Die Sommerpause ist immer auch die heisse Transferphase. Wir nehmen die Topklubs genauer unter die Lupe und schauen, welche Wechsel uns noch erwarten könnten. Heute legen wir den Fokus auf den FC Barcelona.
Der Trainer
Als Xavi im letzten November das Traineramt in Barcelona von Roland Koeman übernahm, lag das kriselnde Team auf dem 9. Rang. Am Ende führte das Klub-Idol die Truppe in der Meisterschaft hinter Rivale Real auf den zweiten Platz. Doch wie fragil das Gebilde war, zeigte sich schon kurz nach seiner Ernennung. In der Champions League schied man in der Gruppenphase sang- und klanglos gegen Bayern München aus, auch in der anschliessenden Europa-League-Kampagne bekleckerte man sich gegen Eintracht Frankfurt nicht mit Ruhm. Je länger die Saison ging, desto mehr schienen aber die Spieler seine Ideen anzunehmen.
Der 42-Jährige findet auf die neue Spielzeit eine andere Ausgangslage vor. Der lange finanziell angeschlagene Traditionsverein hat wieder Geld auftreiben können. Und investiert dabei kräftig: Nur das Beste scheint gut genug zu sein.
Der Welt- und Europameister, der zwischen 1998 und 2015 für den FC Barcelona gespielt und mit dem Klub vier Mal die Champions League gewonnen hatte, soll gleichzeitig schauen, dass die Barça-DNA nicht verloren geht. Die Jung-Stars wollen auch ihr Talent unter Beweis stellen. Es wird ein schwieriger Seiltanz. Zum Glück geniesst Xavi viel Kredit im Umfeld.
Die wichtigsten Transfers 2022/23
Zugänge
- Andreas Christensen, (26), Verteidiger
kommt ablösefrei von Chelsea - Franck Kessié (25), Mittelfeld
kommt ablösefrei von Milan - Raphinha (25), Stürmer
- kommt für 55 Millionen Euro (exkl. Boni) von Leeds
Abgänge
- Philippe Coutinho, (30), Stürmer
wechselt für 20 Millionen Euro zu Aston Villa - Clément Lenglet (27), Verteidiger
wird an Tottenham ausgeliehen - Dani Alves (39), Verteidiger
Vertrag wurde nicht verlängert - Francisco Trincão (22), Stürmer
wird zu Sporting Lissabon ausgeliehen
Torhüter
Marc-André ter Stegen hatte seinen Anteil daran, dass Barcelona nicht den Tritt in die Saison fand. Der Deutsche, welcher seit 2014 für die Katalanen lange so was wie die Lebensversicherung zwischen den Pfosten war, machte ungewohnt viele Fehler. Und ausgerechnet gegen Bayern und Nationalmannschaftsrivale Manuel Neuer half er unfreiwillig tatkräftig mit, dass man mit einer 0:3-Pleite aus der Champions League rausflog. Doch der Keeper stabilisierte sich mit dem Team und war bald wieder der gewohnte Rückhalt. «Er ist ein Torwart, der mich begeistert. Für mich ist er einer der besten der Welt», stärkte Xavi während der Saison ter Stegen den Rücken. Der 30-Jährige bleibt also die unumstrittene Nummer 1.
Prognose: Keine Veränderung – ter Stegen bleibt eine wichtige Führungsfigur. Dahinter will der Klub eigentlich den 23-jährigen Iñaki Peña – zuletzt an Galatasaray ausgeliehen – zum Stellvertreter machen, doch die bisherige Nummer 2 Neto will seinen gut dotierten Vertrag aussitzen. Barça ist also in der Zwickmühle.
Innenverteidiger
Ronald Araújo war einer der Gewinner bei Barça. Der zweikampfstarke Uruguayer bekam als Belohnung auch eine Vertragsverlängerung bis 2026. Neben ihm stand meistens Gerard Piqué auf dem Platz. Auch Eric Garcia bekam regelmässig viel Spielzeit, der 21-Jährige hat aber noch nicht voll eingeschlagen. Schlecht sieht es für Óscar Mingueza und den dauerverletzten Samuel Umtiti aus. Clément Lenglet, im Vorjahr noch Stammspieler, hat man ausgeliehen (Tottenham). Mit Andreas Christensen ist ein international anerkannter Abwehrspieler ablösefrei verpflichtet worden.
Prognose: Das Eigengewächs Mingueza scheint bei Xavi wenig Kredit zu geniessen. Der 23-Jährige wird aufgrund der Konkurrenz das Weite suchen. Umtiti will anderswo seine Karriere neu lancieren. Mit Christensen verstärkt der Verein die Abwehr, doch die ganz grosse Leaderrolle traut man dem 26-jährigen Dänen offenbar nicht zu. So will man unbedingt noch einen Innenverteidiger an Bord holen. Auf der Wunschliste weit oben stehen soll Jules Koundé vom Liga-Rivalen FC Sevilla. Am 23-jährigen Franzosen ist aber auch der FC Chelsea dran. Die Blues haben sich bereits Kalidou Koulibaly geschnappt, an dem auch Barça Interesse zeigte.
Vielleicht kommt in der zentralen Achse keine weitere Verstärkung mehr. So würden die Chancen von Piqué – zuletzt wegen der Trennung von seiner Ehefrau Shakira in den Schlagzeilen – steigen. Der 35-Jährige scheint bei Ex-Teamkollege Xavi nicht mehr unumstritten. Dieser soll Piqué bereits mitgeteilt haben, dass er womöglich zukünftig weniger Spielzeit erhalten wird. Der Routinier will aber offenbar um seinen Platz kämpfen. Araújo ist dafür in der Hierarchie ganz oben angekommen. Ganz unten ist dagegen Umtiti, der auch mal als Boss in der Abwehr vorgesehen war. Sein Vertrag läuft noch bis 2026, doch beide Seiten wollen die Trennung.
Rechter Verteidiger
Die Problemzone beim FC Barcelona, seit Dani Alves 2016 den Klub in Richtung Turin verliess. Nélson Semedo – 2017 von Benfica verpflichtet – konnte die Lücke nie füllen und flüchtete 2020 zu Wolverhampton. Sergiño Dest, bei Ajax überragend, droht nun ein ähnliches Schicksal. Immer wieder ranken sich Gerüchte um den Verkauf des US-Amerikaners. Doch Xavi glaubt weiterhin an die Qualitäten des 21-Jährigen. In Sicherheit sollte Dest sich aber nicht wiegen.
Eigengewächs Sergi Roberto, der in der Vergangenheit auch immer rechts hinten aushalf, will lieber im Mittelfeld auflaufen. Den Vertrag mit Alves, den man in der Winterpause reaktivierte und der auch regelmässig zum Einsatz kam, liess man auslaufen. Der Brasilianer setzt seine Karriere höchstwahrscheinlich in Mexiko fort. Moussa Wagué traut man nach einer langwierigen Verletzung nicht mehr viel zu bei den Culés.
Prognose: Wagué wird abgegeben, Alves ist schon weg. Auch wenn Xavi auf Dest setzen will, muss der Verein hier aufrüsten. Deshalb hat man Cesar Azpilicueta im Visier. Mit dem Spieler hat man sich schon geeinigt, nur sein Arbeitgeber stellt sich (noch) quer.
Chelsea soll acht Millionen Euro für den Routinier verlangen, viel Geld für einen 32-Jährigen wie Barça findet. Am Ende werden sich die Klubs einigen, schliesslich will der zweikampfstarke Abwehrspieler – der auch im Zentrum agieren kann – in die Heimat zurückkehren. Er könnte hier auch Dest entlasten – oder gar ablösen.
Linker Verteidiger
Jordi Alba ist die Konstante bei den Katalanen. Seit zehn Jahren wirbelt er auf der linken Seite rauf und runter, der 33-Jährige gehört immer noch zu den Besten seines Fachs. In seinem Alter besteht aber auch ein erhöhtes Verletzungsrisiko – im Kader findet sich kein adäquater Stellvertreter.
Prognose: Das Klumpenrisiko ist auch den Blaugrana bewusst. Deshalb will man dringend für Ersatz sorgen. Mit Marcos Alonso stünde der ideale Back-up bereit. Doch wie Teamkollege Azpilicueta läuft sein Vertrag bei Chelsea noch bis 2023. Der 31-Jährige will den Transfer machen und nach zwölf Jahren wieder in die Heimat zurückkehren. Angeblich sollen sich die Barça-Scouts in der Vergangenheit auch in der Bundesliga umgeschaut haben (Angeliño, Borna Sosa, Raphael Guerreiro), kein Kandidat habe jedoch überzeugen können. Eine Option bleibt auch Valencias Jose Luis Gaya.
Defensives/Zentrales/Offensives Mittelfeld
Mehr Stammplatz-Garantie als Sergio Busquets konnte man nicht haben. Der Routinier stand in jedem Liga-Spiel auf dem Platz, wenn er nicht gesperrt war. Neben ihm spielten meist Frenkie de Jong und Gavi. Pedri und Sergio Roberto fielen dagegen verletzungsbedingt lange aus. Nico González bekam auch regelmässig Spielzeit. Der Stern von Talent Riqui Puig sank hingegen drastisch. Miralem Pjanic und Alex Collado kehren von ihren Leihklubs (Besiktas bzw. Granada) zurück.
Prognose: Busquets will noch eine Saison spielen, dann liebäugelt der 33-jährige Captain mit einem Engagement in der MLS. Mit Franck Kessié hat man endlich einen Profi im Kader, der in der Zentrale die nötige Wasserverdrängung mitbringt. Doch ob der torgefährliche Ivorer spielerisch genug mitbringt, um den Spielrhythmus nicht zu stören, bleibt abzuwarten. Einen Versuch mit dem 25-Jährigen ist es definitiv wert – einen würdigen Nachfolger Typus Yaya Touré könnte man gut gebrauchen.
Die Situation mit de Jong bleibt weiterhin offen. Während Barça und Man Utd sich einig sind, will der Spieler offenbar bei seinem aktuellen Arbeitgeber bleiben, gleichzeitig aber keine drastische Lohneinbusse hinnehmen. Klar ist: Von de Jong haben sich die Katalanen mehr versprochen, unantastbar ist der Holländer nicht mehr.
Kein Wunder, denn der 17-jährige Gavi scheint alles für eine Welt-Karriere mitzubringen. Seine Vertragsverlängerung soll nur noch Formsache sein. Der zwei Jahre ältere Pedri will nach seiner Verletzung ebenfalls wieder angreifen, sein Kontrakt läuft bereits offiziell bis 2026.
Nico González soll sich auswärts Spielpraxis holen, Riqui Puig scheint keine Zukunft mehr zu haben. Sergi Roberto nahm eine üppige Gehaltseinbusse in Kauf, dafür wurde der Vertrag des 30-Jährigen bis 2023 verlängert. Xavi kann also weiterhin auf das polyvalente Eigengewächs zählen. Dafür sind sowohl Pjanic – der 32-Jährige war vor nicht allzu langer Zeit noch Taktgeber bei Juve – und Alex Collado, ehemaliger Captain der Barça-B-Auswahl, aussen vor.
Xavi soll ein grosser Fan von Bernardo Silva sein. Der Portugiese würde ebenfalls gerne den Schritt zu den Blaugrana machen. Die Citizens zeigen sich gesprächsbereit, stellen sich aber eine Ablösesumme von knapp 100 Millionen Euro vor. Barça hat sich selbst ein Limit von 70 Millionen gesetzt. Für diesen Preis kriegt man dafür einen Muster-Profi mit Weltklasse-Niveau, der zudem auf vielen Positionen einsetzbar ist.
Dafür ist das Interesse an Carlos Soler – dessen Verein Valencia schon öffentlich einen Transfer zu Barcelona dementieren musste – offenbar abgekühlt. Silva ist nun in der Pole Position bei Barça-Boss Juan Laporta. .
Linksaussen/Rechtsaussen
Ansu Fati hat im letzten Sommer in Barcelona die berühmte Nummer zehn von Lionel Messi geerbt. Viel Glück brachte es dem Juwel nicht – Fati erlebte eine von Verletzungen geprägte Seuchensaison. Ein Profiteur war Ferran Torres, der in der Winterpause von Man City verpflichtet wurde und Fatis angestammte Position auf dem linken Flügel einnahm. Auf der anderen Seite durfte meistens Ousmane Dembélé ran, der zu Saisonbeginn mit einer Knieverletzung ausfiel. Talent Ez Abde bekam nur wenige Einsatzminuten. Wintereinkauf Adama Traoré fiel bei Xavi durch und blieb bei seinen Kurzeinsätzen meist ohne Einfluss aufs Spiel. Antoine Griezmann und Philippe Coutinho sind mittlerweile auch weg, Trincão wurde an Sporting ausgeliehen.
Prognose: Dembélé zeigte endlich, warum man ihn einst für 140 Millionen Euro aus Dortmund holte. Der pfeilschnelle Franzose glänzte vor allem als Vorlagengeber – 13 Assists hatte er am Ende auf seinem Konto. Kein Spieler in LaLiga kam auf bessere Werte. Als Belohnung gab es nun ein Happy End – was lange undenkbar schien. Der 25-Jährige bleibt dem Klub treu und verlängert seinen Vertrag bis 2024. Dembélé nahm gleichzeitig eine saftige Salärreduktion in Kauf. Damit signalisierte das langjährige Sorgenkind, dass Geld (inzwischen) bei ihm nur noch eine Nebenrolle spielt.
Der Klub hat nun mit Raphinha – für 55 Millionen Euro von Leeds gekauft – einen Spieler verpflichtet, der ebenfalls am liebsten über den rechten Flügel kommt. Der brasilianische Nationalspieler stand bei den Katalanen auf der Wunschliste, da man ursprünglich mit einem Abgang von Dembélé rechnete. Wahrscheinlich wird Dembélé einfach auf die linke Seite wechseln.
Denn Wintereinkauf Ferran Torres hat noch nicht auf der ganzen Linie überzeugen können. 55 Millionen Euro überwies der Verein für den spanischen Nationalspieler an City. Bisher sehen sich viele Kritiker bestätigt, dass ihm aber eine wichtige Eigenschaft zu einem Top-Star fehlt: Effektivität vor dem Tor. Je vier Treffer und Assists sind in der Tat ausbaufähig. Das Potenzial beim 22-Jährigen ist zweifellos vorhanden. Auf der linken Seite fühlt sich aber auch Ansu Fati heimisch, der nach seiner Leidenszeit wieder angreifen will. Es wäre dem 19-Jährigen zu gönnen, wenn er endlich wieder über längere Zeit auf dem Platz stehen könnte.
Barcelona hat also auf dem Flügel ein Luxusproblem. Ferran Torres oder Ansu Fati können zwar auch hinter den Spitzen agieren, aber wenn die Verletzungshexe nicht wieder zuschlägt, scheint Ärger vorprogrammiert.
Mittelstürmer
Das Kapitel Sergio Agüero bei den Blaugrana war leider nur ganz kurz. Martin Braithwaite kam in der Winterpause 2020 als Not-Transfer für 18 Millionen Euro von Leganés. Der Däne durfte früher auch manchmal ran, in der letzten Saison blieb dem mittlerweile 31-Jährigen nur die Rolle als Reservist. Memphis Depay – im Vorjahr ablösefrei aus Lyon gekommen – spielte bis zu einer Oberschenkelverletzung Mitte Dezember immer über die volle Distanz, danach nur noch einmal. Mit Pierre-Emerick Aubameyang – ebenfalls ablösefrei – kam ein neuer Sheriff in die Stadt. Der Gabuner schlug bei Barça ein. Der letztjährige 3-Millionen-Euro-Einkauf Luuk de Jong erfüllte seinen Part und holte bei seinen sporadischen Einsätzen das Beste heraus.
Prognose: Barça war wohl schlicht eine Nummer zu gross für Braithwaite, der nun womöglich ein Abenteuer in der MLS anstrebt. De Jong hat man zu PSV abgegeben – der 31-Jährige war nichtsdestotrotz eine positive Überraschung. Doch Platz hat es für ihn im Sturmzentrum keinen mehr.
Weltfussballer Robert Lewandowski soll nach langem Tauziehen mit Noch-Arbeitgeber Bayern München endlich im Nou Camp seine Skorerqualitäten zeigen dürfen. 50 Millionen Euro soll das finale Angebot für den 33-jährigen Polen sein. Mit Aubameyang hat man bereits einen Angreifer mit eingebauter Tor-Garantie im Kader. Ein Duo Auba/Lewa wäre eine Wiedergeburt – bereits 2013/14 stürmten die beiden gemeinsam beim BVB. Lewandowski kam in 48 Partien auf 28 Tore und 8 Assists, Aubameyang kam bei gleich vielen Spielen auf 16 Tore und 5 Assists.
Die Einsatzzeiten von Depay dürften daher weiter schrumpfen. Der 28-jährige Holländer – dessen Vertrag bis 2023 läuft – glaubt jedoch offenbar an seine Chance und lehnte gemäss Berichten Angebote von Arsenal und Tottenham ab. Vielleicht wird der Mut ja belohnt.
Mögliche Barça-Aufstellung 2022/23
4-3-3 oder gar ein offensives 4-4-2?
Grundsätzlich will Xavi sicher am 4-3-3 festhalten – die Basis der Barça-DNA. Mit dieser Formation hat er immer genügend Offensiv-Power auf dem Feld. Vielleicht setzt er aber im Angriff vermehrt auf das Duo Aubameyang/Lewandowski, stellt er zudem Dembelé/Raphinha auf, muss Xavi einen zentralen Mittelfeldspieler opfern und dürfte auf ein Duo – zum Beispiel Busquets/Silva oder Busquets/Kessié– setzen, die genügend Routine oder Power mitbringen. Egal, was Xavi macht – auch der vermeintlich zweite Anzug sitzt auf dem Papier.
Quellen: Barcawelt, FussballEuropa, Transfermarkt, Sport, AS, Marca und diverse andere.