Dok-Film «Athletin A» – Keine Opfer, sondern Überlebende

bam

24.6.2020

Larry Nassar misshandelte mindestens 265 Turnerinnen. 
Larry Nassar misshandelte mindestens 265 Turnerinnen. 
Bild: Screenshot Netflix

Larry Nassar, ehemaliger Mannschaftsarzt der US-amerikanischen Turnerinnen, wurde im Januar 2018 bis zu 175 Jahren Haft verurteilt. Er hatte mindestens 265 Turnerinnen missbraucht. Netflix rollt die schockierende Geschichte neu auf. 

Der neue Dokumentarfilm «Athletin A», der ab heute Mittwoch auf Netflix zu sehen ist, gibt einen erschütternden Einblick in den grössten Missbrauchsskandal der Sportgeschichte. Während mehrerer Jahre verging sich Verbandsarzt Larry Nassar systematisch an US-Turnerinnen. Sein abartiges Treiben wurde lange vertuscht: Man pflegte, die Angelegenheiten «intern zu regeln». Die Profi-Sportlerinnen wurden unter Druck gesetzt und mussten die Grausamkeiten über sich ergehen lassen – und schweigen. Dank einiger mutiger Athletinnen wurde der Missbrauch dann öffentlich. Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen missbrauchte Turnerinnen und die Reporter, die den Skandal enthüllten. 

Athletin A
Video: Youtube / Netflix

Athletin A ist ein Netflix-Dokumentarfilm unter der Regie von Bonni Cohen und Jon Shenk. Der Film folgt einem Team von Investigativ-Journalisten von «The Indianapolis Star», welche die Geschichte des verurteilten Trainers Larry Nassar erzählten, der systematisch junge Turnerinnen missbrauchte.

Ein Blick zurück

Die tragende Rolle im Film kommt Maggie Nichols zuteil. Sie wurde 2015 als erst 15-Jährige erstmals von Nassar missbraucht und gilt als «Athletin A». Als sie sich einer Teamkollegin anvertraute, hörte eine Trainerin mit und wandte sich in der Folge an den nationalen Turnverband. Die Polizei leitete eine Untersuchung ein und die Lawine kam ins Rollen. 

2016 wurde der Skandal öffentlich bekannt, als die heutige Anwältin Rachael Denhollander in der Lokalzeitung «Indiannapolis Star» über ihren eigenen Missbrauch schrieb. Der Titel: «Blind für sexuellen Missbrauch: Wie es USA Gymnastics verpasste, Fälle zu melden.» 



«Ich habe soeben Ihr Todesurteil unterschrieben»

Danach meldeten sich immer mehr junge betroffene Frauen. Zu den «Survivors» («wir sind Überlebende, keine Opfer») gehört auch die vierfache Olympiasiegerin Simone Biles. Die offizielle Zahl missbrauchter Sportlerinnen belief sich letztlich auf 265 Turnerinnen – die Dunkelziffer soll um einiges höher liegen. Vor Gericht erzählten rund 140 Frauen ihre schockierenden Geschichten.

Larry Nassar wurde am 24. Januar 2018 zu 40 bis 175 Jahren verurteilt. «Sie verdienen es nicht, noch einen Tag in Ihrem Leben frei zu sein», erklärte Richterin Rosemarie Aquilina dem damals 55-jährigen Angeklagten und schloss mit den Worten: «Ich habe soeben Ihr Todesurteil unterschrieben.»

Die Folgen für den Verband

Das Olympische Komitee forderte USA Gymnastics danach auf, die Verwaltungsspitze komplett zu erneuern. Trotz eines Wechsels im Juni 2018 machte der Verband im Umgang mit den Nachwehen des Skandals aber weitere Fehler.



Die Folge: Das Olympische Komitee der USA (USOC) entzog dem amerikanischen Turnverband die Olympia-Lizenz, womit diesem untersagt wurde, ab 2018 Olympioniken zu betreuen. Sarah Hirshland, USOC-Vorsitzende, schrieb in einem offenen Brief an die amerikanische Turngemeinschaft, diese verdiene etwas Besseres. US Gymnastics sei den aktuellen Herausforderungen in seiner jetzigen Form nicht gewachsen. «Einem Verband die Anerkennung zu entziehen ist kein einfacher Entscheid, aber ich glaube, es ist der richtige», so Hirshland.



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