Roger Federer trifft im Wimbledon-Viertelfinal auf Kei Nishikori. Der Japaner ist zwar die Nummer sieben der Welt, dennoch so etwas wie der grosse Unbekannte auf der Tour. Dies zeigt sich auch gestern an der Pressekonferenz.
Am Mittwoch winkt Roger Federer die Chance zum 100. Sieg in Wimbledon. Letzte Hürde zum Jubiläum ist der Japaner Kei Nishikori. Die Nummer sieben der Welt kassierte gegen den Kasachen Michail Kukuschkin (ATP 58) zwar den ersten Satzverlust des Turniers, aber es reichte letztlich dennoch locker für den Sieg. Eigentlich untypisch für den 29-Jährigen, der – ähnlich wie Stan Wawrinka – bekannt dafür ist, bei Grand Slams oft über fünf Sätze gehen zu müssen. So warnt auch Federer: «Er hat noch viel Energie».
Logischer ist dafür, dass er in den Viertelfinals steht. In seiner Grand-Slam-Karriere stand er insgesamt schon je acht Mal in den Achtel- und Viertelfinals, dafür war da meistens Endstation: Nur zwei Mal ging es für ihn ins Halbfinale (US Open 2018 und 2016), einmal gelang ihm der Finaleinzug (US Open 2014). Doch für den ganz grossen Wurf reichte es eben bisher nie.
Eine Runde zuvor gab es gegen den Amerikaner Steve Johnson eine Szene, die ebenfalls exemplarisch für Nishikori ist. Der im Rückstand liegende Johnson schmiss frustriert seinen Schläger auf den Rasen. Der Schiedsrichter rief danach die beiden Spieler zu sich und erklärte ihnen, dass sie keine Schläger auf einen Rasenplatz werfen sollen, da dieser dadurch Schaden nehmen könne. Johnsons Replik: «Du kannst einfach mit mir reden. Kei hat noch nie in seinem Leben einen Schläger geworfen.» Das ist im Kern zwar richtig, aber dann doch nicht ganz korrekt, wie dieses Video eines «unkontrollierten Wutausburchs» belegen soll:
Eine Karriere auf dem Reissbrett
Geprägt hat Nishikori wohl die Kindheit: Mit 13 Jahren kam er ins Förderprogramm des tennisverrückten Sony-Gründers Masaaki Morita. Der hatte es einst Anfang der neunziger Jahre bis auf Rang 46 der Weltrangliste gebracht. In Florida bekam Nishikori in der berühmten Akademie von Trainer-Guru Nick Bollettieri den Schliff und musste sich ohne Englischkenntnisse durchbeissen. Obwohl der Japaner fernab der Heimat introvertiert und schüchtern war, strebte er im Tennis nach Höherem und bekam daher zu Beginn seiner Karriere den Spitznamen «Projekt 45» verpasst.
Der willensstarke Junge überzeugte mit seinen flinken Beinen und harten Schlägen. So entwickelte sich aus dem Talent rasch ein gefürchteter Tennisspieler – dies trotz seiner durschschnittlichen Körpergrösse von 1,78 Meter. Mit 18 Jahren folgte der erste ATP-Turniersieg und mit 25 erreichte er die «Top Ten». Doch trotz seiner Erfolge interessierte sich die Medienschar nie für den zurückhaltenden und komplett skandalfreien Nishikori, der niemals ein böses Wort über seine Konkurrenten verlieren würde. Die internationalen Pressekonferenzen fallen bei Nishikori dementsprechend kurz aus, wie man nach dessen Viertelfinaleinzug (!) sieht.
Ganz anderes ist sein Status in seiner Heimat, wo er wie ein Popstar gefeiert wird. Da muss auch mal bei einer Landung in Tokio seinetwegen der halbe Flughafen abgesperrt werden, wie «spox» berichtet.
Die Begeisterung seiner Landsleute macht sich auch finanziell bezahlt. Sein Konterfei prangt nicht nur auf Bierflaschen, sondern auch auf den Flugzeugen von Japan Air. Luxus-Automobilhersteller Jaguar brachte eine «Kei-Edition» auf den Markt. Getoppt wird der ganze Hype von der Instant-Nudel-Firma Nissin. Nishikoris Gesicht ist nicht nur auf allen Verpackungen der Cup-Noodles zu sehen, das Unternehmen sicherte sich auch dessen Namensrechte. So muss in der japanischen Presse immer von Nishikori/Nissin geschrieben werden.
Doch der Rummel hat auch seine Schattenseiten: «Ich bin gerne in Japan, aber ich kann nicht länger als ein, zwei Monate im Jahr dort sein, sonst könnte ich verrückt werden. Ich kann dort nicht frei herumlaufen, muss mich verstecken. Oder ich müsste Tarnkleidung tragen.»
Nicht gerade unsichtbar, aber doch ziemlich unbekannt scheint er auch für Federer zu sein: «Er ist ein freundlicher und zurückhaltender Typ, den ich sehr schätze. Aber ich habe mehr Berührungspunke mit seinem Trainer (Michael Chang), da unsere Kinder gelegentlich Kontakt haben.»
Nichtsdestotrotz wird der Schweizer seinen Gegner nicht unterschätzen, gegen den er in seinen bisherigen zehn Duellen immerhin drei Mal verlor: «Ich bin ein Fan seines Spiels. Seine Rückhand ist eine der besten auf der Tour. Und er ist ein grossartiger Return-Spieler.»
Sollten Sie sich fragen, was die Zeichen im Titel bedeuten: 錦織 圭 steht für Kei Nishikori.