Andere Zeiten Wie sich Hirschers Rücktritt von Schweizer Abgängen unterscheidet

Von Peter Staub

4.9.2019

Hätte wohl noch so manchen Rekord brechen können: Marcel Hirscher.
Hätte wohl noch so manchen Rekord brechen können: Marcel Hirscher.
Bild: Keystone

Marcel Hirscher dürfte heute Abend – medial perfekt inszeniert – seinen Rücktritt bekannt geben. Im Vergleich mit ehemaligen Schweizer Skistars tritt der Österreicher mit Pauken und Trompeten ab.

«Rückblick, Einblick, Ausblick» – unter diesem Motto orientiert Marcel Hirscher am Mittwochabend über seine Zukunft. Es ist davon auszugehen, dass der achtmalige Gesamtweltcupsieger seinen Rücktritt verkünden wird. Servus TV und ORF 2 übertragen die Veranstaltung des 30-jährigen und 67-fachen Welcupsiegers aus Salzburg zur Prime-Time ab 20.15 Uhr live.



Hirschers Pressekonferenz erregt nicht nur hierzulande, sondern weltweit grosse Aufmerksamkeit. Sogar der US-Nachrichtensender CNN schickt ein Kamerateam, auch die «New York Times» entsendet Reporter in die Event-Location «Gusswerk» in Salzburg. In Österreich geniesst der fünfmalige «Sportler des Jahres» eine absolute Ausnahmestellung. Für den Skistar verschob der Sender ORF sogar das eigentlich für 20.15 Uhr geplante TV-Duell der Spitzenkandidaten für die anstehende Nationalratswahl. Die Politiker werden nun ab 21.05 Uhr im ORF 2 gezeigt.

Ein weiteres Aushängeschild verlässt die grosse Bühne

Hirscher prägte den Ski-Rennsport im vergangenen Jahrzehnt wie kein anderer. Zweimal Olympiasieger und achtmal Weltcup-Gesamtsieger wurde der Perfektionist, holte dazu viele kleine Kristallkugeln in den Technikdisziplinen Slalom und Riesenslalom. Mit sieben Gold- und vier Silbermedaillen ist er der erfolgreichste Skifahrer bei alpinen Weltmeisterschaften. Nach US-Star Lindsey Vonn, Aksel Lund Svindal und Felix Neureuther wäre Hirscher binnen weniger Monate der vierte grosse Athlet, der den Skizirkus verlässt.

Denkbar, dass er sich nach vielen Jahren im Leistungssport wie sein Kumpel Neureuther erst einmal ins Privatleben zurückzieht. Seit vergangenem Jahr ist Hirscher verheiratet mit Laura und Vater eines Sohnes. Die Geburt seines Buben habe ihm gezeigt, «dass Blau und Rot nicht das Wichtigste ist»: Blau und Rot – das sind die Farben der Torstangen.

Den Entscheid des Rücktritts hat sich Hirscher freilich nicht leicht gemacht. Ohnehin stellt sich die Frage, wann ist der ideale Zeitpunkt für das Ende einer sportlichen Laufbahn gekommen? Wie haben das die Schweizer Skilegenden in der Vergangenheit gemacht? «Bluewin» blickt zurück mit einer kleinen Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit.


Bernhard Russi, Vreni Schneider und Pirmin Zurbriggen verliessen die grosse Show-Bühne ohne viel Tamtam.
Bernhard Russi, Vreni Schneider und Pirmin Zurbriggen verliessen die grosse Show-Bühne ohne viel Tamtam.
Bild: Getty

So sind die Schweizer Ski-Legenden zurückgetreten

Alter  71

Rücktritt: 1978

Bernhard Russi

Mit dem Gewinn des WM-Titels 1970 in Gröden erlangte der Urner nationale Bekanntheit – und diese hält bis heute an. Als er sich in der WM-Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen mit dem enttäuschenden 14. Platz begnügen musste, entschied Russi an diesem 29. Januar 1978 noch auf der Rückfahrt ins Hotel, dass er nie mehr ein Rennen bestreiten wird. Vom Zimmer aus rief er zuerst den damaligen Verbandsdirektor Adolf Ogi und danach seinen Ski-Ausrüster an und beschied den beiden: «Das ist’s gewesen.» Vier Tage später verkündete er im Presse-Zentrum offiziell seinen Rücktritt.

Grösste Erfolge: Olympia-Sieger und zweifacher Weltmeister in der Abfahrt


Alter  68

Rücktritt: 1975

Roland Collombin

Der grosse Gegenspieler von Bernhard Russi im eigenen Team in den 70er-Jahren. Sein riskanter Fahrstil und sein Lebenswandel waren bezeichnend für den Draufgänger aus dem Val de Bagnes. Nach einem schweren Sturz 1975 in Val d’Isère, bei dem er sich zwei Rückenwirbel gebrochen hatte und sogar zwei Tage gelähmt war, beendete er seine Karriere. Ein Original ist er bis heute geblieben. Als Russi kürzlich seinen 70. Geburstag nachfeierte, bemühte sich Collombin gar nicht erst um eine Fahrbewilligung für die private Zufahrtsstrasse. Stattdessen hinterlegte er im Auto einen handgeschriebenen Zettel: «Russi bezahlt. Roland».

Grösste ErfolgeOlympia-Zweiter und WM-Zweiter in der Abfahrt


Alter  56

Rücktritt: 1990

Pirmin Zurbriggen

Der Walliser war in den 80er-Jahren einer der herausragenden Skirennfahrer und bis heute auch einer der erfolgreichsten. Offenheit und Ehrlichkeit prägten seine Karriere. An einem September-Mittwoch teilte er in einem Zürcher Hotel mit, die Saison 1989/90 werde seine letzte sein. Ohne grossen Applaus in der Stille des hohen Nordens trat er sechs Monate später, nach einem elften Platz in der Abfahrt beim Weltcupfinal von Are (Schweden), unspektakulär ab.

Grösste ErfolgeOlympiasieger, vierfacher Weltmeister, vierfacher Gesamtweltcup-Sieger


Alter  52

Nie zurückgetreten

Paul Accola

Der Bündner verwies in seiner besten Saison Alberto Tomba und Marc Girardelli auf die Plätze und gewann 1992 den Gesamtweltcup. Accola war eine schillernde Figur, sein 359. und bis heute letztes Weltcuprennen bestritt er 2005 in Garmisch-Partenkirchen am Tag seines 38. Geburtstags. Offiziell zurückgetreten ist er aber bis heute nie.

Grösste Erfolge: Gesamtweltcupsieger 1992, WM-Silber und Olympia-Bronze in der Kombination


Alter  55

Rücktritt: 1995

Vreni Schneider

Auf dem Höhepunkt wolle sie abtreten, beteuerte Vreni Schneider mehrmals. Beim Weltcupfinal 1995 in Bormio feierte sie im letzten Rennen der Saison, einem Slalom, ihren 55. Weltcupsieg und wurde am 19. März zum dritten Mal Gesamt-Weltcupsiegerin. Danach zog sie sich zurück, um auf den Tag genau einen Monat nach dem grossen Triumph von Bormio an einer Pressekonferenz in Regensdorf ihren Rücktritt zu erklären. Für die Ski-Schweiz war es ein trauriger Tag.

Grösste Erfolge: Dreifache Olympiasiegerin, dreifache Weltmeisterin sowie dreifache Gesamtweltcuspiegerin


Alter  53

Rücktritt: 1990

Michela Figini

Kometenhaft stieg die Tessinerin auf, nicht einmal 18-jährig wurde sie 1984 in Sarajevo Abfahrts-Olympiasiegerin. Konsequentes Handeln und Denken prägten ihre Zeit im Weltcup. Nach Differenzen mit dem damaligen Cheftrainer Jan Tischhauser, die in der Aussage gipfelten, «er oder ich», beendete sie kurz nach ihrem 24. Geburtstag ihre Laufbahn. Ihren Entschluss teilte sie dem Verband anfangs Frühjahr in einem Brief mit.

Grösste ErfolgeOlympiasiegerin und Weltmeisterin in der Abfahrt, zweifache Gesamtweltcupsiegerin


Alter  56

Rücktritt: 1990

Maria Walliser

Eineinhalb Monate vor Michela Figini hatte bereits Maria Walliser ihre Zukunftspläne verkündet. Die Toggenburgerin tat dies mit Grandezza. Mitten im Winter, an einem Sonntagnachmittag und nach einem siebten Platz in der Abfahrt von Veysonnaz, lud sie zur Pressekonferenz im kleinen Walliser Ort. Sie zog Bilanz über ihre zehn Weltcupjahre, sagte «Tschüss» und fuhr danach die Saison mit Stil zu Ende.

Grösste Erfolge: Dreifache Weltmeisterin, Olympia-Silber und zweifache Gesamtweltcupsiegerin

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