Neutralität, Waffen, Berset Die Schweiz hat mehr als nur ein Imageproblem

Von Philipp Dahm

14.3.2023

Twitter-Nutzer toben: Die Schweiz verschrottet lieber Waffen, als sie der Ukraine zu überlassen. Dem Bundespräsidenten schlägt weltweit Kritik entgegen, weil er am Waffen-Export-Verbot festhält. Bern hat ein Imageproblem.

Von Philipp Dahm

Während des Kriegs in der Ukraine kommt die Schweiz aus den Negativschlagzeilen nicht heraus: Immer wieder wird Bern für das Festhalten an der Neutralität kritisiert, weil es an Verständnis dafür fehlt, dass sich die Eidgenossenschaft auf keine Seite schlagen will.

«Die Schweiz zerstört Luftabwehr-Raketen-Systeme, die die Ukraine hätte benutzen können», titelt etwa aktuell die französische Zeitung «Le Monde». Und weiter heisst es: «Trotz seiner Neutralität hätte das Land die alten Boden-Luft-Raketen dem Hersteller, dem Vereinigten Königreich, zurückgeben können, doch es hat sich entschieden, sie stattdessen zu zerstören.»

Die Zerstörung des Systems Rapier habe die «Wut der europäischen Verbündeten» heraufbeschworen, aber auch im Land selbst die Kritiker auf den Plan gerufen, weiss «Le Monde»: «Es ist absurd, dass wir in der Schweiz Defensivwaffen verschrotten, die noch funktionieren», sagt der Waadtländer Grünliberale François Pointet dem Blatt.

Korpskommandant Ernst Wyler, Rüstungschef Felix Wittlin und Divisionär Walter Dürig (von links) freuen sich am 10. April 1986 auf dem Waffenplatz Emmen über die Lieferung des Rapier-Flugabwehrsystems.
Korpskommandant Ernst Wyler, Rüstungschef Felix Wittlin und Divisionär Walter Dürig (von links) freuen sich am 10. April 1986 auf dem Waffenplatz Emmen über die Lieferung des Rapier-Flugabwehrsystems.
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Die Schweiz habe in der Sache inzwischen eine «neue Stufe» erreicht, schreibt «Le Monde» sogar mit Blick auf das Interview, das Alain Berset der «NZZ am Sonntag» gegeben hat. Damit sind die Franzosen nicht allein: Weltweit hagelt es Kritik für den Bundespräsidenten.

Harsche Reaktionen

«Alain Berset ist ein Name, den wir alle lernen sollten», ätzt etwa der frühere estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves. Er sei ein «Synonym dafür, sich in Absurditäten zu versteigen, um das zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist».

Benjamin Tallis, Sicherheitsexperte an der Hertie School of Governance in Berlin, nennt Bersets Interview gar «lächerlich» und wirft dem 50-Jährigen vor, dass «Feigheit und Gier» der wahre Grund hinter seiner Aussage wären. «Es gibt keine Neutralität», schlussfolgert Tallis. In den angehängten Kommentaren machen Twitter-User ihrem Unmut Luft.

Von «Heuchelei» ist die Rede: «Sie nehmen das russische Geld und stopfen es in ihre Banken», schreibt stellvertretend eine Userin. Ukrainische Medien und Twitter-User monieren derweil, dass Bern kein Problem damit gehabt hat, einem Staat wie Katar 2022 Waffen zu verkaufen, Kiew aber entsprechende Hilfe vorenthält.

Was vielen sauer aufstösst, ist weiterhin die Tatsache, dass die Schweiz im Herzen Europas gut geschützt ist. Nur deshalb kann sie es sich leisten, ein System wie Rapiers überhaupt abzuschaffen, kritisiert etwa ein User unter dem Hashtag #NeutralitätIstKooperation.

In dieser Welle der Empörung werden auch alte Geister heraufbeschworen: Die Schweiz habe ja auch das Gold der Nazis genommen, die es den europäischen Juden geraubt haben, wird auf Twitter angeführt. «Die ‹neutrale› Schweiz hat lange das südafrikanische Apartheidregime unterstützt», schreibt ein anderer User.

Neben jeder Menge Polemik gibt es nur wenige Stimmen, die ruhig bleiben: Das Konzept der Schweizer Neutralität wird kaum verstanden. Es entwickelt sich dieser Tage zu einer Bürde, und dem Bundesrat gelingt es nicht, die Wogen zu glätten. Das ist wohl das einzige Fazit, auf das sich die unterschiedlichen Lager derzeit einigen können.

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