Die Schweizer Ski-Legende Pirmin Zurbriggen verrät im Gespräch mit blue Sport, weshalb er seine Karriere nicht geniessen konnte, was am besten gegen Erfolgsdruck hilft und warum er jeweils «wie eine Orgel schlief».
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Pirmin Zurbriggen ist der bis heute erfolgreichste Schweizer Skifahrer.
- Im Interview mit blue Sport erzählt Zurbriggen, warum er immer gut einschlafen konnte und weshalb er bereits mit 27 Jahren zurückgetreten ist.
- Zurbriggen erklärt, warum er «gar nicht normal sein konnte» und verrät, dass er Marco Odermatt von seinen Fehlern erzählt hat.
Im Rahmen des 100-Jahr-Jubiläums der Skimarke Kästle ist auch Pirmin Zurbriggen vor Ort. Der Walliser fuhr jahrelang auf Kästle-Ski und ist bis heute der erfolgreichste Schweizer Skirennfahrer. Für blue Sport nimmt sich Zurbriggen Zeit für ein Interview und blickt dabei zurück auf seine aktive Zeit, erzählt Anekdoten und verrät, was Marco Odermatt so stark macht.
Sie wurden gerade bei Ihrer Vorstellung als bester Skifahrer der Geschichte bezeichnet und haben dabei den Kopf geschüttelt. Warum?
Pirmin Zurbriggen: Das gibt es gar nicht. Jeder hat seine Geschichte, es gibt immer verschiedene Elemente. War jetzt ein Stenmark besser als einer, der vier Disziplinen gefahren ist? Ich bin anhand der Resultate bei den Besten dabei, aber sicher nicht der Beste.
Einer, der auch schon zu den Besten gehört, ist Marco Odermatt. Er hat 37 Weltcupsiege und wird Ihren Schweizer Rekord von 40 Siegen wohl bald egalisieren. Freut Sie das?
Auf jeden Fall. Es hiess immer, das sei nicht möglich, dass das ein Schweizer mal erreichen wird. Wenn er noch eine Zeit weiterfährt, wird das auf jeden Fall möglich sein.
Odermatt ist ja erst 27 Jahre alt. Andererseits sind Sie mit 27 bereits zurückgetreten.
Ich hatte mit meinen vier Disziplinen ein wahnsinniges Pensum. Bei ihm habe ich weniger Angst, weil Abfahrt und Super-G sind mehr oder weniger das gleiche Element. Auch wenn es ein paar Rennen mehr sind. Wenn du aber von Abfahrt auf Slalom wechselst, ist das so ein Riesen-Pensum, welches du auch mit Training machen musst, während der Saison. Oft bin ich abends von 18 bis 20 Uhr noch auf den Hang, um Slalom zu trainieren, um am nächsten Tag noch den Slalom zu fahren. Der Slalom ist oftmals das schlimmste Element für den Rücken. Diese kleinen Schläge im Slalom, die siehst du gar nicht. Die fahren wahnsinnig in den Rücken und in die Gelenke ein. Die können dich schon handicapieren.
Haben Sie Ihre Karriere wegen des Körpers so früh beendet?
Ja, das war das eine. Ich war aber auch total ausgebrannt.
Inwiefern?
Der Rummel war gross. Ich wurde quasi allein gelassen. 1985 waren die Schweizer Meisterschaften in Gstaad. Da waren 7000 Fans. Da gab es gerade mal ein winziges Netz, die Leute sind natürlich alle drübergelaufen. Du konntest gar nicht normal sein. Der Hype, den ich 1985 und 1987 erlebt habe, der war sehr, sehr gross. Pro Tag bekam ich zwischen 1000 und 1500 Autogrammkarten zum Unterzeichnen.
Wie sind Sie mit dem Erfolgsdruck umgegangen?
Abschalten, andere Sachen anschauen. Aus mentaler Sicht war ganz wichtig: Keine Zeitungen lesen, den ganzen Winter durch. Nicht eine.
Das wäre heutzutage auch nicht mehr möglich.
Ich konnte viel besser abstellen als die Athleten heutzutage mit Social Media, die sind beeinflusst von allen Seiten. Bode Miller hat einmal gesagt: «Könnte ich nur Skifahren, ich wäre der glücklichste Mensch.» Und das ist so. Du musst in dieses Segment, in diese Welt zurückkommen. Es geht nur ums Skifahren und dann macht es dir wieder Spass. Und sobald die Freude da ist, ist die Motivation auch wieder da. Ich habe zudem über die Jahre gelernt, mit dem Druck umzugehen. Es waren immer die gleichen Elemente, die dir geholfen haben, dem Druck auszuweichen.
Die da wären?
Ganz simpel dargelegt, das beste Mittel, um mit dem Druck umzugehen war die Demut. Die Einfachheit, die Schönheit des Sports. Das waren die Grund-Elemente. Der Rest kommt dann schon.
Sie waren zu dieser Zeit auch sehr gläubig. Hat es Ihnen auch etwas Druck genommen? Der Glaube, dass es etwas Grösseres gibt als einen Mann, der die Skipiste runterfährt?
Oh ja, genau. Wenn du das hast, hast du die ganze Kraft und Power. Du schläfst wie eine Orgel, während der andere neben dir fast verreckt vor Nervosität. Das musst du aber lernen, das geht nicht von heute auf morgen.
Konnten Sie Ihre Karriere geniessen, all die tollen Erfolge?
Nein. Ich hatte gar nie die Zeit dazu. Ich war so in diesem Ding drin. Hallo, ciao und wieder weg. So hat es sich angefühlt. Und plötzlich habe ich gemerkt, jetzt ist fertig. Jetzt mag ich nicht mehr.
Steckbrief Pirmin Zurbriggen
- Geburtsdatum: 4. Februar 1963
- Geburtsort: Saas-Almagell
- Weltcup-Debüt: 7. Dezember 1980
- Karriere-Ende: 17. März 1990
- Heutiger Beruf: Hotelier
- Grösste Erfolge:
1x Olympiagold, 1x Olympiabronze
9 WM-Medaillen, davon 4x Gold
4x Gesamtweltcupsieg
12 Siege in Weltcup-Disziplinenwertung
40 Weltcupsiege (Siege in allen fünf Disziplinen)
Droht Marco Odermatt ein ähnliches Schicksal?
Heute ist alles viel professioneller. Es gibt Medienchefs, Mentaltrainer und so weiter.
Hatten Sie mal Kontakt mit Odermatt, um ihm ein paar Tipps zu geben?
Wir haben schon ein paar Mal miteinander kommuniziert, da habe ich ihm auch von meinen Fehlern erzählt. Aber er macht das sowieso sackstark, grenzt sich ab und hat einfach Freude am Skifahren.
Sie wurden unter anderem Weltmeister, Olympiasieger und Gesamtweltcupsieger. Wie motiviert man sich, wenn man schon alles gewonnen hat?
Ganz schwierig. Du musst dich ständig in eine neue Welt, eine neue Vorstellung und Challenge reinschaffen. Da bist du in einem ewigen Prozess. Es ist wichtig, dir bewusst zu machen, dass du es nur einmal im Leben machen kannst, nacher ist es vorbei. Dafür musst du versuchen, alles einzusetzen. Bis du dich da hochgearbeitet hast, bis du oben bist, hast du schon eine grosse Geschichte hinter dir. Es hat nicht jeder die Chance, zuoberst zu sein. Das ist einem in solchen Situationen manchmal zu wenig bewusst.
Hätten Sie Lust, in der heutigen Zeit Skiprofi zu sein?
Ganz ehrlich? Ja! Das muss ein sackgeiles Gefühl sein. Mit diesem Material zu fahren. Aber diesen ganzen Social-Media-Bereich, den würde ich nicht mitspielen wollen. Ich bin kein Showman. Wenn ich Odermatt oder Shiffrin sehe, finde ich schon: Die geben sehr viel von ihrem Privatleben preis. Dazu musst du auch bereit sein. Du musst Spass daran haben.