Gamer geben sich als Gamerin aus«Halt die Fresse, du Schlampe!»
Von Martin Abgottspon
9.3.2023
Mehr als die Hälfte aller Gamerinnen stellen in Online-Spielen ihr Mikrofon stumm. Zu gross ist die Angst vor männlichem Hass. Leider nicht unbegründet.
Von Martin Abgottspon
09.03.2023, 11:37
20.03.2023, 14:26
Martin Abgottspon
Lange Zeit war Gaming eine Männerdomäne. In den letzten Jahren haben die Frauen aber stark aufgeholt. Gemäss Statista waren in den USA im vergangenen Jahr 48 Prozent aller Videospiele-Fans Frauen. Ähnlich dürfte die Verteilung in anderen Ländern aussehen.
Eine weitere Männer-Bastion wankt, und viele Gamer lassen das die Frauen spüren. Bei Online-Spielen schrecken viele Männer nicht davor zurück, ein Spiel vorzeitig abzubrechen, wenn sie mit Frauen im selben Team landen. Diejenigen die bleiben, beleidigen weibliche Mitspielerinnen oft schon, bevor das Spiel überhaupt losgeht oder fallen mit chauvinistischen und sexistischen Bemerkungen auf.
Ein Stimmverzerrer stellt alles auf den Kopf
Natürlich verhalten sich viele männliche Gamer auch korrekt, wahrscheinlich sogar die grosse Mehrheit. Diese vermögen die toxische Minderheit aber nicht aufzuwiegen. Vielleicht auch deshalb, weil sie selber gar nicht genau nachempfinden können, wie brutal der maskuline Hass den Frauen entgegenschlägt.
Das Make-up-Unternehmen Maybelline New York wollte das in einer Kampagne ändern. Dazu luden sie zwei der prominentesten australischen Gamer ein und statteten sie mit Stimmverzerrern aus. Wo «JoelBergs» und «DrewDog» sonst zu den angesagtesten Jägern im Shooter «Call of Duty» gehören, befanden sie sich nun für einmal als unbekannte Frauen auf Überlebensmission.
Wieso tun Frauen sich das überhaupt an?
Ungeachtet ihrer Fähigkeiten am Controller mussten die beiden ziemlich schnell erfahren, wie ungemütlich es als Frau auf dem Schlachtfeld zu- und hergeht. Mitspieler verliessen die Lobbys, sie wurden ignoriert und mit Kommentaren eingedeckt, die grösstenteils zensiert werden mussten. «Halt die Fresse, du Schlampe», gehörte noch zu den harmloseren Beleidigungen.
Die beiden Gamer sassen nach der Online-Session fassungslos vor dem Bildschirm. Ihnen stockte der Atem, sie fanden keine Worte. Jetzt verstünden sie auch, weshalb viele Frauen ihr Mikro stummschalten. «Ich würde dem Chat nie mehr beitreten», meinte «JoelBergs» konsterniert und fragte sich gleichzeitig: «Wieso spielen Frauen überhaupt noch weiter bei all dem Hass?»
Die anwesende Gamerin Amber hatte darauf eine einfache Antwort: «Weil wir Gaming genauso lieben.» Gemäss ihr sollten Spiele kein Männer- oder Frauenklub sein, sondern für alle zugänglich gemacht werden. Und genau das soll diese Kampagne auch bewirken. «Wir hoffen, dass mehr Spielerinnen und Spieler über ihr eigenes Handeln nachdenken und wir uns alle bewusster werden, wie wir einen sichereren Raum in der Gaming-Welt schaffen können», ergänzte die Marketing-Direktorin Alexandra Shadbolt.
Nicht-toxische Männer übernehmen dabei eine wichtige Rolle, in der Schweigen nicht genügt, sondern Frauen bedingungslos und lautstark unterstützt werden müssen.