Kurioser TrendWarum Streamer ihr Zuhause in ein Planschbecken verwandeln
tsch / mar
28.4.2021
Feuchte Pubertätsträume als Motor für Twitch? Das Phänomen «Hot Tub»-Streams wird derzeit von Usern und Streamern kontrovers diskutiert. Was hinter dem kuriosen Trend steckt.
28.04.2021, 09:46
28.04.2021, 09:55
tsch / mar
Eigentlich gelten bei Twitch strenge Benimmregeln – selbst Fehltritte ausserhalb der Plattform werden seit April bestraft. Die Liste mit Vergehen, die mit einer temporären Kanalsperre bis hin zum permanenten Bann geahndet werden können, ist lang: hasserfülltes Verhalten, Rassismus, Belästigung, Ermutigung zu Hackerangriffen, Anstiftung zu Shitstorms auf Social Media – und natürlich Sex. Nicht nur Nacktheit ist verpönt, auch das Dekolleté von Streamerinnen muss – wie es die Live-Video-Plattform formuliert – «ausreichend bedeckt» und «blickdicht» sein, um dem digitalen Sittenverfall vorzubeugen.
Allerdings haben vornehmlich weibliche Streamerinnen seit geraumer Zeit eine Hintertür gefunden, um mit ihren Reizen die Zuschauerzahlen voranzutreiben. Bekannt wurde die Methode als «Hot Tub»-Streams. Eine Vorreiterin war Kaitlyn «Amouranth» Siragusa. Dass die 27-Jährige zu einer der derzeit erfolgreichsten Streamerinnen avancierte, hat sie unter anderem dem Umstand zu verdanken, dass sie sich im Bikini auf einer XXL-Gummi-Banane räkelt, die wiederum in einem Planschbecken inmitten ihres Wohn- und Arbeitszimmers schwimmt.
Der Grund dafür: Mit dem «Bad» im Planschbecken umgeht Amouranth die strenge Kleiderordnung von Twitch. Denn Badebekleidung im Wasser – das ergibt natürlich Sinn und wird nicht geahndet. Ein Dorn im Auge dürfte es für das Streaming-Videoportal allerdings langfristig sein, dass Darstellerinnen wie Amouranth die Lücke im Twitch-Regelwerk ganz bewusst ausnutzen. Um die Zuschauer zu animieren, schreibt die 27-Jährige sich beispielsweise die Namen von Geldspendern auf den Körper oder suggeriert, dass sie länger halbnackt im Planschbecken bleibt, wenn die Zuschauer weiterhin spendabel sind oder ihren Kanal abonnieren.
Jugendschutz läuft bereits Sturm
Amouranth ist bei Weitem nicht die Einzige, die diesen Weg der Selbstvermarktung geht. Manche Darstellerinnen nutzen die Aufmerksamkeit auf Twitch zusätzlich, um ihren Account auf der Plattform «Onlyfans» zu bewerben, auf der die Inhalte gegen Aufpreis noch expliziter und freizügiger sind.
Verteidiger von Feminismus und Jugendschutz laufen Sturm gegen den Trend. Aber nicht nur diese: Auch bekannte Streamer wie xQc oder der deutsche MontanaBlack prangern das Phänomen als «Müll» an. Besonders bemerkenswert: Sogar Amouranth selbst sieht eine Gefahr darin: «Ich stimme zu, dass die ‹Hot Tub›-Streams langfristig dem Werbeumsatz von Twitch wahrscheinlich schaden», beantwortet sie eine Frage in ihrem Chat. Ihre Begründung: Der frivole Touch der Hot-Tub-Inhalte könnte dazu führen, dass manche Werbekunden Twitch kritisch sehen und künftig abspringen.
Auch der deutsche Streaming-Star Maxim fragt sich, wie es zu diesem Trend kommen konnte.
Bild: Youtube
Goldgräberinnen im Tal der feuchten Träume
Warum Twitch das Phänomen dennoch toleriert? Auch dazu hat Amouranth eine Theorie: Dem Amazon-Tochter-Unternehmen würde nicht entgehen, dass die Streams in knappen Outfits mitunter neue Zuschauergruppen anziehen, die nicht von den Gaming-Streams herrühren und letztlich die Gesamtreichweite von Twitch steigern würden.
Überprüfbar ist allerdings: In den letzten 90 Tagen sind die Werte der Zuschauerstunden und durchschnittlichen Zuschauer um 14,4 Prozent gewachsen. Die Kategorie «Just Chatting» – Inhalte also, die nicht auf das Twitch-Kerngeschäft Gaming zugeschnitten sind – wuchs gleichzeitig um 13,5 Prozent. Ob das an den Planschbecken-Clips liegt oder an der allgemein wachsenden Popularität von Twitch im Rahmen der Lockdown-Langeweile, wissen die Betreiber der Plattform selbst am besten.
Auf der US-Seite «Kotaku» meldete sich eine Frau zu Wort, die als Pionierin der «Hot Tub»-Szene gilt: XoAeriel war angeblich die erste Streamerin in der aufblasbaren Wanne. «Der Goldrausch» sei vorbei, erklärt sie, da der Trend zu viele Nachahmerinnen gefunden hätte.