Yann Sommer verlässt Bayern München und schliesst sich Inter Mailand an. Damit sendet der Routinier auch ein Zeichen an Nati-Konkurrent Gregor Kobel.
Im Winter wechselte Yann Sommer nach fast zehn Jahren im ruhigen Mönchengladbach zu Bayern München. In seinen sechs Monaten beim deutschen Rekordmeister lernte er das Fussball-Geschäft von einer neuen Seite kennen.
Die Bayern holten ihn als Platzhalter für Übergestalt Manuel Neuer, der sich in den Ski-Ferien den Unterschenkel brach. In diesem Halbjahr durfte sich der Schweizer beim mit Abstand grössten deutschen Verein zwischen die Pfosten stellen. Kurz nach Dienstbeginn entliess man Trainer Julian Nagelsmann, der ein Fürsprecher von Sommer war. Nachfolger wurde Thomas Tuchel, der mit seinem neuen Arbeitgeber im Pokal und der Champions League gleich aus zwei Wettbewerben flog.
Im Tor strahlte Sommer dabei nie die Souveränität aus, welche ihn bei den Fohlen kennzeichnete, auch wenn grobe Patzer eigentlich ausblieben. Doch der Schattenwurf von Neuer war zu gross. Vor allem musste Sommer erfahren – an der Säbener Strasse weht ein anderer Wind. Frühere Bayern-Spieler und selbsternannte Experten warten nur darauf, angezählte Profis dem Pöbel medial zum Frass vorzuwerfen. In dieser Gemengelage war ein Happy End für Sommer schwierig. Immerhin konnte er mit dem Triumph in der Meisterschaft am letzten Spieltag endlich auch ausserhalb der Schweiz einen Titel feiern.
Die Realität holte Sommer schnell ein
Nichtsdestotrotz dürfte Sommer sich sein Bayern-Abenteuer anders vorgestellt haben. Diskussionen um fehlende Zentimeter bei der Körpergrösse gab es in Gladbach nie, wo Sommer ein unumstrittener Führungsspieler war. Nach aussen lächelte Posterboy Sommer solche Themen weg, im Innern dürfte er jedoch gespürt haben, dass er hier fehl am Platz ist. Auch, weil es eigentlich keine faire Chance gibt, solange Neuer noch unter Vertrag steht. Bei Bayern wird die nächsten Jahrzehnte jeder Keeper mit dem fünffachen Welttorhüter verglichen werden.
Das Heldenbild von Sommer hat zwar in Deutschland etwas Kratzer bekommen, sein Ruf ist aber international immer noch hervorragend. Mit Inter streckte nun ein Klub seine Hand aus, der vom Renommee zwar vergleichbar, sportlich aber eine Klasse tiefer anzusiedeln ist als die Bayern, auch wenn die Nerazurri es in der letzten Spielzeit sogar das Endspiel in der Königsklasse erreichten.
Inter und die Besitzerfamilie Zhang müssen Kosten sparen, die sechs Millionen Euro für den Schweizer hätte man früher aus der Portokasse bezahlt. Wie lange die Italiener versuchten, den Preis zu drücken, zeigt, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss beim Drittplatzierten in der letztjährigen Meisterschaft.
Eine gute Wahl getroffen
Die Perspektiven sind dabei gar nicht schlecht, auch wenn mit André Onana, Marcelo Brozovic, Milan Skriniar oder Edin Dzeko einige arrivierte Kräfte den Klub verliessen. Mit Davide Frattesi und Yann Aurel Bisseck sind zwei interessante Spieler neu dabei, Marcus Thuram soll vorne als Lukaku-Ersatz mit Lautaro Martinez für die nötigen Tore sorgen. Auch Routinier Juan Cuadrado (ablösefrei von Juve) ist eine Verstärkung.
Kurzum: Mit diesem Team kann man in Italien um den Scudetto mitspielen. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, Sommer braucht aktuell nicht um seinen Platz im Nationalteam zu fürchten.
Nati-Coach Murat Yakin ist ein Verfechter des Leistungsprinzips. Spielt ein Spieler nicht regelmässig im Verein, verliert er seinen Anspruch auf einen Stammplatz. Sommer hat schlicht keine Zukunft mehr in München gesehen, obwohl sich das Comeback von Neuer weiter nach hinten verschiebt – 2024 werde der Deutsche wieder auf dem Platz stehen können, heisst es gemäss Medienberichten.
Die Aussichten wären also gar nicht mal schlecht gewesen für Sommer, kurz-bis mittelfristig bei den Bayern im Tor stehen zu können. Nun wählte der 34-Jährige aber schlauerweise mit Inter die Flucht nach vorne, statt wieder in München den Seifenblasen nachzujagen.
Keinen offenen Zweikampf führen
Es ist auch ein Signal an Gregor Kobel. Der 25-Jährige überzeugt in Dortmund mit starken Leistungen, in der renommierten «Kicker-Rangliste» hat er Sommer bereits zwei Mal hinter sich gelassen. Doch das Prädikat als «bester Torwart in der Bundesliga» nützt nichts, wenn das Thema Nationalmannschaft heisst. Nach der WM 2014 stand beim SFV in wichtigen Spielen immer nur Yann Sommer im Tor – er dankte es jeweils mit tollen Leistungen.
Nun will er bei der EM 2024 in Deutschland sein fünftes grosses Turnier als Nummer 1 bestreiten. Als Stammkraft bei Inter hätte Sommer genügend Argumente, dass Yakin den Vertrauensvorschuss für ihn rechtfertigen kann.
Sommer ist auch nicht umsonst so lange erfolgreich im Geschäft. Nach der Erkenntnis, dass sein Bayern-Traum ausgeträumt ist, hat der Routinier die richtigen Schlüsse gezogen. Will er seinen jüngeren Rivalen auf Distanz halten, muss ein Tapetenwechsel her. Nochmals mehrere Monate im Fadenkreuz der Öffentlichkeit hätten es auch Yakin schwierig gemacht, seine Wahl sportlich zu begründen.
Sommer verteidigt beim SFV sein Revier
Das turbulente Halbjahr hat dem zweifachen Familienvater auch im Berufsleben gezeigt, wie wichtig Nestwärme ist. Als alter Löwe im Rudel muss er im Nati-Clan nichts mehr beweisen, während Kobel herausragende Leistungen zeigen muss, um überhaupt eine faire Chance zu kriegen. Paradoxerweise eine ähnliche Lage, wie sie auch Sommer in München vorfand.
Die Diskussion um den Nati-Stammplatz hat Sommer mit dem Wechsel erstmals erstickt. Wenn Sommer bei seinem neuen Arbeitgeber keine «brutta figura» macht, kann Yakin getrost weiterhin auf ihn setzen. Dazu muss Sommer nicht mal besser sein, nur nicht deutlich schlechter. Wie auf dem Platz schlagen eben auch abseits des Spielfelds seine Stärken durch: Seine Reaktionsschnelligkeit und seine Fähigkeit, gewisse Situationen zu antizipieren, mussten ihn unweigerlich zum Transfer führen.
Denn ein weiterer Fehlgriff bei der Klubwahl hätte ziemlich sicher auch bedeutet, dass sein junger Rivale in der Landesauswahl nach dem Thron greifen kann. Diesen Gefallen hat ihm Sommer nicht getan. Wohl sehr zum Ärger vom Kobel, der mit gefletschten Zähnen warten muss, bis der König abtreten wird. Kampflos kriegt der hungrige BVB-Keeper den Platz an der Sonne nicht.
Kobel droht also, in der Nati wie bis anhin die Ersatzbank drücken zu müssen. Für einen Mann seiner Klasse wird das sicher eine schwierige Herausforderung werden, zumal ihn sein Ehrgeiz dahin geführt hat, wo er jetzt steht. Sich in Geduld zu üben, gehört nicht zu seinen Stärken. Doch im Leben ist nicht alles planbar. Das kann ihm nun auch Rivale Yann Sommer nach seinem missglückten Bayern-Intermezzo erklären.