Rückzug vom Rückzug Darum hat Elon Musk klein beigegeben

Von Dirk Jacquemien

5.10.2022

Musk will Twitter jetzt doch übernehmen

Musk will Twitter jetzt doch übernehmen

Tesla-Chef Elon Musk will Twitter jetzt doch übernehmen – und zwar zu dem ursprünglichen Kaufpreis. Warum Musk seinen seit Monaten anhaltenden Streit mit dem Kurznachrichtendienst aufgab, blieb zunächst unklar.

05.10.2022

Nach monatelangem Gemecker hat Elon Musk kurz vor Prozessbeginn eingelenkt: Er will Twitter nun doch kaufen. Ist damit auch die Bahn frei für eine Rückkehr von Ex-US-Präsident Donald Trump?

Von Dirk Jacquemien

Das vorläufige Ende kam in einem nüchternen Brief von Elon Musks Anwalt an die Anwälte von Twitter. Sein Mandat sei bereit, den Kauf des sozialen Netzwerkes abzuschliessen, zu einem Preis vom 54,20 Dollar pro Aktie, der genauso im April vereinbart wurden. Dabei hatte der reichste Mann der Welt die letzten paar Monate damit verbraucht, Twitter schlechtzureden.

Sein vorgeblicher Grund, den Kaufvertrag im Juni aufzulösen, war, dass Twitter ihn und die Öffentlichkeit über die Anzahl der Bots auf der Plattform getäuscht habe. Die meisten unabhängigen Beobachter*innen hielten das für vorgeschoben. Vielmehr machte der Absturz der Aktienmärkte im Allgemeinen und der Tech-Branche im Speziellen den Deal plötzlich erheblich unattraktiver.

Musk zahlt deutlich über Wert

Der Technologie-Index Nasdaq gab seit April um mehr als 20 Prozent nach, bei direkten Twitter-Konkurrenten wie Meta war der Absturz noch extremer, mit einem Minus von knapp 35 Prozent. Im Endeffekt wird Musk nun knapp das Doppelte für Twitter bezahlen, als es derzeit auf dem freien Markt wert wäre. 44 Milliarden Dollar wird der Kauf insgesamt kosten.

Doch eine echte Alternative hatte Musk nicht. Für den 17. Oktober war der Start des Gerichtsverfahrens im US-Bundesstaat Delaware angesetzt, mit dem Twitter Musk zum Vollzug des Kaufvertrages zwingen wollte. Quasi alle seriösen Rechtsexpert*innen gingen vorab von einem kompletten Sieg Twitters aus. Denn Musk hatte einen Kaufvertrag unterschrieben, in dem er explizit darauf verzichtete, die Geschäfte Twitters näher zu prüfen.

Vor Gericht chancenlos: Elon Musk will jetzt doch den Twitter-Kaufvertrag erfüllen.
Vor Gericht chancenlos: Elon Musk will jetzt doch den Twitter-Kaufvertrag erfüllen.
Keystone

Peinliche SMS enthüllt

Seitdem hat sich Musks Position nur noch weiter verschlechtert. In Vorabanhörungen lief die vorsitzende Richterin durchblicken, dass sie wenig Toleranz für Musks Taktiken zeigen wird. Und schon diese Woche hätte Musk unter Eid den Twitter-Anwält*innen Rede und Antwort stehen müssen. Anders als auf Twitter kommt Musk da mit Halbwahrheiten nicht sehr weit.

Schon vor Prozessbeginn wurde es unangenehm für Musk. Im US-Rechtssystem müssen während des «Discovery»Prozesses die Parteien alle relevante, interne Kommunikation offenlegen. So wurden auch SMS-Nachrichten enthüllt, die Musk mit Dritten über den Twitter-Kauf austauschte. Diese liessen weder Musk noch seine Freunde und Geschäftspartner (übrigens ausschliesslich Männer) in einem positiven Licht erscheinen.

Die Nachrichten zeigen, wie sich diese Männer – durch die Bank mindestens Multimillionäre – bei Musk einschleimen, um irgendwie auch Teil des Deals zu werden. Risikokapitalinvestor Jason Calacanis flehte Musk an: «Wechsel mich ein, Trainer! Twitter-CEO ist mein Traumjob!» Marc Merill, der Präsident des Videospielherstellers Riot Games, verglich Musk gar mit Batman: «Du bist der Held, den Gotham braucht, verdammt nochmal!»

Musk war Bot-Problematik bestens bekannt

Noch problematischer für Musk war allerdings, dass mehrere SMS zeigen, dass er noch vor Unterzeichnung des Kaufvertrags bestens mit der Bot-Problematik auf Twitter vertraut war. Wäre es zum Prozess gekommen, wären wohl noch mehr peinliche und inkriminierende Nachrichten zum Vorschein gekommen, bevor das Gericht ihn dann höchstwahrscheinlich zu dem gezwungen hätte, was er jetzt freiwillig tut.

Die Twitter-Anwält*innen trauen dem Braten noch nicht ganz und wollen sicherstellen, dass der Brief nicht eine neue Taktik von Musk ist, um sich aus der Schlinge zu ziehen. Aber einen weiteren Rückzieher wird sich selbst Elon Musk kaum erlauben können, sodass man davon ausgehen kann, dass er sehr bald Eigentümer von Twitter sein wird, laut CNBC möglicherweise schon am Freitag.

Donald Trump kommt zurück

Was also wird mit Twitter unter Musks Kontrolle passieren? Als Grund für den Kauf gab Musk im April an, die Meinungsfreiheit auf Twitter «wiederherzustellen». Sein bisheriges Geschäftsgebaren zeigt, dass sich dieses Bekenntnis hauptsächlich auf Meinungsfreiheit für ihn und Gleichgesinnte bezieht, nicht zwangsläufig für die Allgemeinheit.

Donald Trump dürfte jedenfalls mit Sicherheit seinen Account zurückbekommen, das hat Musk bereits angekündigt. Als CEO will Musk nach eigenen Angaben selbst amtieren, wobei es kaum vorstellbar, dass dies auf Dauer mit seinen Verpflichtungen in anderen Unternehmen vereinbar sein wird.

Twitter-Mitarbeiter*innen haben keine Lust auf «Vollidioten»

Der derzeitige Twitter-CEO Parag Agrawal wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entlassen, die internen SMS lassen eine tiefe Abneigung Musks ihm gegenüber erkennen. Mit einer vertraglich festgelegten Abfindung von 42 Millionen Dollar dürfte Agrawal das allerdings verkraften können.

Nicht ganz so entspannt blicken die restlichen Twitter-Mitarbeiter*innen auf ihren baldigen Chef. Die Moral innerhalb des Unternehmens sei «düster», schreibt etwa «Plattformer». Laut der «New York Times» hoffen einige Mitarbeiter*innen, dass der Deal doch noch irgendwie scheitert, damit nicht ein «Vollidiot» Eigentümer von Twitter werde.

Wenig Alternativen für Angestellte

Es gibt bei Twitter wenig Vertrauen, dass Musk in der Lage sein wird, das Unternehmen erfolgreich zu führen. Viele Mitarbeiter*innen glauben, dass Musks Ansichten zu den Regularien und Moderationspraktiken, die Twitter haben sollte, die Plattform zu einem toxischen Ort machen würden, der «normale» Nutzer*innen abschreckt.

Ein grosser Exodus ist aber vorerst nicht zu erwarten. Der Arbeitsmarkt in der Tech-Branche hat sich in den letzten Monaten merklich verschlechtert, mit Entlassungen etwa bei Meta und Google. Twitter-Mitarbeiter*innen werden nicht mehr ganz so einfach einen neuen Job finden können, wie das vielleicht noch vor einem Jahr der Fall war. Musk wird sich also zunächst noch mit demotivierten Angestellten herumschlagen müssen.

Kann Twitter zur «Super-App» werden

Seine brandneue Idee für die Zukunft Twitters ist nun die Verwandlung in «X», eine App für «alles». Vorbild sind hier anscheinend chinesische «Super-Apps» wie WeChat, die etwa soziale Netzwerke, Zahlungsdienstleistungen und Online-Shopping in einer App vereinen.

Im Westen war dieses Konzept bisher nicht erfolgreich, Meta hat es mit seinen Apps mal in Ansätzen versucht. Ob Twitter nun die beste Basis für eine Super-App ist – es hat viel weniger Nutzer*innen als etwa Facebook, Instagram oder TikTok – wird sich erst zeigen.