Ski alpin Odermatts Umgang mit der Mehrfachbelastung

ber, sda

3.12.2024 - 05:00

Marco Odermatt spult als Skifahrer und abseits der Pisten ein immenses Pensum ab. Die Fähigkeit der schnellen Erholung hilft ihm. Eine Anpassung in seinem Rennkalender schliesst er dennoch nicht aus.

Keystone-SDA, ber, sda

Marco Odermatt gibt sich in Copper Mountain, Colorado, vor den nächsten Weltcup-Rennen im rund eine Autostunde entfernten Beaver Creek gelassen. Im Interview mit Keystone-SDA spricht er unter anderem über seine vielen Verpflichtungen, den Einstieg bei der Sportbekleidungsfirma X-Bionic und über die Möglichkeit, dereinst nur noch in Abfahrt und Super-G anzutreten.

Marco Odermatt, sind Sie ein Zahlen-Mensch?

«Ja, schon.»

Dann nenne ich jetzt drei Zahlen, die Ihnen sicher etwas sagen. Dreizehn, siebenunddreissig, vierzig.

(Überlegt)

Können Sie etwas anfangen damit?

«Siebenunddreissig Siege habe ich im Weltcup. Vierzig wären es mit den Goldmedaillen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Und dreizehn Siege im Riesenslalom in Folge. Oder waren es zwölf?»

Die Dreizehn steht für die Anzahl Siege im Weltcup in den letzten zwei Wintern.

«Und im Riesenslalom habe ich...»

... zwölf Siege hintereinander. Und die Vierzig steht auch für die Siege im Weltcup von Pirmin Zurbriggen, der damit der Schweizer Rekordhalter ist.

Können Sie mir auch sagen, wie viele Tage Sie nach der letzten Saison frei gehabt haben? Mich dünkts, bei Ihnen war in dieser Zeit fast mehr los als im Winter.

«Was heisst 'frei'?»

Tage ohne Verpflichtungen.

«Das waren schon nicht allzu viele Tage. Es waren in diesem Frühling noch etwas weniger als zuvor, weil ich keine 'richtigen' Ferien hatte beziehungsweise wir nach Spanien zu Alejo (Hervas, neuer Konditionstrainer, Red.) reisten und mit ihm früher mit der Arbeit begannen als ich gedacht hatte. Nachher stand das Konditionstraining halt immer im Programm.»

Ist die Erholung nicht zu kurz gekommen?

«Nein, das Gefühl habe ich nicht. Ich erhole mich eigentlich sehr, sehr schnell. Klar gibt es mit Terminen sehr viel zu tun. Aber auch damit kann ich gut umgehen.»

Was Sie alles nebenbei zu tun haben, zeigt, in welchen Sphären Sie sich bewegen. Nunmehr zählt auch Roger Federer zu Ihrem Freundeskreis.

«Es ist für mich Fluch und Segen. Es öffnet Türen, bringt aber auch Aufwand mit sich. Ich habe diesen Weg so gewählt. Ich habe mich an diese Belastung schon relativ früh gewöhnt. Es ist ja nicht so, dass ich aus dem Nichts Olympiasieger geworden bin und dann mit einem Schlag viel los gewesen ist. Ich habe das schon als Junior so gehabt. Es ist natürlich nicht mehr weniger geworden, gefühlt aber auch nicht viel, viel mehr – und für mich deshalb machbar.»

Apropos Roger Federer: Die Verbindung zu Ihm sind nicht nur die gemeinsamen Werbeaufnahmen, sondern auch der Tennissport. Im Frühling haben Sie noch Zeit gefunden, um Interclub zu spielen.

«Aha, ja, in unserem Team als Ersatzspieler, weil es von den Terminen her gepasst hat.»

Wenn wir zurück zu den Zahlen gehen. Da gibt es welche, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Höhe Ihres Investments bei der Firma X-Bionic etwa oder die Dauer des neuen Vertrages mit Red Bull. Mit dem Einstieg bei X-Bionic haben Sie offenbar schon an die Zeit nach Ihrer Karriere gedacht.

«Irgendwie liegt es auf der Hand, dass man sagen kann, es sei für die Zukunft. Das tönt gut. Andererseits ist das eine Möglichkeit, die der sportliche Erfolg mit sich gebracht hat, dank dem man Geld auf der Seite hat, das nicht gerade heute oder morgen gebraucht wird. Zudem bekommt man das Interesse von Partnern zu spüren, dass man ihnen auch viel bringen kann. Lange ist es ja von ihrer Seite Goodwill, von dem vorab der Athlet profitiert. Mittlerweile ist es so, dass die Sponsoren auch von mir sehr viel profitieren. Das Investieren ist nochmals etwas Neues, Spannendes.»

Ich habe noch eine Zahl aus dem sportlichen Bereich. Zweiundvierzig. Da kommen sie vermutlich nicht drauf, was ich damit meine.

(Lacht). «Zweiundvierzig...»

Es sind die Tage vom ersten Riesenslalom der Saison bis zu jenem in Beaver Creek. Sie merken, worauf ich hinaus will. Ist das nach dem Ausscheiden in Sölden eine zu lange Phase für Sie oder ist das Ihnen egal? Sie haben ja schon kurz danach gesagt, dass das Ganze abgehakt sei.

«Wir werden in Beaver Creek sehen, ob das abgehakt ist. Ein wenig wird das vermutlich schon präsent sein. Ich weiss, dass Punkte fehlen beziehungsweise jetzt Punkte her müssen. Das ist eine neue Situation für mich. Ich sehe das aber auch als Challenge, nachdem ich drei Saisons lang vom Anfang bis zum Schluss die rote Startnummer des Führenden im Weltcup getragen habe.»

Das Wochenende in Beaver Creek mit drei Rennen ist ein gutes Beispiel in kompakter Form für die Belastung, die der Start in drei Disziplinen für Sie mit sich bringt. Hat es schon Zeiten gegeben, in denen Sie sich am Anschlag gefühlt haben?

«Diese Zeiten hat es immer wieder gegeben. Im letzten Dezember etwa sind wir in Gröden und Alta Badia in fünf Tagen fünf Rennen gefahren. Aber auch Ende Januar mit den Emotionen in Adelboden, Wengen, Kitzbühel direkt weiter nach Schladming und Garmisch – das ist jeweils auch immer absolutes Limit. Das merkt man körperlich, aber vor allem mental. Es braucht immer wieder aufs Neue Energie, um in den Renn-Rhythmus zu kommen.»

Können Sie sich vorstellen, dass Sie das eine oder andere Rennen auslassen – oder dereinst sogar auf eine Disziplin verzichten?

«Einzelne Rennen habe ich ja schon ausgelassen. Zum Beispiel in der vorletzten Saison den Riesenslalom in Schladming, das allerdings verletzungsbedingt. Im vergangenen Winter wäre ich nicht nach Bansko gereist, wären die zuvor angesetzten Rennen in Chamonix nicht abgesagt worden. Ich bin mir bewusst, dass ich auch in diesem Winter Ende Januar auf dem Zahnfleisch laufe – und danach ja die WM kommt. Es kann deshalb sein, dass ich in Schladming oder in Garmisch, oder sogar an beiden Orten, nicht dabei sein werde. Betreffend Disziplinen sehe ich meinen Kalender auch für die folgenden zwei Saisons unverändert. Es sind drei spannende Jahre mit WM, Olympischen Spielen und Heim-WM. Da will ich weiter in drei Disziplinen antreten. Welche Ziele ich danach noch erreichen oder wie lange ich noch fahren möchte – darüber werde ich mir später Gedanken machen. Auch darüber, ob ich dann womöglich nur noch im Speed-Bereich antreten werde.»

Schauen wir etwas weniger weit voraus. In rund zwei Monaten stehen die Rennen in Kitzbühel im Programm. Sie haben die Abfahrt auf der Streif als vorrangiges Ziel deklariert. Birgt das nicht ein gewisses Risiko?

«Nein, jeder, der meine Ergebnisse betrachtet, kommt eh zum Schluss, dass der Sieg fällig wäre. Es gibt viele Sportler, die tiefstapeln. So bin ich nicht. Es ist ja logisch, dass man mit einer solchen Karriere mit einem fünften Platz nicht zufrieden ist.»

Wer an Kitzbühel denkt, kommt nach dem letzten Jahr nicht an Cyprien Sarrazin vorbei. Es braucht auf jeden Fall die perfekte Fahrt.

«Eigentlich ist es egal, wer in der Theorie schnell sein kann. Wenn du gewinnen willst, musst du eh alle schlagen.»

Im Riesenslalom ist die Situation für Sie eine etwas andere. Wenn Sie Ihre normale Leistung bringen, sind Sie vorne dabei. Demgegenüber müssen die Konkurrenten über sich hinauswachsen, wollen sie mit Ihnen mithalten.

«Schwierig zu sagen. Zuletzt ist das so gewesen – zumindest, was die Ranglisten betrifft. Wenn man genauer hinschaut, habe ich die Hälfte der Siege aber mit knappem Vorsprung errungen. Ich habe da vielleicht das eine oder andere Mal das Glück aufgebraucht, das mir zuletzt in Sölden gefehlt hat. Ich sehe mich deshalb nicht so dominant, wie meine Siegesserie vermuten liesse.»

Zum Abschluss habe ich nochmals eine Zahl. Tausendachthundertneunzehn. Nur das als Hilfe: Vom heutigen Donnerstag (Tag des Gesprächs, Red.) weg gerechnet.

(Überlegt wieder lange. «Tausendachthundertneunzehn...»

So viele Tage ists her seit Ihrem ersten Weltcupsieg vor rund fünf Jahren im Super-G in Beaver Creek.

«Ah, okay. Sie sind gut. So viele Tage schon?»

In Beaver Creek waren Sie zuletzt auch dreimal Zweiter, immer hinter Aleksander Kilde. Wenn Sie jetzt noch die Rückstände wissen, ziehe ich den Hut.

«Vor drei Jahren habe ich den ersten Super-G mit klarem Vorsprung gewonnen, im zweiten bin ich ganz knapp zurück gelegen. Drei Hundertstel...»

Richtig.

«Vor zwei Jahren hat der Rückstand in der Abfahrt glaub ich sechs Hundertstel betragen...»

Sehr gut. Stimmt. Und im Super-G?

«Neunzehn Hundertstel.»

Fast. Zwanzig Hundertstel. Sie haben mich überzeugt. Sie sind ein Zahlen-Mensch.