Experte ordnet ein Das ist an der Zahlenschlacht um die 13. AHV-Rente dran

Von Gil Bieler

15.12.2022

Rentner fordern 13. AHV-Rente: Nationalrat sagt «Nein»

Rentner fordern 13. AHV-Rente: Nationalrat sagt «Nein»

Der Nationalrat sagt Nein zur Initiative «Für ein besseres Leben im Alter». Er hat das Volksbegehren für eine 13. AHV-Monatsrente abgelehnt. Am Nachmittag warben Rentner*innen auf dem Bundesplatz noch für ein Ja.

14.12.2022

Argumente, Vorwürfe und Zahlen flogen nur so durch den Nationalrat. Die Volksinitiative für eine 13. AHV-Monatsrente erhitzt die Gemüter. Was ist – nüchtern betrachtet – dran an den Argumenten? Ein Experte ordnet ein.

Von Gil Bieler

Wenn sich der Nationalrat in einem knapp sechsstündigen Redemarathon verliert, geht es um viel. Am Mittwoch ging es um die Volksinitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, die die Einführung einer 13. AHV-Monatsrente für Pensionierte fordert.

Die Front verlief entlang der Parteigrenzen: Links-grün steht hinter dem Anliegen, die Bürgerlichen lehnen es ab. Das zeigte sich auch in der Abstimmung: Am Schluss setzte sich das Nein-Lager mit 123 zu 67 Stimmen durch, der Nationalrat versenkt die Initiative klar.

Aber fertig diskutiert ist noch nicht: Als Nächstes ist der Ständerat am Zug. Die Lager dürften auch dort gespalten sein.

Was ist dran an den Argumenten der Politiker*innen? blue News hat Uwe Koch gefragt, Dozent im Bereich Sozialpolitik und Sozialversicherungen am Departement Soziale Arbeit der ZHAW.

Umfrage
Brauchen Pensionierte eine 13. AHV-Rente?

Bürgerliche kritisieren das Giesskannen-Prinzip der Initiative: Es erhielten auch jene mehr AHV-Renten, die das gar nicht nötig hätten. Ist das problematisch?

Das ist natürlich korrekt. Es gehört zum Grundsatz der AHV, dass jeder und jede Anspruch auf eine Rente hat – also auch jene, die diese Rente nicht benötigen. Von einer Erhöhung würden sie natürlich genauso profitieren.

FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt sagte, «nur» 12,5 Prozent der Rentner*innen bräuchten Ergänzungsleistungen (EL). Im linken Lager sieht man diesen Prozentsatz als hoch an. Was sagen Sie?

Macht man den Vergleich mit den Ergänzungsleistungen zur IV, sind es wenige. Von den IV-Rentner*innen beziehen knapp die Hälfte eine EL. Das liegt daran, dass AHV-Rentner*innen über höhere Vermögenswerte verfügen, sie haben ausserdem tendenziell mehr Leistungen aus der zweiten Säule zur Verfügung und daher seltener Anspruch auf EL. Wobei man sehen muss: EL sind ja auch explizit für Personen in schlechten finanziellen Verhältnissen gedacht. 

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello kritisierte, der Zugang zu Ergänzungsleistungen sei gar nicht so einfach. Ist etwas dran?

Der Haken ist tatsächlich, dass es bei den EL eine recht hohe Nichtbezugsquote gibt. Das heisst: Viele Menschen beantragen keine EL, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Die genauen Zahlen sind schwierig zu eruieren, aber Basel-Stadt kam in einer Studie 2021 auf eine Nichtbezugsquote von knapp 30 Prozent bei AHV-Rentner*innen, die in einer Wohnung leben.

Die EL sind eigentlich ein gutes Instrument, aber weil der Antrag relativ kompliziert ist, werden sie zu wenig geltend gemacht. Betroffen sind davon vor allem Rentner*innen, die zu Hause leben. In Alters- und Pflegeheimen wird eher geschaut, dass die EL fliessen. Man müsste das System der EL also besser zugänglich machen. Bei der letzten Revision im Parlament ging es aber in die andere Richtung, der Zugang wurde eher erschwert.

Waren sich gar nicht einig: SP-Nationalrätin Jacqueline Badran spricht auf ihren FDP-Ratskollegen Andri Silberschmidt ein. Im Hintergrund: SVP-Nationalrätin Celine Amaudruz.
Waren sich gar nicht einig: SP-Nationalrätin Jacqueline Badran spricht auf ihren FDP-Ratskollegen Andri Silberschmidt ein. Im Hintergrund: SVP-Nationalrätin Celine Amaudruz.
Bild: Keystone/Anthony Anex

Was bedeutet das in Bezug auf die diskutierte 13. AHV-Monatsrente?

Eine 13. AHV-Monatsrente würde viele Armutsbetroffene im Alter insofern finanziell besserstellen, als dass sie diese einfacher erhalten würden als eine EL. Wer keine EL bezieht, würde profitieren.

Aber auch AHV-Rentner*innen, die eine EL beziehen, würden von der Erhöhung profitieren, da die 13. AHV-Auszahlung nicht zu einer Reduktion der EL führen soll. Würde das Geld statt in eine 13. AHV-Rente in die EL fliessen, wäre diesen Menschen wohl mehr geholfen. So argumentieren jetzt ja auch die Parlamentarier*innen aus dem bürgerlichen Lager. Ob sie sich darauf behaften lassen, bezweifle ich aber.

Noch ein Argument der Linken: Frauen hätten die im September angenommene AHV-Reform geschultert, seien aber noch nicht dafür entschädigt worden. Käme eine 13. AHV-Rente den Frauen speziell zugute?

Wenn man sich wiederum die Ergänzungsleistungen anschaut, werden diese von Frauen häufiger bezogen. Und auch jene Armutsbetroffenen, die knapp über dem EL-Niveau leben oder den Anspruch auf EL nicht geltend machen, würden profitieren.

Jede Reform der Sozialwerke zieht sich über Jahre hinweg – und kann bis zur Ziellinie scheitern. Ist unser System zu schwerfällig?

Das System ist bestimmt schwerfällig, aber ich sehe dies eher positiv. Es gibt eine ausgeprägte Stabilität. Als Rentnerin oder Rentner muss man nicht befürchten, dass die Leistungen massiv gekürzt werden. Das zeigt sich gerade bei der Reform der zweiten Säule, wo der Umwandlungssatz gesenkt werden soll. Solche Kürzungen haben es schwer und es braucht immer wieder Kompensationsleistungen, damit sie überhaupt eine kleine Chance haben, an der Urne zu bestehen.

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