Nach Vettels Sieg in Singapur ist die Stimmung bei Ferrari explosiv. Das Duell des Vierfach-Champions mit Stallrivale Leclerc spitzt sich zu. Es geht auch schon um die Rolle des Anführers für die nächste WM-Attacke der Scuderia.
Aufgepumpt mit Sieger-Adrenalin schickte Sebastian Vettel den schmollenden Charles Leclerc mit einer Warnung in die Nacht. «Du irrst dich gewaltig, wenn du jemals denkst, dass du grösser als dieses Team bist», sagte Vettel nach seinem befreienden Erfolg beim Formel-1-Rennen in Singapur – und es gab kaum einen Zweifel, dass der Adressat seiner Worte direkt neben ihm sass. Sein über Platz zwei schwer beleidigter Stallrivale Leclerc hatte da längst den Frieden bei Ferrari in Gefahr gebracht. Der Zweikampf der Piloten um die Vormacht bei der Scuderia droht im Saison-Endspurt zu eskalieren.
Nur mit Mühe wahrte Leclerc beim Jubelbild vor der Ferrari-Garage kurz vor Mitternacht den schönen Schein und rang sich ein Lächeln ab. Kaum liessen die Fotografen die Kameras sinken, eilte der Monegasse davon. Weil er sich von den Ferrari-Strategen hintergangen fühlte, die Vettel zuerst zum Reifenwechsel und damit zum Sieg gelotst hatten, forderte der 21-Jährige eine Aussprache: «Ich brauche schon noch ein paar Erklärungen, warum diese Entscheidung getroffen wurde.»
Sich einfach wieder hinter dem viermaligen Weltmeister Vettel anzustellen, das ist mit Leclercs brennendem Ehrgeiz nicht vereinbar. Mit zwei Siegen davor in Spa und Monza und der brillanten Fahrt zur Pole Position in Singapur hatte der Wunderknabe den Nummer-1-Status des Hessen ausradiert. Doch die Abgesänge auf Vettel nach mehr als einem Jahr ohne Erfolg waren verfrüht, dessen etwas glückliche Wiederauferstehung ist für Leclerc schwer zu schlucken.
Leclerc will die neue Nummer 1 bei Ferrari werden
«Natürlich ist Charles enttäuscht», sagte Teamchef Mattia Binotto. Er gestand sogar Überlegungen während des Rennens ein, dem Wunsch des nörgelnden Leclerc auf einen Platztausch nachzugeben. «Wir diskutieren immer noch mit unseren Fahrern, ob wir die richtige Wahl getroffen haben oder nicht. Darüber könnte es intern verschiedene Meinungen geben», sagte Binotto diplomatisch. Der 49-Jährige dürfte jetzt mehr denn je als Schlichter gefordert sein.
Denn für Vettel und Leclerc geht es in den verbleibenden sechs Saisonläufen auch darum, sich schon für das kommende Jahr als Anführer der nächsten WM-Attacke in Position zu bringen. Zwar ist der Titel in diesem Jahr ziemlich sicher wieder an Mercedes-Star Lewis Hamilton vergeben, doch die drei Siege seit der Sommerpause haben bei der Scuderia neue Hoffnung entzündet. «Ich bin schon eine Weile bei Ferrari, und wir sind erst wirklich wieder zurück, wenn wir die WM gewinnen», sagte Vettel.
Dieser Weltmeisterschaft jagt der Heppenheimer bereits im fünften Jahr in Maranello vergebens nach. Sich nun auch noch von Leclerc verdrängen zu lassen, das kommt für den 32-Jährigen nicht infrage. Und so waren die Kritik und der Spott der vergangenen Zeit, als Vettel zu oft durch Fahrfehler und kopflose Hochrisiko-Manöver auffiel, eher Ansporn. «Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich grossartig ändern muss. Darin sehe ich mich jetzt bestätigt», erklärte der Routinier.
Die Frage ist nur, ob der Schwung des fünften Sieges auf seiner Paradestrecke an der Marina Bay dauerhaft stark genug ist. Vettels Auftritt am Sonntag war zwar makellos wie zu besten Zeiten, aber er brauchte eben auch die ungeplante Hilfe der Taktiker. Leclerc liess Vettel vor der Weiterreise zum Rennen in Sotschi am Sonntag schon mal wissen, dass es sich nur um einen Ausreisser handeln soll. «Ich werde in Russland stärker zurückkommen», versicherte der Jungstar mit drohendem Unterton.