Woher das viele Geld kommt Ist Klopps Liverpool bloss Heuchelei oder steckt mehr dahinter?

Von Tobias Benz

28.7.2022

Kritiker? Ich kann euch nicht hören.
Kritiker? Ich kann euch nicht hören.
Bild: Getty

Der FC Liverpool spaltet die Gemüter. Ist der Klub tatsächlich so toll, wie seine Anhänger gerne behaupten, oder ist doch alles nur heisse Luft? Ein Kommentar.

Von Tobias Benz

«Wenn du 100 Millionen für einen Spieler ausgibst, und der sich dann verletzt, dann wirfst du alles zum Fenster raus. An dem Tag, an dem das Fussball ist, mache ich den Job nicht mehr.»

So gesagt von Jürgen Klopp nach Paul Pogbas Megatransfer zu Manchester United. Das war im Sommer 2016. Sechs Jahre später fliegt dem Liverpool-Trainer seine verbale Missbilligung wie ein Bumerang um die Ohren, nachdem bekannt wurde, dass die Verpflichtung von Darwin Nunez seine Reds in Folge von Bonuszahlungen ebenfalls 100 Millionen Euro kosten könnte.

Heisst das, Klopp macht den Job künftig nicht mehr? Natürlich weit gefehlt: Der deutsche Coach verlängerte seinen Vertrag erst kürzlich bis 2026.

Ein Heuchler also, oder nicht?

In Liverpool wird der 55-Jährige selbstverständlich verteidigt. Der rote Teil der Stadt am Mersey pocht schon seit Jahren darauf, dass für sie andere Regeln gelten. Das Geld komme schliesslich nicht von bösen Oligarchen oder schwerreichen Öl-Scheichen und in Liverpool würden die Dinge eben «richtig gemacht», so der Slogan. Sprüche, die rivalisierende Fans zur Weissglut treiben.

Aber ist das tatsächlich so oder verbrennen sie an der Anfield Road am Ende des Tages dieselben Scheine wie in Manchester, Paris oder Madrid? Ein Blick hinter die nackten Zahlen.

Von Pleiten, Pech und Bankrotterklärungen

«Fussball ist kein Kampf um Leben und Tod. Es geht um viel mehr als das», dieser Spruch von Liverpool-Legende Bill Shankly führt wie ein roter Faden durch die Annalen des Kultklubs. Und durch dessen Vereinsmuseum. Spätestens bei der Bezahlung des Tickets (10 britische Pfund) fällt dem Besucher dann auf, was der legendäre Trainer damit vielleicht gemeint haben könnte.

Geld.

Wer am Rad der Zeit dreht, merkt schnell: Die Traditionsklubs von heute sind im Grunde nichts anderes als die «Ölvereine» von gestern. Wobei trotz finanzieller Überlegenheit längst nicht alle ihre Vormachtstellungen halten konnten. Ein solches Beispiel ist der FC Liverpool.

Nach den glorreichen 70er- und 80er-Jahren folgt für die Reds eine jahrzehntelange Durststrecke im nationalen und internationalen Fussball. Diese wird zwar mit dem Gewinn des UEFA Cups 2001 und der Champions League 2005 unterbrochen, von Konstanz fehlt aber jede Spur.

Und während die Sehnsucht nach dem ersten englischen Meistertitel seit 1989 immer grösser wird, steigen auch die Ausgaben stetig. Jahr für Jahr weist der Klub eine negative Transferbilanz auf, der Schuldenberg wächst. Die Dinge werden eben genau nicht «richtig gemacht».

Bill Shankly grüsst die Liverpool-Fans noch heute vor dem Eingang zum legendären Kop.
Bill Shankly grüsst die Liverpool-Fans noch heute vor dem Eingang zum legendären Kop.
Bild: Keystone

Bis im Frühjahr 2007 die vermeintliche Erlösung erfolgt. Mit Tom Hicks und George Gillett übernehmen zwei schwerreiche US-Amerikaner den Verein. Viele Fans freuen sich, denn seit einigen Jahren macht ihnen neben Manchester United und Arsenal neu auch der FC Chelsea unter der Führung von Roman Abramowitsch das Leben schwer. Aber während die beiden Unternehmer den Fans mit süssen Versprechungen Honig ums Maul schmieren, wälzen sie einen Grossteil des Kaufpreises als Kredit auf den Klub ab.

Als der Erfolg weiter ausbleibt, veröffentlicht der FC Liverpool schon bald eine Schuldenlast von über 500 Millionen Euro. Dazu gibt’s im Jahr 2010 einen Verlust von 55 Millionen Euro. Der Schock bei den Gläubigern sitzt tief – sie wollen ihr Geld zurück. Aber Hicks und Gillett, von der Finanzkrise kalt geduscht, können nicht bezahlen. Dem Traditionsklub und 19-fachen englischen Meister droht die Insolvenz.

Die Royal Bank of Scotland macht als grösster Kreditgeber Druck und will bis Oktober 2010 eine Rückzahlung von über 200 Millionen Pfund. Unter der Leitung von Martin Broughton als neuer Aufsichtsratschef soll der Verein verkauft werden. Und zwar schnell. Aber Hicks und Gillett spielen nicht mit. Sie verlangen fast 900 Millionen Euro für ihre Aktienanteile. Eine Summe, die niemand bezahlen will.

Der Fall landet vor Gericht. Als potenzielle Käufer kommen Peter Lim, ein Geschäftsmann aus Singapur, und John Henry, ein Selfmade-Milliardär aus den USA infrage. Broughton entscheidet sich für Henry und nachdem der oberste Gerichtshof in England einen letzten Vorstoss von Hicks und Gillett abschmettert, wechselt der Verein für rund 340 Millionen Euro den Besitzer. Nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist überweist Henry die geforderten 200 Millionen und verhindert so den Bankrott des FC Liverpool.

Neue Besitzer, neues Glück

John Henry, der auch Besitzer des Baseball-Teams der Boston Red Sox ist und zu der Sorte Menschen gehört, die für das Correspondents’ Dinner ins Weisse Haus eingeladen werden, bringt neuen Schwung in den Verein. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Tom Werner räumt der Amerikaner in Liverpool auf. Ab jetzt sollen die Dinge «richtig gemacht» werden.

Doch so schnell wie bei den Red Sox, die unter seiner Führung sogleich eine 86-jährige Durststrecke beenden und die World Series gewinnen, gelingt das an der Anfield Road nicht.

Mit Kenny Dalglish als Trainer und der neuen Galionsfigur Andy Carroll geht zu Beginn nicht alles auf. Vor allem der englische Mittelstürmer entpuppt sich als grosse Enttäuschung. Und das für die vereinsinterne Rekordsumme von 41 Millionen Euro. Die Konkurrenz lacht sich einmal mehr ins Fäustchen.

Doch rasch wird klar, dass die Besitzer auf langfristigen Erfolg setzen und in erster Linie bemüht sind, hinter den Kulissen aufzuräumen. Nach ersten Rochaden kommt die Sache langsam ins Rollen. Angetrieben durch die Torgewalt Luis Suarez’ rutscht Liverpool in der Saison 2013/14 nur ganz knapp am so sehnlichst vermissten Meistertitel vorbei.

Und obwohl der Uruguayer die Titelträume der Reds nicht erfüllen kann, so legt er doch den Grundstein für spätere Erfolge. Anhand von ihm zeigen Henry und Werner ein erstes Mal, wie ihre Fenway Sports Group (FSG) zu wirtschaften gedenkt. Als Schnäppchen gekauft (26,5 Millionen Euro), verlässt Suarez Liverpool im Sommer 2014 für 82 Millionen Euro in Richtung Barcelona.

John Henry (rechts) und Tom Werner leiten die Geschicke des FC Liverpool.
John Henry (rechts) und Tom Werner leiten die Geschicke des FC Liverpool.
Bild: Getty

Jürgen Klopp und Michael Edwards

Perfektioniert wird das Konzept in den Folgejahren unter Trainer Jürgen Klopp und Sportdirektor Michael Edwards. Die beiden zeigen ein hervorragendes Händchen, wenn es darum geht, Spieler unter Wert zu verpflichten oder über Wert zu verkaufen. So kann man beispielsweise den für 13 Millionen Euro erworbenen Philippe Coutinho für 135 Millionen abgeben.

Gleichzeitig werden von der Konkurrenz unterschätzte Spieler wie Sadio Mané (41 Millionen), Mo Salah (42 Millionen) oder Andy Robertson (9 Millionen Euro) günstig verpflichtet und zu Weltstars geformt. Während der Neymar-Deal den Transfermarkt inflationär beeinflusst und die roten Zahlen etlicher Vereine exponentiell in die Höhe schiessen, erzielt Liverpool Gewinne.

Als die Vereinsbosse merken, dass der Verein unter Klopp auch sportlich ganz vorne mitspielen kann, wird der Geldhahn aufgedreht. Für van Dijk (75 Millionen), Alisson (62,5 Millionen) und Naby Keita (60 Millionen) rühren Henry und Werner mit der goldenen Kelle an. Die Liverpooler Erfolge bestätigen ihre Investitionen. In fünf Jahren steht die Mannschaft dreimal im Champions-League-Finale und kann in der Liga als einzige mit Manchester City Schritt halten. 2019 gibt’s den Henkelpott, 2020 gewinnen die Reds zum ersten Mal nach 30 Jahren die englische Meisterschaft.

Michael Edwards (links) war jahrelang für die Erfolge des FC Liverpool auf dem Transfermarkt verantwortlich. Ende Saison 2021/22 trat er aus eigenen Stücken zurück.
Michael Edwards (links) war jahrelang für die Erfolge des FC Liverpool auf dem Transfermarkt verantwortlich. Ende Saison 2021/22 trat er aus eigenen Stücken zurück.
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David oder Goliath?

Aber ist der Erfolg nur gekauft? Wo liegt der Unterschied zur wohlhabenden Konkurrenz? Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Auch der FC Liverpool zählt zu den finanziellen Schwergewichten im europäischen Fussball. Der Trikot-Deal mit Nike gehört zu den teuersten der Welt, die Vertragsverlängerung mit der britischen Bank «Standard Chartered» als Hauptsponsor soll Rekorde brechen und der Nunez-Transfer bestätigt, dass sich der Klub auch auf dem Transfermarkt nicht zurückhält.

Dennoch macht sich Klopp nur bedingt zum Heuchler, wenn er über die bodenlosen Kriegskassen der Konkurrenz lästert. Denn Fussballfans lassen ihre Emotionen gerne durch Vergleiche leiten. Egal ob der FC Urnäsch das grosse St.Gallen bodigt, der SC Freiburg gegen RB Leipzig im Cupfinal triumphiert oder Leicester City sich in einer Märchensaison zum englischen Meister krönt, alle wollen David gegen Goliath gewinnen sehen.

Seit der Übernahme durch die FSG weisen die Reds einen negativen Transfersaldo von knapp 460 Millionen Euro auf. In der europäischen Liga der Superreichen belegen sie damit den zehnten Platz. Seit Klopp das Ruder übernommen hat, gibt es insgesamt vierzehn Vereine, die mehr Geld ausgegeben haben. Einige, wie PSG oder Manchester United, das Doppelte. Manchester City in etwa das Dreifache. Trotzdem kann sich Liverpool mit ihnen messen.

Ein Blick auf den Spielplatz, auf dem sich die Reds tummeln, unterstreicht ihre selbst beschworene Stellung als David. Aber das war nicht immer so. Dennoch kann man wohl sagen, dass in Liverpool tatsächlich alles ein bisschen anders ist. Anders als bei Manchester City, aber eben auch anders als beim FC Urnäsch.