Die erste Teilnahme an einem olympischen Final einer Schweizer Sprint-Staffel seit knapp einem Jahrhundert ist der Lohn eines langjährigen Projekts von Swiss Athletics. Die Krönung muss aber warten.
An die Anfänge des Staffel-Projekts mag sich Peter Haas gut erinnern. Der frühere Chef Leistungssport von Swiss Athletics (2004 bis 2018) und heutige Trainer der 4x400-m-Staffel verfolgte an den Europameisterschaften 2010 in Barcelona den 4x100-m-Final der Männer auf der Tribüne, als er zu Laurent Meuwly neben ihm sagte, er solle den 4. Rang des Schweizer Männer-Quartetts 2014 in Zürich mit den Frauen toppen.
«Ich habe es zu Laurent aus Jux gesagt», erzählt Haas im Rückblick. «Aber natürlich hatte ich ernste Hintergedanken.» Es war die Geburtsstunde des Staffel-Projekts im Schweizer Frauen-Sprint. Meuwly machte sich akribisch an die Arbeit, die schon früh erste Früchte trug. 2011 lösten die Schweizerinnen an den Weltmeisterschaften in Daegu überraschend das Olympia-Ticket für London, schon bald bildete die Frauen- und nicht mehr die Männer-Staffel den Programm-Höhepunkt zum Abschluss des Meetings Weltklasse Zürich.
Die Poster-Girls von Zürich
Dank ihrer Jugend und Frische avancierten die schnellen Frauen zu Botschafterinnen einer neuen, weiblich geprägten Generation von Swiss Athletics. Die Sprinterinnen waren en vogue. Mujinga Kambundji, Marisa Lavanchy sowie die Sprunger-Schwestern Ellen und Lea wurden zu den Poster-Girls der Heim-Europameisterschaften in Zürich. Für Meuwly war eine Medaille ein realistisches Ziel, perfekte Wechsel sollten die noch fehlenden Hundertstel in den Beinen kompensieren.
Statt einer ersten Krönung endete der EM-Final 2014 im Letzigrund mit einem Drama und in Tränen. Startläuferin Kambundji hatte nach wenigen Metern den Stab verloren. Auch danach war für die Bernerin die Staffel nicht nur ein Segen, obwohl gerade sie nach dem historischen 100-m-Final in Tokio mit den Plätzen 5 und 6 die Wichtigkeit der Staffel vor allem in ihren Anfangsjahren explizit hervorhob.
Kambundji überwarf sich mit Meuwly und zog sich für die Olympia-Saison 2016 von der Staffel zurück. Ohne die schnellste Frau des Landes endeten die Spiele in Rio de Janeiro mit einer Enttäuschung. Mit Ajla Del Ponte, Salomé Kora und Sarah Atcho durften dafür drei junge Athletinnen Olympia-Luft schnuppern, die nun – fünf Jahre später – zusammen mit Kambundji die Eckpfeiler des Teams bilden.
Zweimal Fünfte, dreimal Vierte
Meuwly verliess Ende 2016 das Projekt, Kambundji kehrte zurück, die Entwicklung schritt weiter voran, der Schweizer Rekord purzelte weiter. Der nächste Schritt folgte an den Weltmeisterschaften 2017 in London mit der erstmaligen Finalqualifikation an weltweiten Titelkämpfen und dem guten 5. Rang, zwei Jahre später in Doha fehlten dem Quartett als Vierte nur acht Hundertstel zu Bronze. Auch an den Europameisterschaften 2016 und 2018 verpassten die Schweizerinnen eine Medaille knapp.
All die Resultate waren Vorboten für das, was in Tokio folgen sollte: die Qualifikation für den ersten Olympia-Final einer Schweizer Frauen-Staffel. Die Krönung in Form einer Medaille blieb dem Jahrzehnt-Projekt allerdings auch im Olympiastadion von Tokio vorerst verwehrt.