt finanziert. Regisseur Llinas erklärt seine ganz eigene Strategie im Interview und gibt Empfehlungen für das richtige Kinoerlebnis mit «La Flor».

Das Kino als Wunderlampe, das Erleuchtung und Erhabenheit verspricht. Auch wenn man dafür 14 Stunden in einem abgedunkelten Kino-Saal sitzen muss. Dieser Wunsch und Widerspruch liegt im Werk des argentinischen Regisseurs ganz nah beieinander. 

«Irgendwann musste ich den Film einfach beenden, ansonsten hätte ich ja niemals zu einem Festival kommen können», sagt Llinas augenzwinkernd.
«Irgendwann musste ich den Film einfach beenden, ansonsten hätte ich ja niemals zu einem Festival kommen können», sagt Llinas augenzwinkernd.
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