Gescheiterter Krypto-Börsen-BetreiberEr war der Anführer «einer Kinder-Gang auf den Bahamas»
Von Dirk Jacquemien
14.11.2022
Sam Bankman-Fried ist die neuste Hassfigur der Krypto-Szene. Das einstige «Wunderkind» hat es in nur einer Woche geschafft, seine mit 32 Milliarden Dollar bewertete Krypto-Börse ins Minus zu befördern und die Einlagen von Millionen Kund*innen zu vernichten.
Von Dirk Jacquemien
14.11.2022, 16:35
14.11.2022, 16:57
Dirk Jacquemien
Die Insolvenz von FTX, die vorletzte Woche noch die zweitgrösste Krypto-Börse der Welt war, hat dem Sektor der Digitalwährungen seine x-te Krise dieses Jahr verschafft. Bitcoin fiel auf seinen tiefsten Stand seit über zwei Jahren, auf unter 16'000 Dollar.
Zusammen mit der Bankrotterklärung trat auch FTX' Mitbegründer Sam Bankman-Fried, meist nach seinen Initialen einfach nur SBF genannt, vom Posten als CEO zurück. SBF galt als ein finanzielles Wunderkind und war eine der prominentesten Personen der Krypto-Szene. Doch nun ist von seinem einst mit 32 Milliarden Dollar bewerteten Unternehmen nur noch ein Schuldenberg übrig.
SBF ist der Sohn eines Professorenehepaars der Stanford University, der Hausuniversität des Silicon Valley. Er wurde sogar auf dem Campus geboren und war damit quasi prädestiniert für ein Leben in der Tech-Branche. Nach dem Studium am Massachusetts Institute of Technology, der zweiten grossen Tech-Uni der USA neben Stanford, trat er zunächst einen Job bei einem traditionellen Finanzunternehmen an.
2017 gründete er dann die Krypto-Handelsfirma Alameda Research. Die machte ihr Geld vor allem mit Arbitrage, also dem Ausnutzen von Preisunterschieden desselben Gutes an mehreren Handelsplätzen. In diesem Fall kaufte Alameda Research Bitcoin günstig an US-Handelsplätzen ein und verkaufte sie wieder in Japan. Mit den so erwirtschafteten Einnahmen wurde dann das formell separate Unternehmen FTX gegründet.
Investoren hypten SBF hoch
FTX ist beziehungsweise war eine Krypto-Börse – auch für Privatkonsument*innen. Dort konnten sie ihre hart erarbeiteten Dollars, Euros und Franken in Kryptowährungen umtauschen und mit diesen handeln. FTX wuchs rasant, auch dank Investitionen von bekannten Risikokapitalfirmen des Silicon Valley. Sequoia Capital investierte etwa 213 Millionen Dollar.
Die Investoren bauten auch den Mythos von SBF als «Wunderkind» mit auf. Sequoia Capital veröffentlichte etwa ein überschwängliches Porträt von SBF auf seiner Seite, für das ein prominenter ehemaliger Journalist engagiert worden war. Dieser schrieb beispielsweise, er sei sich sicher, das SBF der erste Billionär der Welt werden würde. Nach dem Kollaps von FTX löschte Sequoia den Artikel ohne Erklärung.
SBF war auch selbst alles andere als medienscheu. Regelmässig zeigte er sich in Fernsehinterview im betont lässigen Look, mit Sweatshirt und wuscheligen Haaren. Er liess sich schlafend auf einem Sitzsack im FTX-Grossraumbüro abfotografieren, als der prototypische aber noch mit Bodenhaftung versehene Start-up-Gründer.
Für Krypto trat er aber gleichzeitig als eine Art Heilsbringer auf. Als im Frühjahr und Sommer mit Terra, Three Arrows Capital, Voyager und Celsius zahlreiche Kryptoprojekte und -unternehmen durch eine Mischung aus Inkompetenz, Hochrisikospekulation und Betrug kollabierten, bot sich FTX als möglicher Partner für Übernahmen an.
Regeln für dich, nicht für mich
Und auch in die Politik mischte er sich ein. Er gehörte zu den grössten Parteispendern während der US-Wahlen 2020 und 2022, vor allem an demokratische Politiker*innen. In Washington sprach er sich für mehr Regulierung der Krypto-Branche aus, was den meisten Mitbewerbern übel aufstiess.
Denn obwohl immer und immer wieder Privatkonsument*innen durch betrügerische Krypto-Geschäfte geschädigt werden, lehnt ein Grossteil der Branche Einmischungen von Regierungen als Widerspruch zu den Krypto-Idealen ab.
Auch SBF selbst unterwarf sich offensichtlich nicht strengen Regeln. Der Firmensitz von FTX war zunächst in Hongkong, dann auf den Bahamas — die nicht unbedingt für eine rigorose Finanzaufsicht bekannt sind.
Seine Gegner*innen warfen ihm zudem vor, dass die von ihm angestrebten Regulierungen vor allem zentralisierte Krypto-Börsen wie FTX begünstigen würden. Prominentester Kritiker von SBF war der CEO der weltgrössten Krypto-Börse Binance, Changpeng Zhao. Auch dieser wird fast nur nach seinen Initialen CZ gennant.
CZ war einst sogar ein Verbündeter, Binance gehörte zu den frühen Investoren bei FTX. Doch SBFs Agitation für mehr Regulierung und die Tatsache, dass FTX zu Binance' grösstem Konkurrenten wuchs, liess die Freundschaft zerbrechen. Und CZ sorgte dann auch noch für den Todesstoss gegen FTX.
SBF hatte «Hintertür»
Nachdem zuvor schon Medienberichte Zweifel an der Liquidität von FTX weckten, verbreitete CZ diese auf seinem Twitter-Account weiter. Es gab einen Bank Run, den FTX nicht bewältigen konnte.
Denn SBF hatte einen Grossteil der Kundeneinlagen von FTX an Alameda Research verliehen. Ausser den Führungskräften bei beiden Unternehmen soll davon niemand etwas mitbekommen haben. SBF habe eine «Hintertür» im FTX-System gehabt, die Überweisungen von grossen Summen selbst vor der eigenen Belegschaft verbergen konnte und die Rechtsabteilung umging, wie «Reuters» berichtet.
Was bei Alameda Research mit dem Geld geschehen ist, ist noch unklar. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Handelsfirma verspekuliert hat. Aus dem Involzantrag geht hervor, dass FTX Schulden in Höhe von 9 Milliardne Dollar habe, die flüssigen Vermögenswerte aber nur 900 Millionen Dollar betragen
Betroffen sind zudem Hunderte Tochterunternehmen von FTX, darunter auch FTX.us, das für die Geschäfte mit US-Bürger*innen verantwortlich war. Das könnte SBF zum Verhängnis werden. Denn nur einen Tag vor dem Konkurs tweetete er, dass Einlagen bei FTX.us komplett sicher seien und nicht von den bereits angelaufenen Turbulenzen betroffen seien. Amerikaner*innen um ihre Ersparnisse zu bringen, ruft allerdings ganz schnell die US-Behörden auf den Plan.
Im Nachhinein scheint der Zusammenbruch fast unvermeidbar gewesen zu sein. Selbst Stabilitätsanker Elon Musk behauptet nun, bei einem Gespräch mit SBF sei sein «Bullshit-Messgerät» angesprungen und er habe sich dagegen entschieden, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Die Investoren haben aber wohl nie wirklich genau in die Bücher geguckt, aus Angst, dann keinen Teil vom Kuchen abzubekommen. Und SBFs scheinbar lässiges Geschäftsgebaren hätte eventuell auch einige Alarmglocken auslösen sollen.
Schliesslich mangelte es auch an der Trennung von Privatem und Geschäftlichem. SBF soll zusammen mit zehn weiteren Führungskräften von FTX und Alameda Research in einer polyamourösen WG in einer riesigen Villa gelebt haben.
«Die ganze Operation wurde von einer Kindergang auf den Bahamas geleitet», fasst es eine Quelle von «Coindesk» zusammen.