Doku über pädophilen TV-Star Ein Monster im Rampenlicht

Von Manuel Kellerhals

12.4.2022

Kam die Enthüllung von Moderator Jimmy Savile als notorischer Kinderschänder wirklich so überraschend? Eine neue Netflix-Doku zeigt, dass der TV-Star sogar selbst öffentlich immer wieder von seiner dunklen Seite sprach. 

Von Manuel Kellerhals

Der Name der neuen Netflix-Dokumentation «Jimmy Savile: A British Horror Story» ist gut gewählt. Denn das Bild, das die Macher in zwei Episoden zeichnen, ist erschreckender als jeder Monsterfilm aus Hollywood. 

Jimmy Savile war jahrzehntelang einer der erfolgreichsten TV-Stars Grossbritanniens, sogar einer der beliebtesten Briten überhaupt. Neben seiner Fernsehkarriere war er vor allem als Wohltäter bekannt.

Über 40 Millionen Pfund sammelte Savile in lebenslanger Arbeit für wohltätige Zwecke. Er pflegte enge Kontakte zu Premierministerin Margaret Thatcher, zählte Prinz Charles und Prinzessin Diana zu seinen Freunden, wurde 1990 zum Ritter geschlagen – und war in den Worten von «Scotland Yard» der «schlimmste Sexualverbrecher in der Geschichte von Grossbritannien». 

Grabstein musste entfernt werden

Über 300 mutmassliche Opfer meldeten sich nach seinem Tod bei der Polizei. Ein Jahr nachdem sein Begräbnis im Staatsfernsehen ausgestrahlt worden war, entfernten die Behörden seinen Grabstein, um Vandalen zuvorzukommen. 

Der Fall vom Nationalhelden zum Monster war für viele Briten ein Schock. Doch wie «Jimmy Savile: A British Horror Story» nun eindrucksvoll aufzeigt, war dessen dunkle Seite alles andere als ein wohlgehütetes Geheimnis. 

In allen Gesellschaftsschichten soll es Gerüchte gegeben haben, dass mit dem Moderator etwas nicht stimmt. Bei seinem Arbeitgeber, der BBC, bei den Kliniken, denen er Geld spendete oder im Pub am Eck – überall wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt.

«Das ist alles nur eine Fassade»

Doch überprüft wurden die Gerüchte nicht. Denn auch das zeigt die Netflix-Dokumentation: Savile versteckte seine zahlreichen Gräueltaten unter dem Mantel des Exzentrikers. Indem er selbst Sprüche über seine dunkle Seite im TV klopfte, nahm er den Gerüchten den Biss. 

«Du machst einen tollen Job, Jimmy», lobt etwa eine Moderatorin Saviles wohltätige Bemühungen in einem Ausschnitt. «Nein, das ist alles nur eine Fassade. Das sind alles Lügen», antwortet Savile. Die Moderatorin lacht, das Publikum lacht. Heute sträuben sich bei einem solchen «Witz» – und Savile machte über Jahrzehnte Hunderte davon – die Haare.

Seine vermeintliche Offenheit und sein böser Sarkasmus dienten dazu, sich einen Schutzschild aufzubauen. Savile erschuf sich eine Aura des sympathischen Spinners. Für viele Briten war der TV-Star gefühlt ihr Freund, ihr Kumpel. Und der Kumpel hatte halt seine Marotten.

Bei seinem zwielichtigen Ruf halfen ihm auch seine zahlreichen Kontakte in das britische Königshaus, zur Polizei, zur Politik. Für seine Opfer war es wegen seines Status praktisch unmöglich, ernst genommen zu werden. Vor allem, weil er ja dank seiner aufwendigen Spendenkampagnen als grosser Wohltäter bekannt war. 

Die Dokumentation fokussiert sich vor allem auf den Täter. Im Archivmaterial sieht man seinen Aufstieg zum Staatsidol. Aber auch die zahlreichen Ticks und Aussagen, die die Menschen schon zu Lebzeiten stutzig machen sollten. Sie alle sind für immer auf Band festgehalten.

Für diesen Ansatz wird «Jimmy Savile: A British Horror Story» im Netz kritisiert. Netflix würde aus dem schrecklichen Skandal rund um Jimmy Savile nun Profit schlagen, heisst es etwa in den sozialen Medien immer wieder.

Opfer spricht erstmals ausführlich

Tatsächlich kommt in der ersten Folge der Sendung nicht ein einziges Opfer zu Wort. Umso bewegender ist es, als in der zweiten Episode die Britin Sam Brown ihre Geschichte erzählt. Sie wurde als Elfjährige von Savile beim Kirchgang mehrmals missbraucht. Der Moderator langte ihr am helllichten Tag unter den Rock und in die Unterhose, manchmal unbemerkt im Beisein von anderen Erwachsenen. 

«Ich fühlte mich, als ob mich niemand als Mensch sehen wollte», erzählt Brown von den qualvollen Momenten, in denen ihre Eltern ihren Schmerz ignorierten. Die Serie gibt ihren Ausführungen nun Platz, ihren Tränen und ihren Vorwürfen. 

Und genau deshalb ist «Jimmy Savile: A British Horror Story» viel mehr als nur plumpe Effekthascherei. Es ist auch ein nötiges Mahnmal, wie viel unter den Teppich gekehrt werden kann. Wie blendend das Scheinwerferlicht sein kann – nicht nur für die Menschen auf der Bühne, sondern vor allem für das Publikum.

Und wie Monster wie Jimmy Savile niemals mehr davon profitieren dürfen.