Roger Federer wird in Lateinamerika empfangen wie ein König und gefeiert wie ein Held. In der Heimat hagelt es Kritik. Falscher Zeitpunkt? Falscher Ort? Mag sein. Die Anfeindungen sind dennoch verwerflich. Ein Kommentar.
In Mexiko spielten Roger Federer und Alexander Zverev vor über 40’000 Fans in einer umfunktionierten Stierkampf-Arena – so viele Menschen haben noch nie zuvor ein Tennis-Spiel live in einem Stadion mitverfolgt. Die Bilder des Spektakels sind beeindruckend. Der Zuschauer-Rekord wird wohl bereits im Februar getoppt, wenn Federer und Rafael Nadal im Rahmen des «Match for Africa 6» in Kapstadt vor 50'000 Fans gegeneinander spielen. Um es vorweg zu nehmen: Der Erlös soll dannzumal vollumfänglich in die Roger Federer Foundation fliessen.
Der 20-fache Grand-Slam-Sieger klapperte jüngst innerhalb weniger Tage fünf Länder ab, was seinen ökologischen Fussabdruck zugegebenermassen nicht verbessert. Gewiss auch Länder, die derzeit vieles benötigen, ausser Tennisspiele in Stierkampfarenen. Dass dies – und die mutmassliche Gage von acht Millionen Dollar – in der Schweiz Diskussionen provozieren wird, war zu erwarten. «Der kriegt den Rachen nicht voll mit Geld» oder: «Als ob sie in Südamerika nicht andere Probleme hätten», sind nur zwei von zahllosen Aussagen, die man dieser Tage hören konnte.
Ja, er verdient sehr, sehr viel Geld
Als am Wochenende Roger Federers Engagement bei einem Schweizer Laufschuh-Hersteller publik wurde, strömte weiter Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Ganz ehrlich: Man kann es nicht mehr hören. Was erwarten wir von Federer? Die Lösung der Probleme in dieser Welt? Wieso erfüllt uns die Tatsache, dass er der beste Botschafter unseres Landes ist, der weltweit Popularität und eine hohe Reputation geniesst, nicht mit Stolz? Weshalb freuen wir uns nicht darüber, dass die Tennis-Ikone, der Heimat zwar längst entwachsen, Geld in eine Schweizer Firma investiert? Weshalb können wir die völlig legitime Transformation vom Spitzensportler zum Geschäftsmann nicht akzeptieren? Federer ist kein nationales Gut, er gehört uns nicht.
Sehen wir es pragmatisch: Roger Federer spielt besser Tennis als die Meisten des Planeten es je konnten oder können werden. Damit verdient er sehr viel Geld. Trotzdem macht er Menschen glücklich – von Basel bis nach Sydney. Im Vergleich zu anderen Weltsportlern ist er geradezu bescheiden. Er ist Vorbild, für viele ein Philanthrop und nutzt seine Glaubwürdigkeit bei der Zusammenarbeit mit Sponsoren. Wer schon einmal in einem Tennis-Stadion dieser Welt eine Partie des Jahrhundertsportlers mitverfolgen konnte, weiss, dass sein Wirken weit mehr als sportliche Faszination auslöst.
Wir sollten damit aufhören, von Federer zu erwarten, dass er die Probleme dieser Welt löst. Er ist ein Spitzensportler, der von vielen auf einer Stufe mit Muhammad Ali oder Michael Jordan gesehen wird und der mit seiner Stiftung schon 50 Millionen Dollar in Hilfsprojekte gebuttert hat. Dass er auch auf die eigene Kasse schaut, ist verständlich, aber irrelevant, solange niemand davon Schaden nimmt.