Abfahrts-Olympiasiegerin Corinne Suter spricht im Interview darüber, warum sie in diesem Winter Grossanlässe nicht vermisst, was sie vom heiklen Fluor-Thema hält und warum sie sich privilegiert fühlt.
Corinne Suter, im Sommer- und Herbsttraining gastiert Swiss-Ski sehr häufig in Zermatt. Nun steht die Abfahrts-Premiere am Matterhorn an. Wie gut kennen Sie die Piste Gran Becca?
Eigentlich gar nicht. Die Strecke ist für uns alle total neu. Der Start der Frauen erfolgt weiter unten als derjenige der Männer. Im Sommer sind wir immer nur auf dem obersten Teil gefahren.
Wie gehen Sie die Aufgabe an, diese für Sie komplett neue Piste kennenzulernen?
Ich habe verfolgt, was letzte Woche bei den Männern ging. Von deren Training haben wir Fahrerinnen ein Video erhalten. Dieses schaut man dann gut an.
Was bringt das genau?
Es geht vor allem um ein erstes Bild. Man erhält einen ersten Eindruck von der Topografie. Auch davon, wie sich die Piste präsentiert und wie schnell man etwa unterwegs sein wird. Aber bezüglich Linienwahl bringt es wenig. Bei uns ist der Kurs etwas anders gesteckt. Sich ein umfassendes Bild zu machen, ist nicht möglich. Meistens ist es dann doch anders, wenn man selbst vor Ort ist.
Was können Sie zur Strecke sagen?
Was ich bis jetzt gesehen habe, wirkt gut. Eine coole Piste mit einigen schönen Sprüngen. Ich freue mich, darauf zu fahren.
Die Abfahrt der Frauen am Matterhorn findet ausschliesslich auf der italienischen Seite statt. Sind es für Sie trotzdem Heimrennen?
So halb-halb. Zuhause habe ich allen gesagt, dass ich nach Zermatt gehe, nicht nach Italien. (lacht) Ich verbinde das Rennen gleichwohl stark mit der Schweiz. Wahnsinnig, wie die Zermatter Gas geben für den Skirennsport.
Sechs Weltcup-Rennen waren im letzten und in diesem Herbst bislang auf der Gran Becca angesetzt, keines kam zur Austragung.
Krass. Umso mehr wäre den Organisatoren zu gönnen, dass endlich auch mal ein Rennen stattfindet.
Nach diesem Wochenende haben die Speed-Fahrerinnen drei Wochen Wettkampfpause. Wie fest bedauern Sie, dass der kanadische Skiort Lake Louise keine Rennen mehr austrägt?
Das ist natürlich schade. Die Zeit in Nordamerika, inklusive der Vorbereitung in Copper Mountain in den USA, war immer eine gute Einstimmung auf die Saison und den Winter. Dazu ergaben sich dort meistens auch Vergleiche mit ausländischen Nationen, wodurch man seinen eigenen Formstand besser einschätzen konnte.
Und heuer?
Ich bin zu diesen Rennen angereist und habe keine Ahnung, wo ich stehe. Es gab im Speed-Bereich praktisch nie Vergleiche. Weil diese Standortbestimmung heuer fehlt, ist die Anspannung vor dem Speed-Auftakt etwas höher als gewohnt.
Nach dem Weltcup-Auftakt in Sölden fand einzig noch ein Speed-Trainingslager in Saas-Fee statt. Wie war es?
Diese drei Tage waren sehr viel wert. Aber es war von den Verhältnissen her eher weich, es hat in den vergangenen Wochen regelmässig geschneit. Natürlich ist es schön, wenn es schneit, aber für die Vorbereitung ist es nicht ideal. Doch es war für alle gleich, nicht nur für uns Schweizerinnen. Wir alle müssen also auf das vertrauen, was wir zuvor in der Vorbereitung machen konnten.
Sie fanden letzte Saison gut in den Winter, starteten mit vier Podestplätzen in den ersten vier Rennen. Danach blieben Top-3-Plätze aus, im Januar hatten Sie in Cortina einen schweren Sturz zu verdauen. Obwohl die Zeit bis zur WM sehr knapp wurde, gewannen Sie dann in Méribel Bronze in der Abfahrt. Letztlich eine tolle Geschichte, finden Sie nicht auch?
Wenn man es so betrachtet, schon. Es war allerdings eine sehr intensive Zeit. Das Auf und Ab kostete Kraft. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich daraus sehr viel gelernt habe. Man sagt immer, dass man aus Niederlagen am meisten lerne. Ich konnte nicht damit rechnen, dass es an der WM so aufgeht. Deshalb war es extrem schön. Aber so richtig erholen konnte ich mich erst nach der Saison, als der ganze Druck weg war.
Nach dem Sturz war es schwierig, zu hundert Prozent fokussiert zu sein und das Vertrauen wiederzufinden. Wobei ich mir über die Jahre natürlich ein Grundvertrauen in meine Fähigkeiten aufgebaut habe. Aber nur darauf zu vertrauen, dass es dann schon irgendwie geht, reicht nicht. Es braucht extrem viel Arbeit, wenn man konstant ganz vorne mitfahren will. Solche Stürze wie in Cortina machen es einem sehr, sehr schwierig.
Es steht ein Winter ohne Grossanlässe an, bei denen Sie in der Vergangenheit fast durchwegs brillant abgeschnitten haben. Bedauern Sie, dass es keine WM geben wird?
Gar nicht. Ich bin sogar ein bisschen froh.
Weshalb?
Ich will versuchen, von Anfang Saison bis zum Schluss konstant gute Leistungen zu zeigen. Es soll weniger ein Auf und Ab geben, was mir jeweils viel Energie frisst. Vom Herbst bis in den Frühling das hohe Niveau zu behalten, das wärs.
Was sind Ihre Gedanken zum Thema Fluor? Eine Disqualifikation wie Ragnhild Mowinckel in Sölden will keine Fahrerin erleben.
Das gibt einem zu denken. Sie war leider das erste Opfer dieser neuen Regel. Wie es dazu kam und was genau dahintersteckt, ist schwierig zu sagen. Es handelt sich um ein heikles Thema. Ich befürchte, dass Ragnhild nicht die letzte Fahrerin ist, die es erwischt. Meine Hoffnung ist jedoch, dass das nun entwickelte Kontrollsystem stimmt. Die Idee ist ja schliesslich, dass ein bestimmtes Wachs verboten ist, und nicht etwa, dass es laufend Disqualifikationen gibt. Das Gute ist, dass wir am Vorabend der Rennen die präparierten Ski bei der FIS testen lassen können. Danach wird am Ski nichts mehr gemacht, dann muss es einfach passen. Dieses Prozedere gibt mir die nötige Sicherheit.
Sie befinden sich in Ihrer 13. Weltcup-Saison, haben fast die Hälfte Ihres Lebens im weissen Zirkus verbracht. Schauen Sie manchmal zurück und überlegen, wie es zu Karrierebeginn war?
Ab und zu. Vor Kurzem sah ich meinen früheren Lehrer, danach schwirrten mir ein paar Gedanken durch den Kopf, wie es früher war und welch riesige Entwicklung ich seither durchgemacht habe. Ich würde alles wieder genau gleich machen. Es war eine tolle Zeit. Der Sport gibt mir extrem viel.
Verspüren Sie beim Zurückblicken Dankbarkeit oder Genugtuung?
Absolut. In den letzten Jahren gingen meine Kindheitsträume tatsächlich in Erfüllung. Ich durfte viele grosse Erfolge feiern. Das ist nicht selbstverständlich, wenn ich andere Fahrerinnen anschaue, die nicht weniger in den Sport investieren als ich. Es ist ein Privileg, bei dem, was ich am liebsten mache, so erfolgreich zu sein.
Geht Ihre Planung bereits bis zu den Olympischen Spielen 2026 oder der Heim-WM 2027 in Crans-Montana?
Das ist mir doch noch ein bisschen zu weit weg. Ich will Jahr für Jahr nehmen. Was ich sagen kann: Es geht mir momentan sehr gut, körperlich wie psychisch. Ich habe grossen Spass, und die Vorfreude auf die Saison ist sehr gross. Ganz allgemein ist die Freude am Sport immer noch riesig. Solange dem so ist, werde ich auch weiterhin Skirennsport betreiben.
voe, sda