Interview mit Peter Schneider«Verschwörungstheorien? Als ob man jemanden an eine Sekte verloren hat»
Von Bruno Bötschi
25.5.2020
Der Psychoanalytiker und Satiriker Peter Schneider hat zu Verschwörungstheorien in Zeiten von Corona eine klare Haltung. Doch wie geht man mit Menschen um, die in eine extreme Richtung abzudriften drohen?
Herr Schneider, es scheint, dass seit die Corona-Pandemie ausgebrochen ist,zahlreiche neue Verschwörungstheorien kursieren. Wahr oder nicht?
Wahr. Wobei ich allerdings nicht beurteilen kann, wie zahlreich die neuen wirklich sind. Diese Theorien sind ja oft Versatzstücke aus alten Verschwörungstheorien und neuen Elementen. Nicht alle sind so gut voneinander abzugrenzen wie «9/11 was an inside job» und die Theorie von den Reptiloiden.
Was ist der Grund, warum manche Menschen zurzeit empfänglicher sind für Verschwörungstheorien?
Zur Person: Peter Schneider
Peter Schneider hat Philosophie, Germanistik und Psychologie studiert. Der 62-Jährige lebt und arbeitet in Zürich als Psychoanalytiker. Er war Privatdozent für Psychoanalyse sowie Professor für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Universität Bremen. Seit vielen Jahren ist Peter Schneider auch als Satiriker (SRF3 und SonntagsZeitung) und Kolumnist (TagesAnzeiger und Bund) tätig. Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher.
Viele sagen, der Grund liege in den Ängsten und der Verunsicherung, welche die Pandemie ausgelöst hat. Das ist sicher nicht falsch. Aber es gibt noch einen viel simpleren Grund: Weil wieder etwas geschehen ist, das sich gut im Rahmen einer oder mehrerer Verschwörungstheorien erklären lässt. Wenn man Verschwörungstheorie-Bingo spielen würde, bei dem man zu zufällig ausgesuchten Begriffen eine Geschichte erzählen muss, dann wäre die Auswahl Virus – China – Labor – Impfung – Bill Gates – 5G eine Wunschkombination, bei der sich die Verschwörung-Story geradezu von selber schreibt.
Entsprechende Videos im Netz werden teils millionenfach angeklickt. Auch von Ihnen?
Ja. Ich arbeite gerade an einem längeren Essay zu diesem Thema, da komme ich nicht umhin, das zu tun. Allzu lange halte ich solche Videos allerdings nicht aus, obwohl ich deren gruselige Faszination durchaus nachvollziehen kann und sie zuweilen auch einen hohen Unterhaltungswert haben. Bei einer Doku über die Gefahren durch Handy-Antennen von «Klagemauer-TV» habe ich mir vor Lachen fast in die Hose gemacht. Was mir bei diesem einen Beitrag aufgefallen ist, ist allerdings auch, dass es im selben seriös dräuenden Tonfall gedreht ist, der auch viele Konsumenten-Magazine auszeichnet, die hinter jeder Ecke eine Kundenfalle entdecken – nur ist es hier noch mal besonders überdreht. Zum Beispiel, wenn im Beitrag gefühlte zehn Minuten lang jede nur erdenkliche Krankheit aufgezählt wird, die durch Mobilfunkantennen verursacht wird, und der Moderator dann treuherzig und bierernst noch ein «und viele andere mehr» anhängt.
Gibt es Bevölkerungsgruppen, die besonders anfällig für Verschwörungstheorien sind?
An den sogenannten Hygiene-Demos verkehrt ein bunt gemischtes Häufchen. Bei der AfD, wo man ständig das Ressentiment gegen die politischen Eliten schürt, sind Verschwörungstheorien sicher sehr beliebt. Aber auch bei der Linken (ich meine die Partei) finden sich immer wieder Verschwörungstheoretiker. Antisemitismus ist selber schon eine Verschwörungstheorie, darum finden sich antisemitische Versatzstücke in fast allen Verschwörungstheorien. Bildung schützt einerseits vor Verschwörungsmythen; andererseits gibt es auch den Typus des Ingenieurs oder Arztes, der mit wissenschaftlichen Methoden beweist, warum Corona harmlos oder 5G tödlich ist. Auf dieser Schiene sind wahrscheinlich eher Männer unterwegs, während die Esoterik-Verschwörungs-Szene im Stile Christina von Dreien eher weiblich besetzt ist. Das Problem ist, dass man einerseits nicht genau sagen kann, was eigentlich eine Verschwörungstheorie ist, und dass andererseits sich vermutlich verschiedene Gruppen von verschiedenen Verschwörungstheorien angezogen fühlen. Und es gibt ja auch softe Verschwörungstheorie, die eher nervig bekloppt oder fast schon originell-lustig sein können.
In New York hatten wir mal einen griechischen Taxifahrer, der uns erklären wollte, wer an allem schuld sei, unter anderem an der Kreuzigung Jesu. Ich dachte zuerst: Prima, jetzt fahren wir mit einem Antisemiten durch die halbe Stadt ... Dann stellte sich aber heraus, dass er «die Griechen» für alles Unheil verantwortlich machte. Das war dann wenigstens so originell, dass ich mir gar nicht erst die Mühe einer Widerlegung gemacht habe. So etwas kann man dann gut als Marotte abtun, und diese war in diesem Fall völlig unaggressiv.
Haben Sie ähnliche Beispiele auch schon in der Schweiz erlebt?
Nein. Aber auch sonst nirgendwo.
Eine langjährige Freundin, politisch eher links, normal intelligent und ansonsten ein durchaus pragmatischer Mensch, hängt plötzlich abstrusen Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie an. Sie fühlt sich gegängelt vom Bundesrat und behauptet, es werde im Zuge der Corona-Krise gerade ein totalitäres System errichtet und die Grundrechte beschnitten.
Sie übertreibt offensichtlich ein reales Problem. Wir wurden beziehungsweise werden immer noch gegängelt. Die einen halten das für sinnvoll, weil es die Pandemie bekämpfen hilft und der Gängelzustand nur vorübergehend ist. Die anderen halten das für masslos übertrieben, für den Anfang vom Ende der Demokratie, oder was auch immer, und verbeissen sich in den Skandal.
Mir scheint fast, es könnte die neue Lebensphilosophie meiner Bekannten werden. Wie ist so etwas möglich? Ist es zeittypisch?
Es kommt immer wieder vor; es ist nur zeittypisch insofern, als sich im Moment eine gute Gelegenheit dafür bietet, insofern ja tatsächlich Freiheiten beschränkt werden und man für seine Haltung Gleichgesinnte findet. In ruhigeren Zeiten bleibt man mit einer Theorie, dass die Reptiloiden aus der Mittelerde uns alle unterjochen wollen, eher auf einen kleinen Kreis Gleichgesinnter im Internet beschränkt.
Wie soll ich damit umgehen, dass Menschen, die ich eigentlich mag, sich eigene Realitäten bilden und auf Wissenschaftliches mit «Das glaube ich nicht» antworten?
Wenn es nicht allzu arg ist und nicht sofort zum zentralen Thema jeden Gesprächs wird, kann man einfach abwinken und das Thema wechseln. Intensive Diskussionen mit missionierenden Anhängern von irgendetwas sind deshalb so unergiebig, weil man gegen den Wust an Zahlen, Fakten, Behauptungen, Implikationen und so weiter einfach nicht ankommt. Das erfordert eine Anstrengung, die kein Mensch auf Dauer aushält. Zumal kein Mensch über die enzyklopädische Bildung verfügt, alle Behauptungen zu evaluieren und gegebenenfalls zu widerlegen. Ausserdem will man sich im Freundeskreis ja entspannt unterhalten oder meinetwegen auch angeregt und kontrovers diskutieren – aber nicht über irgendeinen Blödsinn, der einen auch gar nicht interessiert.
Das Tückische an Verschwörungstheorien ist doch, dass sie immer ein paar Gramm Wahrscheinlichkeit enthalten und ihren Anhängerinnen und Anhängern das Gefühl verschaffen, viel klüger zu sein als der Rest der Menschheit. Dieses Gefühl sorgt dann dafür, dass aus den paar Gramm Wahrscheinlichkeit Gewissheit wird.
Was die Wissenschaften angeht, so muss man aufpassen, dass der Schuss nicht nach hinten herausgeht. Insofern nämlich, als dass diejenigen, welche in ihrer Not gegenüber Verschwörungstheorie «die Wissenschaft» anrufen damit ein sehr simples Wissenschaftsverständnis zeigen. Sie tun so, als bestünde Wissenschaft aus einer Ansammlung wahrer Sätze, welche die Verschwörungstheoretiker aber leugnen. So läuft vielleicht der Physikunterricht in der Schule ab, aber keine Wissenschaft. Andererseits funktionieren manchen Verschwörungstheorien ihrerseits wie Karikaturen von wissenschaftlichen Verfahren. Adorno hat dazu mal sinngemäss gesagt: Je grösser der Blödsinn, desto genauer die Versuchsanordnung.
Meine aktuelle Strategie in meinem persönlichen Umfeld ist: Ich lege einigermassen sanft meine Sicht der Dinge dar. Aber spätestens nach ein oder zwei Umwegen versuche ich, das Thema zu wechseln.
Das scheint mir ausgesprochen vernünftig. Es ist ja meist auch nicht so, dass man selber den grossen Durchblick hat. Sondern nur, dass man nach den üblichen Kriterien der Informationsbeschaffung weiss, dass der oder die andere Unfug erzählt – aber eben sehr detailliert und auf seine Art kenntnisreich und mit übergrossem Nachdruck. Man weiss es selber nicht besser, aber eines weiss man dann doch: Dass wir nicht von Ausserirdischen gezeugt oder entführt wurden und die Erde trotz überzeugender Berechnung nicht eine Scheibe ist, auch wenn wir grosse Mühe haben, den geometrischen Gegenbeweis zu erbringen. Daraus entsteht diese spezifische Art der Hilflosigkeit gegenüber Verschwörungstheorien: Man kommt gegen den Panzer aus überbordender Informiertheit, aus Fakten, missionarischem Eifer, Zahlen, Experten nicht an.
Und wie wechselt man freundlich und bestimmt das Thema, wenn man nur noch am Streiten ist?
Man muss es wahrscheinlich explizit sagen. In einem Fall, wo die Verschwörungstheorie klar umrissen ist. Dann gibt es andere Themen. Aber manche Verschwörungstheorien metastieren auch in alle anderen möglichen Bereichen, amalgamieren sich mit anderen, wirken sich auch auf das Alltagsleben des Betroffenen aus. Dann wechselt man besser nicht nur das Thema, sondern gleich auch noch die Strassenseite.
Haben Sie auch Menschen in Ihrem Umfeld, die neuerdings Verschwörungstheorien nachhängen?
Nicht dass ich wüsste. Aber man weiss ja nie.
Und wenn die Freundinnen und Freunde mit der Zeit bald überall eine Verschwörung dahinter sehen: Geht man auf Konfrontation – und gibt sie der Lächerlichkeit preis?
Ich halte von beidem nichts. Der Lächerlichkeit sollte man Freunde ohnehin nicht preisgeben. Es ist halt so, als ob man jemanden an eine Sekte verloren hat. Man kann nicht viel mehr tun, als darauf hoffen, dass das geschlossene Weltbild von selbst Risse bekommt und sich wieder öffnet. Oftmals hofft man allerdings vergebens.
Oder zieht man besser einen Schlussstrich und kündigt die Freundschaft?
Das ergibt sich als Konsequenz meist von selbst. Freundschaften brauchen ja eine gewisse Alltags-Kompatibilität. Und die ist nicht mehr gegeben, wenn Sie im Fernsehen Angela Merkel sehen und der Freund einen Reptiloid.
Tödliches Gift: Der Wunderbaum (Ricinus communis) gilt mit seinen Früchten als giftigste Pflanze auf der Erde. Das Endosperm der Samen ist stark giftig, da es das toxische Eiweiss Rizin enthält. Rizin ist eines der potentesten natürlich vorkommenden Gifte überhaupt. Der Tod tritt unbehandelt durch Kreislaufversagen etwa 48 Stunden nach der Vergiftung ein. Der Wunderbaum ist in Ost- und Westafrika beheimatet, wird
Bild: iStock
Gross, grösser, am grössten: Der Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum) im Westen der USA ist das massivste beziehungsweise voluminöseste bekannte Lebewesen der Welt. Der immergrüne Baum kann bis zu 95 Meter hoch und einen Stammdurchmesser von 17 Meter haben.
Bild: iStock
Kletternder Parasit: Mit einem Durchmesser von über einem Meter bildet die Riesenrafflesie (Rafflesia amoldi) die grösste Einzelblüte. Allerdings existiert die gigantische Blüte der Kletterpflanze nur wenige Tage, dann zerfällt das rote, nach Aas riechende Organ. Zurück bleibt ein Haufen schwarzen Schleims.
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Blüte mit Heizung: Naht die Blütezeit, macht die Titanwurz eine erstaunliche Verwandlung durch: Bis zu zehn Zentimeter am Tag schiesst ihr gigantischer Blütenstand nach oben. Und um Insekten für die Befruchtung anzulocken, verströmt das Fortpflanzungsorgan einen Aasgeruch und heizt sich auf 36 Grad Celsius auf.
Bild: Getty Images
Königin der Anden: Die Riesenbromelie (Puya raimondii) ist die weltweit grösste Bromelie, mit mehr als zehn Metern Höhe. Sie hat auch eine der grössten Blütenstände aller Pflanzen und ist eine vom Aussterben bedrohte Art, die in den Anden in Peru und Bolivien beheimatet ist.
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Ganz schön alt: Der Riesen-Eukalyptus (Eucalyptus regnans) wächst als immergrüner Baum, der ein Alter von etwa 400 Jahren erreichen kann. An bevorzugten Standorten kann er Wuchshöhen von 65 Metern in 50 Jahren erreichen. Er gilt als der höchste Laubbaum der Welt, möglicherweise sogar als der höchste Baum überhaupt. Bei einem 1872 gefällten Exemplar wurden 132 Meter an Höhe gemessen.
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Königlich stark: De Riesenseerose Victoria ist wohl eine der eindrucksvollsten Pflanzen auf dem blauen Planeten überhaupt. Mit bis zu drei Metern hat sie den grössten Blattdurchmesser. 1840 entdeckt vom Botaniker Richard Schomburgh, wurde sie benannt nach Queen Victoria. Viele Botanische Gärten bauten in der Folge eigene Victoria Häuser.
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Gefiederte Blätter: Die Raphia-Palme ist vorwiegend im tropischen Afrika beheimatet. Ihre Blätter gelten mit bis zu 25 Meter Länge als die grössten im Pflanzenreich. Sie sind nicht nur sehr gross, sondern auch gefiedert und bleiben nach dem Absterben an der Pflanze.
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Schweres Früchten: Der Jackfruchtbaum (Artocarpus heterophyllus) ist in Indien beheimatet. Er bekommt, wenn man von Zuchterfolgen wie Riesenkürbisse und dergleichen einmal absieht, die schwersten Früchte. Sie können mehr als 30 Kilogramm wiegen.
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Über 4000 Jahre alt: Im Patriarch Grove in den White Mountains in Kalifornien stehen 17 Exemplare der Langlebigen Kiefer (Pinus longaeva), die über 4000 Jahre alt sind. Ein Baum, dessen Alter von 4700 Jahren durch Auszählung der Jahresringe in einem kleinen Bohrkern bestimmt wurde, trägt den Namen «Methuselah». (Archivbild)
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Fast 10'000 Jahre alt: Über die älteste individuellen Lebewesen wird, je nach Definition, gestritten. Aber eine Pflanze ist es auf jeden Fall: Eine Gemeine Fichte (Picea abies) in Schweden, deren Stamm viel jünger ist, konkurriert mit den Langlebigen Kiefern. Sie geht aus Wurzelwerk hervor, das seit etwa 9600 Jahren existieren soll.
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Affen-Gesicht: Wer die Dracula simia ansieht, wundert sich wahrscheinlich nicht, warum sie den Beinamen Affen-Orchidee trägt. Viel Fantasie um das Gesicht eines Primaten zu erkennen, braucht es nicht. Die Pflanze wächst in 300 bis 600 Meter Höhe in Peru und Ecuador und duftet nach Orange.
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Klein, aber hübsch: Die Wurzellose Zwergwasserlinse (Wolffia arrhiza) gilt als kleinste Blütenpflanze über- überhaupt. Ihre Blüten sind für das menschliche Auge unsichtbar. Der Pflanzenkörper selbst ist maximal 1,5 Millimeter lang. Und übrigens: Sie ist als Aronstabgewächs mit der Titanwurz recht eng verwandt.
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