Markenschutz vor 125 Jahren Heimatland! Als das Schweizer Sackmesser aus Deutschland kam

Von Philipp Dahm

12.6.2022

Auch wenn es Herr und Frau Schweizer kaum glauben werden: Die ersten Modelle des Schweizer Sackmessers mussten in Deutschland produziert werden. Das konnte der Schwyzer Karl Elsener nicht ertragen.

Von Philipp Dahm

Das Schweizer Sackmesser ist weltberühmt. Ursprünglich wurde es für die Armee entwickelt, doch es steht für Soldaten wie für Zivilisten vor allem für eins: Innovation und Pragmatismus aus der Schweiz.

Insofern kommt nicht jeder Betrachter gleich darauf, was mit diesem Exemplar nicht stimmt, das zu den ersten überhaupt gehört: Was ist denn nun falsch am Schweizer Taschenmesser von 1891?

Das erste Schweizer Armee-Messer von 1891.
Das erste Schweizer Armee-Messer von 1891.
Commons/Cutrofiano

Die Wahrheit ist: Die ersten 15'000 Schweizer Sackmesser kommen gar nicht aus unseren Breiten, sondern aus Deutschland. Der Bundesrat beschliesst in seiner Sitzung am 6. Dezember 1890, dass das Messer beschafft werden soll, doch die nationale Produktion kann derartige Mengen gar nicht liefern. Die Firma Wester + Co. aus der deutschen Messer-Hauptstadt Solingen springt deshalb ein.

Die ersten M1890 haben Griffe aus Ebenholz. Später wird geschwärztes Eichenholz verwendet. Es sollte Funktionen bieten, die dem damaligen Soldaten das Leben erleichtern – wie etwa Klinge und Dosenöffner. Um das 1889 eingeführte Schmidt-Rubin-Gewehr bedienen zu können, sind auch Schraubenzieher und eine Ahle dabei, mit der man Löcher machen kann.

Bring en hei

Dass das Schweizer Offiziersmesser nicht in der Heimat hergestellt wird, kann Karl Elsener nicht auf sich sitzen lassen. Er wird 1860 in Schwyz geboren und lässt sich in Zug zum Messerschmied ausbilden. Elsener kommt aus einer Unternehmerfamilie: Sein Grossvater Peter Oswald Elsener eröffnet in Schwyz eine Hutmacherei, sein Vater Balthasar Elsener fügt dem Filzfabrikation und Fellhandel hinzu.

Standardstempelung auf Schweizer Messern von Wenger.
Standardstempelung auf Schweizer Messern von Wenger.
Commons/Benutzer:D-M

Auch Karl macht sich 1884 selbstständig – aber nicht als Hersteller für Bekleidung, sondern mit einem Geschäft für Messer und chirurgische Instrumente. Die Firma in Ibach SZ nennt er «Victoria» – nach seiner Mutter. 1891 gründet der 31-Jährige den Schweizerischen Messerschmiede-Verband. Sein erklärtes Ziel: Die Sackmesser-Produktion nach Hause zu bringen.

Noch im selben Jahr kann der Unternehmer die ersten echten Schweizer Sackmesser an die Armee ausliefern – und muss seinen Betrieb vergrössern. 1892 beschäftigt er 30 Angestellte. 1893 gründet Paul Boéchat mit drei Kollegen eine ähnliche Firma: Paul Boéchat & Cie. stellt Messer in Courtételle JU her und beschäftigt rund 20 Mitarbeiter. 1898 übernimmt ein gewisser Théo Wenger die Firmenleitung des darbenden Herstellers.

Handelsmarke seit 125 Jahren geschützt

Im Jahr 1907 übernimmt Wenger die Firma, die Konkurs geht, gibt ihr seinen Namen und führt Wenger & Co. zu neuen Ufern – gerade noch rechtzeitig zur Einführung des zweiten Schweizer Sackmessers, das nach dem Jahr der Einführung benannt ist. Das M1908 wird produziert, bis es vom M1951 abgelöst wird. Das M1961 und das Soldatenmesser 08 komplettieren die offiziellen Versionen des Sackmessers.

Geschützt ist das Werkzeug am 12. Juni 2022 seit 125 Jahren: Die Handelsmarke wird als «Schweizer Offiziers- und Sportmesser» 1897 eingetragen. 1901 gibt es die erste einschneidende Veränderung: Weil sich das Eichenholz nicht bewährt, wird das M1890 Ausführung 1901 mit Fiber-Griffschalen ausgeliefert. Es hat nach wie vor eine Länge von 100 Millimeter und ein Gewicht von 144 Gramm.

Das M1908 hat eine veränderte Klinge, die aber noch gleich lang ist, und wiegt mit 125 Gramm etwas weniger als der Vorgänger. Ab 1921 wird jedes Messer mit dem Herstellungsjahr gekennzeichnet. Das Modell 1951 hat eine erneut veränderte Klinge mit nur noch 93 Millimeter, wiegt 90 Gramm und kommt im rostfreien Edelstahl daher. Wegen dieses rostfreien Stahls firmiert Victoria von Karl Elsener 1921 übrigens um zur Firma Victorinox – INOX (inoxydable) ist das internationale Kennzeichen für dieses Metall.

Erst das M1961 kommt gänzlich aus der Schweiz

Das M1961 schreibt schliesslich Geschichte: Es ist das erste Modell, das ausschliesslich von Victorinox und Wenger produziert wird. Karl Elsener erlebt das freilich nicht mehr mit: Er stirbt 1918. Das erste echte Schweizer Sackmesser von 1961 hat mit 72 Gramm noch einmal abgespeckt und erhält erstmals einen rot eloxierten Aluminiumgriff. Neu hinzugekommen ist damals der Dosenöffner.

Die besten Swiss army knives laut dem KnifeCenter.

Karl Elseners Nachfahren führen die Firmentradition von Victorinox bis heute fort. 1978 bestellt die Nasa 50 Exemplare des Modells Master Craftsman für ihre Raumfahrer. Schon seit den 30ern wird die US Army beliefert – und 1989 beginnt die Firma auch mit der Produktion von Uhren. Im Jahr 2000 fliesst das Gros der Aktien in eine Unternehmensstiftung. Seit 2007 wird auch die deutsche Bundeswehr mit speziellen Messern beliefert.

Hersteller Wenger hingegen kommt ins Schleudern, weil nach dem 11. September 2001 keine Messer mehr im Handgepäck erlaubt sind – und die Schweizer viele Produkte in Duty-Free-Shops verkauft haben. 2005 steht die Firma vor dem Ruin, als Victorinox deren Anteile übernimmt: Die Marke bleibt erhalten und steht vorerst mit dem Mutterhaus in Konkurrenz.

Diverse Ausführungen und Extras

Das erklärt auch, warum das Rekordmesser Giant Knife 2007 von Wenger kommt: Es ist 24 Zentimeter breit und hat 87 Werkzeuge, die 141 Funktionen erfüllen. Das beschert dem Werkzeug einen Platz im «Guiness-Buch der Rekorde». Seit 2013 wird der Firmenname Wenger aber nicht mehr benutzt: Das Sackmesser 08 wird ausschliesslich von Victorinox produziert.

Das Rekordmesser Giant Knife 2007 wiegt schlappe 1345 Gramm. 2006 war es für 798 Euro oder aber rund 1000 Dollar zu haben
Das Rekordmesser Giant Knife 2007 wiegt schlappe 1345 Gramm. 2006 war es für 798 Euro oder aber rund 1000 Dollar zu haben
Commons/Slartbartfass

Heute gibt es vom Schweizer Sackmesser weit über 100 verschiedene Exemplare und Ausführungen. Hinzu kommen Militärmesser, die Victorinox für Deutschland und Frankreich herstellt – sowie die Bajonette für aktuelle Gewehre der Schweizer Armee. Hinzu kommen Messer für Outdoor-Aktivitäten, Küchenutensilien oder Gartenmesser.

Beliebter Arbeitgeber: Ein Bericht des deutschen Senders «ProSieben» über Victorinox.

Der Markenschutz vor 125 Jahren hat sich ausgezahlt: Victorinox beschäftigt 2019 rund 2100 Mitarbeiter und macht in jenem Jahr einen Umsatz von 480 Millionen Franken: Nachdem moderne Schweizer Sackmesser auch mit Utensilien wie USB-Stick, MP-3-Player, Laserpointer und Fingerabdruck-Scanner zu haben sind, muss man sich wohl nicht darum sorgen, dass Victorinox nicht auch in Zukunft dieses Schweizer Original immer wieder neu erfinden wird.