Es gibt mehrere Tennisprofis, welche die Schweizer Grand-Slam-Misere vergessen machen können. Im Fokus stehen aber die Rückkehrer Belinda Bencic und Dominic Stricker. Sie sind auf Aufholjagd.
Rückblende um zwei Jahre. In Melbourne spricht Belinda Bencic im Interview mit Keystone-SDA davon, dass sie in ihrer Karriere unbedingt noch ein Grand-Slam-Turnier gewinnen möchte. Und sie erwähnt auch erstmals, dass sie sich schon sehr bald vorstellen könne, Mama zu werden.
So richtig ernst genommen wurde eine Baby-Pause damals noch nicht. Bencic hatte soeben den Trainer gewechselt (und Dimitri Tursunow engagiert), gewann Turnier um Turnier, belegte 2023 in der Jahreswertung nach vier Monaten Platz 2 und sah das grosse Ziel, den Major-Titel, plötzlich in Reichweite. In Melbourne schlug sie gegen die spätere Siegerin Aryna Sabalenka in der zweiten Turnierwoche bei 5:4 im ersten Durchgang zum Satzgewinn auf.
Auch Dominic Stricker befand sich vor zwei Jahren im Aufwind. Seine drei Partien im Qualifikationsturnier fanden vor vollen Rängen statt. Stricker hatte zuvor am Next-Gen-Masters in Mailand die Halbfinals erreicht. Kein jüngerer Spieler war in der Weltrangliste besser klassiert als Stricker.
«Begann mich zu hinterfragen»
Die zwei Jahre seither wurden für Stricker zum kurzen Auf und langen Ab. Im Herbst 2023 erreichte der Mann aus Grosshöchstetten Weltranglistenplatz 88 – verspürte aber gleichzeitig an den Swiss Indoors erstmals Rückenprobleme. Die Verletzung, die er bis zum nächsten Next-Gen-Masters, in dem er wieder die Halbfinals erreichte, mit sich trug, kostete ihn schliesslich mehr als ein halbes Jahr. Die Pause nagte an Stricker. Er fiel im Ranking immer weiter zurück – und ja, gibt er zu: «Ich begann mich zu hinterfragen».
Die Skepsis ist noch nicht verflogen – auch sieben Monate nach dem Comeback nicht. Die ersten drei Einzel in der neuen Saison gingen alle verloren. Und am letzten Turnier der letzten Saison spielte Stricker in Heraklion ein kleines ITF-Turnier – und verlor 6:7, 1:6 gegen Louis Dussin, die Nummer 741 der Welt. Zwar gelangen Stricker im Oktober in Stockholm und Basel drei feine Siege, aber seither scheiterte er auch auf Challenger-Stufe wieder dreimal früh.
Vor dem Australian Open ist für Stricker die Ausgangslage wieder die gleiche wie vor zwei Jahren: Fortschritte machen, Selbstvertrauen tanken, Spiele gewinnen, im Ranking wieder aufsteigen. Und er muss geduldig bleiben. Strickers Trainer, der Deutsche Dieter Kindlmann, räumte gegenüber der ATP ein, dass «wir alle erwartet haben, dass Dominic schneller wieder der Alte ist».
Fast wieder die Alte
Viel schneller ging das bei Bencic. Vor den Australian Open besiegte die Rückkehrerin in Adelaide Anna Kalinskaja, die Weltnummer 14, schon wieder ähnlich klar (6:2, 1:0 Aufgabe) wie vor zwei Jahren am gleichen Ort (damals 6:3, 6:3). Und gegen Ludmilla Samsonowa verlor Bencic schon vor der Baby-Pause immer knapp.
In einem grossen Interview mit der Spielerinnen-Gewerkschaft WTA sagte Bencic, dass sich an ihren Zielen nichts geändert hat. «Ich will immer noch mehr als alles andere ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Ich weiss nicht, wo und wann. Aber ich glaube daran, dass das möglich ist.»
Bencic kam nicht zurück, um im Mittelfeld mitzuspielen. Sie will mindestens wieder dorthin, wo sie schon war. Und sie gewann Einzel-Gold an den Olympischen Spielen und stieg in der Weltrangliste bis auf Platz 4 hoch.
Vorbild Clijsters
Bencic hat sich mit der Materie befasst. Sie weiss, dass die Belgierin Kim Clijsters drei ihrer vier Grand-Slam-Titel als Mutter gewonnen hat. Und dass Wilma Rudolph, die legendäre amerikanische Sprinterin, als Mutter Weltrekorde aufgestellt hat.
Hat sie die besten Jahre noch vor sich? «Ja, zu hundert Prozent. Ich glaube daran. Es sollte definitiv möglich sein, wieder gleich gut zu spielen wie 2023. Ich bin noch jung, erst 27.» Und immerhin sind drei aktuelle Top-10-Spielerinnen – Jasmine Paolini, Jessica Pegula und Barbora Krejcikova – älter als Bencic.
Der Bencic-Tross in Melbourne umfasst vier Personen. Neben Ehemann (und Fitnesstrainer) Martin Hromkovic und Baby Bella reiste Bencics Mutter Dana mit nach Melbourne.
Wunderdinge sind von Bencic in den nächsten zwei Wochen gewiss noch nicht zu erwarten. Aber die Chancen stehen gut, dass die Schweiz an den Major-Turnieren 2025 wieder eine Rolle spielen kann. In der letzten Saison war die Schweiz in Melbourne, Roland-Garros, Wimbledon und am US Open in der zweiten Turnierwoche nicht mehr vertreten. Und zuletzt am US Open schaffte es kein Vertreter von Swiss Tennis in die 2. Runde.