Was war das für ein Tennis-Krimi zum Abschluss der US Open! Mit einer unglaublichen Willensleistung holt sich Dominic Thiem seinen ersten Major-Sieg, Alexander Zverev vergiesst derweil bei der Siegerehrung bittere Tränen.
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Im Final erwischt Alexander Zverev einen Traumstart. Er geht in der ersten Stunde 6:2, 5:1 in Führung und führt später 6:2, 6:4, 2:1 (mit Break). Zverev spielt bis zu diesem Moment wie aus einem Guss. Er dominiert den «Dominator», der anfänglich weit unter seinen Möglichkeiten bleibt.
Dennoch kippt die Partie. Zverev spielt nach dem Break-Vorsprung im dritten Satz etwas weniger gut, derweil sich Thiem steigert. Im vierten Satz wird es hochklassig. Am Ende gerät der Entscheidungssatz zur Abnützungsschlacht. Alexander Zverev, der überragende Aufschläger, serviert erste Aufschläge bloss noch mit 109 km/h. Das Tempo wird langsamer und langsamer. Thiem hinkt in der Schlussphase mit Muskelkrämpfen auf dem Platz herum. Aber er gewinnt nach 4:01 Stunden schliesslich mit dem dritten Matchball – nachdem bereits Zverev zum Sieg serviert hatte.
«Ich weiss nicht, wo ich anfangen soll. Glückwunsch zum ersten von vielen Grand-Slam-Titeln. Du hättest ein paar Fehler mehr machen sollen», sagt Zverev noch mit einem Augenzwinkern – bevor ihn die Gefühle übermannen. «Es sind einige wichtige Leute, die heute fehlen. Ich möchte meinen Eltern danken», erklärt Zverev, ehe ihm die Stimme versagt und er die Tränen nicht mehr zurückhalten kann. Er muss gleich mehrfach neu ansetzen, bis er den Satz vollenden kann.
Sein Vater und seine Mutter waren positiv auf Corona getestet worden und hatten die Reise nach New York deshalb nicht wie sonst üblich mitgemacht.
«Bei Sascha musste ich auch ein Tränchen verdrücken. Das ist die Höchststrafe, das Finale auf diese Art und Weise zu verlieren und seine Liebsten nicht um sich haben zu können. Aber Deutschland ist stolz auf dich», meint Eurosport-Experte Boris Becker und prophezeit: «Sascha wird wiederkommen, ihm gehört die Zukunft.»
Als sich Zverev und Thiem nach dem Marathon-Match in die Arme fallen, missachten sie die geltenden Hygiene-Vorgaben. Wegen der Pandemie waren die sonst obligatorischen Handschläge am Netz nach den Matches verboten, stattdessen klopften die Spielerinnen und Spieler ihre Tennisschläger aneinander. Zverev aber ging nach der Niederlage auf die andere Seite des Platzes und nahm seinen Kumpel in den Arm.
«Nun, wir sind wirklich sehr gute Freunde. Wir haben eine langjährige Freundschaft und Rivalität. Ich glaube, wir sind beide vielleicht 14-mal negativ getestet worden. Wir wollten einfach diesen Moment teilen», sagt der neue US-Open-Champion Thiem. «Ich denke, dass wir niemanden in Gefahr gebracht haben und dass das von daher in Ordnung war.»
It's Dominic Thiem's moment.
— US Open Tennis (@usopen) September 14, 2020
The point that made him a Grand Slam champion 👇 pic.twitter.com/uYMplH3TF7
Deutschlands Tennis-Legende Boris Becker hebt nach dem Fünf-Satz-Krimi die Willensleistung von Dominic Thiem hervor. «Beide haben es verdient zu gewinnen, keiner hatte es verdient, das Spiel zu verlieren. Im Tennis gibt es kein Unentschieden. Dominic Thiem hat sich aus einer scheinbar unmöglichen Situation befreit», so Eurosport-Experte Becker, der Thiem in Anlehnung an den weltberühmten Zauber- und Entfesselungskünstler Harry Houdini den «Houdini des Tennissports» nennt.
«2:0 Sätze hinten, Break hinten, Zverev serviert bei 5:3 im fünften Satz zum Match. Und irgendwie schafft es der Österreicher dieses Match nicht zu verlieren. Den Mut nicht zu verlieren», lobt Becker und betont: «Solche Geschichten schreibt nur der Sport, nur der Tennissport. Zwei Gladiatoren haben heute alles gegeben, und mehr.»
«Ich wünschte, wir könnten zwei Sieger heute haben. Wir hätten es verdient. Du hast mir mal gesagt, dass ich den Grand-Slam-Titel holen werde. Du wirst es zu 100 Prozent auch schaffen, du wirst deine Familie und deine Fans stolz machen. Du wirst es einen Tag nach Hause bringen», sagt der Österreicher an die Adresse des Deutschen.
Und weiter: «Ich möchte mich bei meinem Team bedanken. Ihr habt genau so viel hier reingesteckt wie ich.» Darüber hinaus hofft er scherzhaft, dass seine Grosseltern in Österreich das Match heil überstanden haben.
Zudem rühmt Thiem die in die Kritik geratenen Veranstalter der US Open, die einen «super Job» gemacht hätten: «Wir haben uns in der Bubble alle super sicher gefühlt.»
"I dedicated basically my whole life until this point to win one of the four majors. Now I did it."
— US Open Tennis (@usopen) September 14, 2020
When dreams become reality 💭@ThiemDominic I #USOpen pic.twitter.com/IHr1S9yhHs
Thiem ist der erste Grand-Slam-Champion seit Stan Wawrinka bei den US Open 2016, der nicht Novak Djokovic, Rafael Nadal oder Roger Federer heisst. Nadal und Federer hatten in diesem Jahr auf einen Start in Flushing Meadows verzichtet, Djokovic war im Achtelfinale disqualifiziert worden, weil er eine Linienrichterin im Frust mit dem Ball abgeschossen hatte. Damit war der Weg frei für einen Sieger ausserhalb der «Big three».
Schon am 27. September beginnen in Paris die French Open. Zuvor finden Turniere in Rom und Hamburg statt. Stan Wawrinka bestreitet wie Sandspezialist Nadal das Turnier in Italien, bevor es nach Roland Garros geht. Die US-Open-Finalisten werden wohl erst wieder in Frankreich ins Geschehen eingreifen.