Charles Leclerc verabschiedet sich gefrustet in die Pause. Max Verstappen ist hingegen auf dem besten Weg zu Formel-1-Titel Nummer zwei. Weil die Scuderia in Ungarn mal wieder patzt, wächst vor allem der Druck auf einen Mann enorm.
Wie jemand der sich auf seinen Urlaub freut, sah Charles Leclerc nun wirklich nicht aus. Desillusioniert und mit leerem Blick stapfte der Ferrari-Star nach dem vielleicht schon entscheidenden Debakel seiner Scuderia durch das Formel-1-Fahrerlager von Budapest. «Wir müssen jetzt sehen, was wir hätten besser machen können, in der Pause Kraft tanken und bereit sein, in der zweiten Saisonhälfte zu kämpfen», sagte der Monegasse in Ungarn.
Viel mehr als Durchhalteparolen blieben dem 24-Jährigen auch nicht, nachdem sein Rückstand in der WM-Wertung hinter Weltmeister Max Verstappen am Sonntag auf 80 Punkte angewachsen war. Obwohl Ferrari derzeit das beste Auto hat, siegte Verstappen auch in Ungarn. Acht Erfolge aus 13 WM-Läufen bringen den Red-Bull-Star schon früh ganz nah an die Titelverteidigung. «Rotes Desaster. Das nächste Eigentor von Ferrari. Der rote Untergang», schrieb die italienische Sporttageszeitung «Gazzetta dello Sport» und listete knallhart die Versäumnisse des Rennstalls auf.
Im Zentrum der Kritik: Mattia Binotto. Der Teamchef ist mindestens angezählt, nachdem es für Leclerc auf Platz sechs und den viertplatzierten Carlos Sainz nicht mal für das Podest reichte. Eine schlechte Strategie inklusive der falschen Reifenwahl bei WM-Herausforderer Leclerc sorgten für ein desaströses Ergebnis und vielleicht das Ende aller WM-Hoffnungen. «Insgesamt hat alles nicht funktioniert wie erwartet», sagte Binotto, wollte aber von falscher Taktik nichts wissen. Das Auto habe nicht so funktioniert wie erwartet. Das werde man analysieren, sagte er.
Druck auf Binotto wird immer grösser
«Ich habe keine Erklärung», so Binotto. Personelle Konsequenzen im Strategieteam werde es nicht geben, auch er selbst schien bei einer Medienrunde nicht um seinen Job zu fürchten. Allerdings gibt Ferrari nach aussen ein desaströses Bild ab. «Das Ferrari-Desaster in der Box ist komplett: Es reicht! Es bringt nichts, einfach nur das beste Auto zu haben», urteilte «Tuttosport». «Der Wagen war da, der Pilot war da. Aber wo war das Team?»
Das wird sich die Konzernführung ganz sicher nicht lange bieten lassen. «Wenn es so weitergeht, wird es für ihn nicht leicht. Er muss jetzt schon Leistung bringen», sagte Sky-Experte Ralf Schumacher in Richtung Binotto: «Es sind zu viele Dinge schief gegangen. Wenn man als Ferrari schon die Chance hat, wieder um die WM zu fahren, und das wegwirft, ist das schon bitter.»
Das alles erinnert stark an 2018, als die Roten mit Sebastian Vettel ebenfalls beste Aussichten auf einen WM-Titel hatten. Damals verbaute man sich selbst die Krönung und musste Lewis Hamilton im Mercedes den Triumph überlassen. Nach jener Saison wurde der alte Teamchef Maurizio Arrivabene vom mittlerweile 52 Jahre alten Binotto abgelöst. Grundlegendes scheint sich aber nicht verändert zu haben. Während Red Bull Verstappen mit einer taktischen Meisterleistung von Startplatz zehn zum Sieg manövrierte, entschied der Kommandostand bei Ferrari, Leclerc harte Reifen aufziehen zu lassen, als es um alles ging.
«Wir haben viele Schritte zurück gemacht»
Der Top-Fahrer wollte das selbst nicht, musste sich aber unterordnen und hatte keine Chance mehr auf den Sieg, weil die Pneus an seinem Wagen nicht funktionierten. «Wir werden natürlich darüber sprechen, aber das werden wir teamintern tun», sagte Leclerc und vermied offene Kritik. Vor einer Woche war er in Führung liegend beim Grossen Preis von Frankreich nach einem eigenen Fahrfehler ausgeschieden, nun verbaute ihm die wenig souveräne Strategie-Abteilung ein weiteres Top-Resultat. In der vierwöchigen Sommerpause bis zum Grossen Preis von Belgien Ende August kann sich Leclerc von dem Desaster erholen.
«Ich denke als Anführer wird er jedes Rennen als Möglichkeit sehen, wieder zu gewinnen», sagte Binotto. Den Titel schreibt der Boss noch nicht ab: «Es gibt noch sehr viel Potenzial. Wir werden noch stärker zurückkommen.» Leclercs Teamkollege Sainz analysierte das Fiasko von Budapest knallhart: «Wir haben viele Schritte zurück gemacht, wir wurden immer schlechter.» Dem guten Training am Freitag folgten ein durchwachsenes Qualifying und ein schwacher Grand Prix: «Es ist schade, dass wir mit einem schlechten Ergebnis in die Pause gehen.»
Bei noch neun ausstehenden Rennen kann Leclerc aus eigener Kraft kaum noch Weltmeister werden. Selbst wenn Verstappen keinen Sieg mehr holt und immer Zweiter wird, ist der 24-Jährige nicht mehr zu überholen. «Es geht um viele kleine Details», sagte Verstappen. Ob Ferrari ihm die grosse WM-Führung geschenkt hat? «Das ist schwer zu beantworten, denn niemand macht solche Fehler mit Absicht. Wir haben auch schon ein paar Punkte liegengelassen und am Ende des Tages muss man selbst auch immer Leistung abliefern.»