Verschwörungstheorien «Xavier Naidoo ist aus einem Labor in Wuhan geflohen» 

dpa

15.5.2020

Eigene Sicht der Dinge: der deutsche Sänger Xavier Naidoo.
Eigene Sicht der Dinge: der deutsche Sänger Xavier Naidoo.
Archivbild: Keystone

In der Corona-Krise haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. In Deutschland spielen bei der Verbreitung auch Prominente wie Xavier Naidoo eine Rolle. Welche genau, fragen Psychologen?

«Xavier Naidoo ist aus einem Labor in Wuhan geflohen.» Mit einem solchen Plakat nahm zuletzt ein Gegendemonstrant die Teilnehmer einer sogenannten Hygiene-Demo im norddeutschen Hamburg auf die Schippe. Wie in vielen anderen Städten Deutschlands versammelten sich in der Hansestadt Menschen, die derzeit ihr Protest unter anderem gegen die behördlich verordneten Kontaktsperren auf die Strasse treibt.

In zurückhaltende Worte verpackt, prasselt es dort mitunter von den Bühnen herunter, dieses krude Dickicht aus Obskuritäten: Dann ist von Mundschutz als Symbol eines Maulkorbs die Rede, von staatlich verordneter Zwangsimpfung, von Merkel-Diktatur oder der Abschaffung des Grundgesetzes.

Bill Gates wird wegen seines Einsatzes für die weltweite Gesundheitsvorsorge zum Super-Bösewicht stilisiert. Das sind durchweg Falschbehauptungen und vollkommen unbelegte Thesen. Sind also bei den Demos nur Verschwörungstheoretiker unterwegs?

Egoismus und Narzissmus

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl kann schwer einschätzen, wer dort genau mitläuft. «Doch indem man daran teilnimmt, legitimiert man Verschwörungsideologien«, gibt sie zu bedenken. Zudem blendeten die Demo-Teilnehmer die Gefährlichkeit des Virus vor allem für Alte und Kranke aus. «Da steckt ganz viel Egoismus und Narzissmus drin.»

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In Corona-Zeiten setzen sich wüste Ideen in die Köpfe von immer mehr Menschen fest – und landen mittlerweile auch in der Familie und bei Bekannten, die bislang wenig anfällig dafür waren. «Die Einschläge kommen näher», sagt Pia Lamberty. Die Psychologin von der Uni Mainz beschäftigt sich seit Jahren mit solchen Mythen.

«Wenn man keine Kontrolle über eine Situation hat, suchen sich manche Menschen Strukturen, um mit dem Kontrollverlust umzugehen.» Verschwörungstheorien liefern oft genau solche einfachen Muster. Manche haben auch das Bedürfnis, sich selbst zu überhöhen – konkret – eine Information zu haben, wovon die grosse Masse nichts weiss.

Stars in der Verantwortung

Und auch Prominente sind davor nicht gefeit. Ideologien fallen auch bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Damit ist aber nicht nur Sänger Xavier Naidoo gemeint, der mittlerweile tief in die ganz grossen Weltverschwörungskonstrukte eingetaucht ist.

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Abseits davon irritieren Promis schon mit kleinen Äusserungen, die nicht auf Fakten fussen. «Die sind verantwortungslos», sagt Strobl. Wenn berühmte Menschen zum Beispiel etwas von Corona-Impfpflicht unken, ist das Wasser auf die Mühlen von Verschwörungsideologen. Denn bislang ist keinerlei Rede davon, dass eine Impfung gegen den Erreger Sars-CoV-2 verpflichtend sein soll.

«Man muss sich seiner Rolle in der Gesellschaft bewusst sein», sagt Politikwissenschaftlerin Strobl. Stars hätten eine Verantwortung gegenüber Fans und Öffentlichkeit. Das sieht auch Psychologin Lamberty so: «Sie haben eine gewisse Autorität.» Viele Menschen, die ihnen in den sozialen Medien folgten, vertrauten ihnen.

Gefährlich schnell

Dementsprechend schenken sie auch eher den Dingen Glauben, die von Prominenten verbreitet werden. Über die Berühmtheiten wächst zudem die mediale Aufmerksamkeit. Fake News multiplizieren sich rasant Auch Messenger-Dienste wie Telegram oder Signal haben ihren Anteil daran. «Es ist gefährlich, weil alles so schnell geht«, sagt Strobl.

Nutzer werden in bestimmten Gruppenchats ständig mit neuen Falschinformationen gefüttert. Und dort gibt es – anders als in öffentlichen Facebook-Posts oder auf Twitter – selten Widerspruch. Aktuell schlägt die grosse Stunde der Wissenschaftsfeinde und Impfgegner. Das Wesen von Verschwörungsideologien ist nach Strobls Erkenntnissen, dass sie sich an geänderte Situationen anpassen.

In der Vergangenheit hätten Radikalisierungsprozesse Wochen gedauert. «Heute geschieht das in Tagen.» Menschen verinnerlichten Versatzstücke aus den kruden Ideologien. Ein Zurück sei dann schwer möglich. So könne man zwar Naidoos Auftritte canceln, so Strobl. «Aber das Phänomen geht nicht weg.»

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