Lukrative Domain-EndungWie der KI-Boom für eine Karibikinsel zur Goldmine wird
Von Kelvin Chan, AP
18.10.2024 - 11:00
Eine eigene KI-Industrie hat das britische Überseegebiet Anguilla in der Karibik nicht. Und trotzdem beschert ihm der Hype um Künstliche Intelligenz Millionen.
18.10.2024, 11:00
dpa
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Anguilla profitiert vom KI-Boom durch stark gestiegene Einnahmen aus der Registrierung von «.ai»-Domains, die etwa 20 % der Staatseinnahmen ausmachen.
Die Regierung plant, diese zusätzlichen Gelder für Infrastrukturprojekte wie den Flughafenausbau, medizinische Versorgung und ein Technologie-Ausbildungszentrum zu nutzen.
Ein Vertrag mit Identity Digital soll die Domain-Sicherheit verbessern und die Insel vor Cyberkriminalität schützen, während die Einkünfte aus dem Domain-Geschäft weiter wachsen könnten.
Von dem KI-Boom haben viele profitiert: Chatbot-Entwickler, Computerwissenschaftler, Investoren des Chipkonzerns Nvidia. Doch er beschert auch der kleinen Karibikinsel Anguilla einen ungewöhnlichen Geldsegen.
Das Debüt von ChatGPT vor fast zwei Jahren läutete das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ein – und einen digitalen Goldrausch, bei dem sich Unternehmen darum bemühten, Webadressen mit der Endung «.ai» zu registrieren. Und hier kommt Anguilla ins Spiel.
Registrierungsgebühren gehen durch die Decke
Dem britischen Überseegebiet wurde in den 1990er Jahren die Kontrolle über die Internetadresse «.ai» zugesprochen. Es war eine von Hunderten obskuren Domains, die Ländern und Territorien auf Grundlage ihres Namens zugewiesen wurden. Diese Domains sind eigentlich dazu gedacht, auf die Zugehörigkeit einer Website zu einer bestimmten Region oder Sprache zu verweisen. Doch das ist nicht immer eine Anforderung.
Google nutzt die Kennung «google.ai» als Schaufenster für seine KI-Angebote, Tech-Milliardär Elon Musk nutzt «x.ai» als Homepage seines Chatbots Grok AI. Startups wie die KI-Suchmaschine Perplexity haben sich die «.ai»-Endung ebenfalls zunutze gemacht und leiten Nutzer von der «.com»-Version dorthin um.
Die Einnahmen Anguillas aus Registrierungsgebühren für Webadressen vervierfachten sich im vergangenen Jahr auf rund 30 Millionen Euro – befeuert von dem wachsenden Interesse an Künstlicher Intelligenz. Diese Einkünfte machen inzwischen etwa 20 Prozent der Staatseinnahmen aus. Vor dem KI-Boom waren es etwa fünf Prozent.
Anguillas Regierung, die eine «gov.ai»-Homepage nutzt, erhält jedes Mal eine Gebühr, wenn eine «.ai»-Adresse erneuert wird. Identity Digital Chief Strategy Officer Ram Mohan sagte, die Gebühr – rund 130 Euro für zwei Jahre – werde sich nicht ändern. Sie wird auch fällig, wenn neue Adressen registriert oder alte verkauft werden. Einige Websites haben umgerechnet bereits Zehntausende Euros eingebracht.
Die Gunst der Stunde nutzen
Das Geld kurbelt die Wirtschaft von Anguilla an, das nur etwa 91 Quadratkilometer gross ist und eine Bevölkerung von etwa 16'000 Menschen hat. Gesegnet mit Korallenriffen, klarem Wasser und palmengesäumten Stränden ist die Insel ein Paradies für wohlhabende Touristen. Viele der Einwohner sind dagegen noch immer unterprivilegiert. Der Tourismus hat unter der Corona-Pandemie und davor unter den Folgen eines schweren Hurrikans gelitten.
Anguilla hat keine eigene KI-Industrie, wenngleich Premierminister Ellis Webster hofft, dass es eines Tages zu einem Knotenpunkt für die Technologie wird. Es sei bloss Glück, dass Anguilla und nicht der nahe gelegenen Insel Antigua im Jahr 1995 die «.ai»-Adresse zugewiesen worden sei. Schliesslich trügen beide Orte die Buchstaben in ihrem Namen.
Das Geld nehme Druck von der Regierung und helfe bei der Finanzierung wichtiger Projekte, sagte Webster. Aber allein darauf könne man sich nicht verlassen. «Man kann nicht vorhersagen, wie lange das anhalten wird», sagte er in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. «Und deshalb will ich nicht, dass unsere Wirtschaft und all unsere Programme nur darauf basieren. Und dann gibt es plötzlich eine neue Modeerscheinung in den nächsten ein oder zwei Jahren, und dann müssen wir erhebliche Ausgabenkürzungen vornehmen und Programme streichen.»
Um besser mit dem explosiven Wachstum an Domain-Registrierungen Schritt halten zu können, kündigte Anguilla am Dienstag an, einen Vertrag mit der in den USA ansässigen Domain-Management-Firma Identity Digital einzugehen. Der Deal werde der Regierung weitere Einkünfte bescheren und die Resilienz und Sicherheit der Webadressen verbessern. Identity Digital, das auch die australische «.au»-Domain verwaltet, rechnet damit, alle «.ai»-Domain-Angebote zum Beginn des kommenden Jahres in die eigenen Systeme zu verlagern, wie Mohan sagte.
Ein einziges Internetkabel führt zur Insel
Ein lokaler Softwareunternehmer hatte Anguilla geholfen, Jahrzehnte zuvor ein Registrierungssystem aufzusetzen. Inzwischen gibt es mehr als 533 000 «.ai»-Webadressen. Das entspricht einer Steigerung um mehr als das Zehnfache seit 2018. Der Internationale Währungsfonds (IWF) befand in einem Bericht im Mai, die Einnahmen trügen dazu bei, die Wirtschaft breiter aufzustellen und weniger anfällig für Schocks von aussen zu machen.
Webster erwartet, dass die Einnahmen aus dem Domain-Geschäft noch weiter wachsen werden. Sogar eine Verdoppelung der Einnahmen von etwa 30 Millionen Euro aus dem vergangenen Jahr hält er in diesem Jahr für möglich. Das Geld werde dabei helfen, den Ausbau des Flughafens zu finanzieren, Senioren kostenlos medizinisch zu versorgen und ein Berufsausbildungszentrums für Technologie fertigzustellen.
Die Einkünfte liefern auch Budgethilfe für andere Projekte, mit denen die Regierung liebäugelt, darunter ein nationaler Entwicklungsfonds, der bei Hurrikanschäden schnell angezapft werden könnte. Normalerweise ist die Insel auf Unterstützung aus Grossbritannien angewiesen, die an Bedingungen geknüpft ist, wie Webster sagte.
Die Zusammenarbeit mit Identity Digital werde auch bei der Verteidigung gegen Cyber-Gauner helfen, die versuchten, aus dem Hype um Künstliche Intelligenz Profit zu schlagen, sagte Mohan. Er verwies auf das Beispiel der Pazifikinsel Tokelau, deren «.tk»-Adressen nach der Auslagerung ihrer Registrierungsdienste mit Spam und Phishing in Verbindung gebracht wurden.
In Anguilla mache man sich Sorgen über böswillige Akteure, die versuchen könnten, sich mit der Endung «.ai» zu schmücken, «um es so klingen zu lassen, als seien sie viel grösser oder viel besser als sie tatsächlich sind», sagte Mohan. Die Technologie von Identity Digital werde dafür sorgen, dass zwielichtige Websites schnell verschwänden.
Ein weiterer Vorteil ist, dass die «.ai»-Websites nicht länger an die digitale Infrastruktur der Regierung geknüpft sein werden – durch ein einzelnes Internetkabel zu der Insel, das das Ganze anfällig für digitale Engpässe oder physische Unterbrechungen macht. Stattdessen werden die weltweit verteilten Server des Unternehmens genutzt. Damit kann der Zugriff beschleunigt werden. «Es geht von Millisekunden zu Mikrosekunden», sagte Mohan.