10 Jahre danach Teresa Enke: «Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass ich wieder glücklich werden kann – dann hätte ich das nicht geglaubt»

dpa

29.10.2019

Der Suizid von Robert Enke vor zehn Jahren schockiert nicht nur die Fussball-Szene. Seine Frau Teresa Enke kämpft seitdem um Aufklärung über die Volkskrankheit Depression. Es ist auch Teil ihrer Trauerarbeit, mit der sie ins Leben zurückgefunden hat.

Beinahe täglich kommt Teresa Enke an der Strasse vorbei, die den Namen ihres Mannes trägt. Die Robert-Enke-Strasse in Hannover liegt auf dem Weg zur Schule ihrer Tochter Leila. Sie führt direkt an der HDI-Arena vorbei, dem früheren Niedersachsenstadion.

In dem Stadion wurde Teresa Enkes Mann als Torwart von Hannover 96 von den Fans geachtet, gefeiert und verehrt. Und dort nahmen an einem Herbst-Sonntag vor zehn Jahren fast 40'000 Menschen in einer Trauerfeier Abschied von ihm. Fünf Tage zuvor hatte Robert Enke am 10. November 2009 seinem Leben an einem Bahnübergang in Elversen im Alter von 32 Jahren ein Ende gesetzt.

Bierhoff, Löw und Klinsmann nehmen Abschied von Robert Enke.
Bierhoff, Löw und Klinsmann nehmen Abschied von Robert Enke.
Bild: Keystone

«Es ist okay so. Es ist alles gesagt»

Teresa Enke steht auf einem Vorplatz am Stadion, ganz in der Nähe des Maschsees. Vor zwei Jahren ist sie nach Hannover zurückgekehrt, vorher lebte sie sechs Jahre lang in Köln. «In der ersten Zeit war das schwer, weil die Erinnerungen sehr schmerzhaft waren und ich solche Plätze deshalb auch gemieden habe», erzählt die 43-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und irgendwann prallt einem das nicht mehr so entgegen.»

Wie eine Schockwelle erfasst die Nachricht von Robert Enkes Suizid vor zehn Jahren beinahe eine ganze Nation. Sein Tod erschüttert und verstört die Menschen, ist für viele unfassbar und unwirklich. Noch zwei Tage zuvor hatte er – Deutschlands angehende Nummer eins für die WM 2010 –, beim 2:2 von Hannover 96 gegen den Hamburger SV im Tor gestanden.

Seine letzten Worte im TV-Interview erhalten plötzlich eine eigene Deutung: «Es ist okay so. Es ist alles gesagt.» Dabei geht es nur um die anstehenden Länderspiele gegen Chile und die Elfenbeinküste, bei denen er nach Absprache nicht dabei ist.

Die drängende Frage nach dem Warum seines Suizids beantwortet Teresa Enke keine 24 Stunden nach der Tragödie. In einer Pressekonferenz berichtet sie über die Depressionen ihres Mannes, seine Seelenqual, seine Ängste vor Entdeckung, vor Versagen. Sie spricht von seiner Furcht, dass ihnen wegen seiner Krankheit die neun Monate alte Adoptivtochter Leila weggenommen werden könnte. «Wir dachten halt auch, mit Liebe geht das. Aber man schafft es doch nicht, immer», sagt sie vor den Kameras – und rührt die Menschen.

«Fussball ist nicht alles»

Was in den Tagen nach Robert Enkes Tod passiert, ist für die deutsche Sport-Welt einmalig. Das Ausmass der Trauer erinnert an Tragödien wie die um Lady Di oder den Tod von Popstars. Das DFB-Team erfährt vom Unglück in seinem Quartier in Bonn. Das Länderspiel gegen Chile wird abgesagt. Teammanager Oliver Bierhoff bricht bei einer Pressekonferenz in Tränen aus.

An einer Andacht einen Tag nach Enkes Tod nehmen in und vor der Marktkirche in Hannover über 3'500 Menschen teil. Anschliessend gehen 35'000 Trauernde in einem Marsch durch Hannover. Zur Trauerfeier wenige Tage später kommt Politprominenz wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff. Die Trauerfeier ist die grösste, seit dem Tod des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer 1967. Der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hält eine viel beachtete Rede. Seine Mahnung ist deutlich: «Fussball ist nicht alles.»

Robert Enke wird zum Helden verklärt. Hartnäckig hält sich bis heute das Bild von dem Mann, der am gnadenlosen System Profi-Fussball zugrunde geht. Gegen diesen Mythos setzt Teresa Enke von Beginn an einen Gegenentwurf.

Es sei nicht der Fussball gewesen, «der ihn kaputt gemacht hat», sagt sie und betont auch heute: «Er war kein unglücklicher Mensch. Er hatte seine Krankheit, seine depressiven Phasen. Und er war vielleicht auch kein extrovertierter Mensch. Aber er war trotzdem ein lustiger Geselle und jemand, mit dem man viel Spass haben konnte.»

Teresa Enke an der Pressekonferenz nach dem Selbstmord ihres Mannes. 
Teresa Enke an der Pressekonferenz nach dem Selbstmord ihres Mannes. 
Bild: Keystone

Beide suchten nie das Rampenlicht

Für ihre Haltung wird Teresa Enke damals wie heute bewundert – eine Frau, deren Mann tragisch stirbt und die schon drei Jahre zuvor mit dem Tod ihrer zweijährigen Tochter Lara einen ersten Schicksalsschlag hinnehmen muss. Ein Jahr nach der Pressekonferenz erhält sie den Leibniz-Ring des Presseclubs Hannover für ihren Auftritt. «Ich wurde auf einen Sockel gestellt, den ich mir selbst gar nicht zugesprochen hätte», sagt sie rückblickend. Sie sei gar nicht so stark gewesen.

Letztlich war sie einfach eine Witwe, die um ihren Mann trauerte. Teresa Enke entsprach dem heute gängigen Klischee einer Spielerfrau ebenso wenig wie Robert Enke dem des glamourösen Stars. Beide suchten nie das Rampenlicht, lebten zurückgezogen auf dem umgebauten Bauernhof in Empede bei Hannover.

Er engagierte sich, dachte an andere, schenkte Konkurrenten Torwart-Handschuhe oder rief den noch jungen Torhüter Sven Ulreich vom VfB Stuttgart an, sprach ihm Mut zu, nachdem er öffentlich von seinem Trainer Armin Veh kritisiert wurde.

«Man war davor eine Familie – und ist auf einmal allein»

Irgendwann nach der Trauerfeier, der Beisetzung und dem medialen Sturm kommt für Teresa Enke die dröhnende Stille. «Man war davor eine Familie – und ist auf einmal allein. Ich bin an das Grab gegangen, und da standen zwei Namen drauf», sagt sie. Bevor sie zwei Jahre später nach Köln zieht, nimmt sie sich mit ihrer Tochter eine Auszeit. In Köln beginnt sie, sich langsam ins Leben zurückzutasten.

Ein wichtiger Schritt für ihre persönliche Trauerarbeit ist 2010 die Gründung der Robert-Enke-Stiftung. Träger sind der DFB, die Deutsche Fussball Liga und Hannover 96. Sie wird Vorstandschefin und ist bis heute das Gesicht der Stiftung. Sie gibt Interviews, bemüht sich um Aufklärung über die längst als Volkskrankheit eingestufte Depression.

Teresa Enke: «Robbi ist immer noch ein grosser Bestandteil meines Lebens.»
Teresa Enke: «Robbi ist immer noch ein grosser Bestandteil meines Lebens.»
Bild: Getty

Sie habe den Vorteil gegenüber anderen mit einem ähnlichen Schicksal, dass ihr Mann immer noch präsent sei – auch für ihre Tochter Leila. «Robbi ist immer noch ein grosser Bestandteil meines Lebens», sagt sie. Die Medien und die Menschen denken an ihn. «Damit kann man leichter leben, weil man weiss, dass der Mensch nicht in Vergessenheit gerät.»

Teresa Enke glaubt, dass sich nach dem Tod ihres Mannes der öffentliche Umgang mit der Krankheit im Allgemeinen verändert hat. «Das ist ein grosses und mittlerweile auch öffentliches Thema geworden.» Der Fussball habe sich nicht geändert und werde sich nicht ändern, räumt sie ein. «Aber: Es gibt mittlerweile Netzwerke. Es gibt 70 Sport-Psychiater in ganz Deutschland. Wenn ein Sportler erkrankt ist, dann gibt es überall Anlaufstellen.»

«Gesundheit ist nicht das Ziel des Leistungssports»

Valentin Markser, der Robert Enke psychotherapeutisch behandelte und bei der Pressekonferenz nach dessen Tod neben Teresa Enke sass, ist skeptischer, was die Situation im Profi-Sport generell angeht. «Das System ist leider noch auf dem Stand von 2009», sagte der einstige Handball-Torwart dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor wenigen Wochen. Auch Mentaltrainer und Sportpsychologen helfen nicht weiter. «Insgesamt gibt es ein grosses Missverständnis: Gesundheit ist nicht das Ziel des Leistungssports – man setzt sie einfach während der gesamten Karriere voraus.» Niemand wolle einen Versager.

Hannover 96-Trainer Mirko Slomka plädiert dafür, dem Thema Depressionen mehr Raum in der Ausbildung von Fussball-Lehrern zu geben. «Ich finde, dass wir uns in der Trainerausbildung intensiver mit diesem Thema beschäftigen sollten», sagte er. Als Trainer müsse man «feine Antennen» haben, um zu erkennen, wenn es einem Spieler nicht gut gehe.

Für Teresa Enke sind der Tod ihres Mannes und der ihrer ersten Tochter die Themen ihres Lebens geworden. Auf ihrem rechten Unterarm hat sie sich gross den Namen Robbi, am Oberarm den Namen Lara tätowieren lassen.

«Kein Trübsal blasen, sondern lustige Geschichten erzählen»

Dennoch bleibt Teresa Enke nicht in der Vergangenheit gefangen. Sie sei mit sich «im Reinen». Ihr Privatleben hält sie raus aus der Öffentlichkeit. «Mir geht es gut», sagt sie. «Ich denke mittlerweile mit Dankbarkeit und Freude an Lara, an Robbi und an die gemeinsame Zeit zurück.» Es gebe natürlich Momente, in denen sie traurig sei. «Aber wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass ich wieder glücklich werden kann – dann hätte ich das nicht geglaubt.»

Am Todestag werden ihre Familie, Freunde und Robert Enkes Mutter nach Hannover kommen. Sie wolle diesen Tag nicht so besonders machen, sagt sie. Sie würden auch «kein Trübsal blasen, sondern uns erinnern und auch lustige Geschichten erzählen». Sie stelle sich dann vor, ihr Mann sitze neben Lara, ihrem Bruder und ihrem Vater. Sie gucken zu ihnen runter und ihnen gehe es gut. «Diese kindliche Vorstellung habe ich noch.»


Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 www.143.ch

Beratungstelefon von Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147 www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:

Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net


Zurück zur StartseiteZurück zum Sport