Xhakas emotionaler Appell an die Fans «Mir ist klar, dass wir nie beste Freunde sein werden»

Von Luca Betschart

14.4.2022

Granit Xhaka hat seit seinem Wechsel 2016 zu Arsenal auch schwierige Zeiten durchgemacht.
Granit Xhaka hat seit seinem Wechsel 2016 zu Arsenal auch schwierige Zeiten durchgemacht.
Bild: Keystone

In einem langen Brief wendet sich Granit Xhaka an die Fans von Arsenal und rollt Probleme aus der Vergangenheit noch einmal auf. Die Botschaft an den eigenen Anhang ist unmissverständlich.

Von Luca Betschart

«Meine Koffer waren gepackt», beginnt Granit Xhaka sein Schreiben an die eigenen Fans und schildert seine komplizierte Situation im Dezember 2019. «Ich war fertig mit Arsenal. Bei einem anderen Klub lag ein Vertrag auf dem Tisch, den ich nur unterschreiben musste. Ich hatte mit meiner Frau Leonita gesprochen und wir hatten beschlossen zu gehen.»

Wenige Wochen zuvor wird Xhaka bei seiner Auswechslung im Heimspiel gegen Crystal Palace gnadenlos ausgebuht und zieht beim Verlassen des Platzes deshalb wutentbrannt sein Trikot aus. Spätestens da ist das Tischtuch zwischen den Fans und dem damaligen Captain zerschnitten. Und selbst sein Vater, für den Weglaufen eigentlich nie eine Option ist, rät Granit zu einem vorzeitigen Abgang beim Premier Ligisten.

«Das ist reiner Hass»

Zweieinhalb Jahre später rollt Xhaka die Ereignisse noch einmal neu auf. Eines stellt er dabei früh in seinem Schreiben via «The Players’ Tribune» klar: «Ich liebe Arsenal. Ich habe es immer getan und tue es immer noch. Ich werde bis zu meinem Abschied alles für diesen Klub geben. Ich weiss auch, dass manche Leute mich nicht mögen. Das ist Teil des Fussballs und ich verstehe es.»

Die Vorfälle an diesem 27. Oktober 2019 aber hätten eine Linie überschritten und ihn regelrecht schockiert. «So etwas hatte ich noch nie erlebt. Als ich mich dem Tunnel näherte, schaute ich zu den dort sitzenden Fans auf – und das ist der Teil, an den ich mich immer erinnern werde.»

Xhaka schildert, wie er die Wut in den Gesichtern der eigenen Fans erkannt hatte. «Das ist Hass. Reiner Hass. Ich übertreibe damit wirklich nicht», so der 29-Jährige, der klarstellt, dass er eigentlich gut mit sachlicher Kritik umgehen könne. Doch: «An diesem Tag fühlte ich mich sehr respektlos behandelt. Die Kommentare gingen über die Linie. Es fühlte sich persönlich an.»

Wie ein zerbrochenes Glas

Xhaka bezeichnet sein Verhalten damals als Fehler. Aber ob er es bei einem nächsten Mal anders handhaben würde? «Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Da muss ich ehrlich sein. Ich bin ein emotionaler Typ. Dieses Mass an Hass und Respektlosigkeit zu spüren, würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Wenn wir verloren haben, hasse ich es bis heute, die letzten Meter zum Tunnel zu gehen, weil ich die Gesichter noch erkenne. Dort sitzen dieselben Leute», schreibt der 100-fache Schweizer Nationalspieler. Die Konsequenz: «Jetzt halte ich den Kopf einfach unten.»

Dass Xhaka den Londonern trotz der damaligen Anfeindungen die Treue hält, hat viel mit der Ankunft von Trainer Mikel Arteta zu tun. Der Spanier schafft es wider Erwartung, den Schweizer von einem Verbleib zu überzeugen. «Mikel begann zu erzählen, dass ich ein wichtiger Teil in seinen Plänen sei. Ich mochte seine Herzlichkeit. Er war ehrlich, geradeaus. Ich spürte, dass ich ihm vertrauen konnte», erinnert sich Xhaka.

Obwohl sein Umdenken in der Familie erst auf Unverständnis stösst, gibt es für ihn nach dem Dialog mit Arteta keine Zweifel mehr. «Ich sagte: Packt die Koffer aus. Das ist eine neue Herausforderung. Entweder ihr seid dabei, oder ich mache es allein, denn ich werde es durchziehen.»

Mikel Arteta macht Granit Xhaka kurz nach seiner Ankunft klar, dass er fest mit ihm plant.
Mikel Arteta macht Granit Xhaka kurz nach seiner Ankunft klar, dass er fest mit ihm plant.
Bild: Getty

Sein Kopf habe Arsenal damals zwar verlassen, sein Herz allerdings nicht. «Es sagte mir: Du kannst diesen Fussballklub nicht verlassen», schreibt Xhaka weiter. Heute weiss er, dass es die richtige Entscheidung war. Die Beziehung zu den Fans allerdings werde nie mehr dieselbe. «Es ist wie ein zerbrochenes Glas. Man kann es wieder zusammensetzen, aber die Risse werden immer da sein», so Xhaka, der sich mit seiner Botschaft mehr gegenseitiges Verständnis erhofft. Und etwas weniger vernichtende Kritik.

«Damals war ich einfach Granit»

«Ich kann ehrlich sagen, dass es für mich einfacher ist, für die Schweiz zu spielen, weil ich dort mehr Liebe spüre. Du machst einen Fehler? Das ist in Ordnung, das passiert. Aber hier? Die bringen dich um. Es ist unfassbar», wählt Xhaka klare Worte und unterstreicht, dass sein Beruf auch Nachteile mit sich bringt. «Eines der schlimmsten Dinge am Berühmtsein ist, dass die Leute nicht ehrlich zu dir sein können», sagt Xhaka, ohne sich zu sehr beklagen zu wollen. «Ich bin natürlich dankbar, dass ich Profifussballer sein darf. Aber abseits des Platzes hatte ich früher ein besseres Privatleben als heute. Damals war ich einfach Granit.»

Zum Schluss seines Briefes unterstreicht Xhaka, wie gross seine Verbundenheit und Liebe zu den Gunners nach wie vor ist. Er werde sich wie ein Captain verhalten, obwohl er die Binde offiziell nicht mehr trägt.

Im Gegenzug erhofft er sich die Wertschätzung der Fans. «Mir ist klar, dass wir nie beste Freunde sein werden», schreibt Xhaka und fügt an: «Aber ich hoffe, dass wir uns gegenseitig mit Ehrlichkeit und Respekt behandeln können. Ich möchte, das ihr wisst, dass alles, was ich auf dem Spielfeld tue, aus dem richtigen Grund geschieht.»