Der Titel mag reisserisch klingen, doch es ist uns ernst damit. Viele Fans dürften sich nach Fernandes' Rücktrittsankündigung spontan an seinen WM-Treffer gegen Spanien erinnern. Doch es ist nicht dieses eine Tor, das den 33-Jährigen zu einem grossen Spieler macht.
Am Ende dieser Saison wird Fernandes zurücktreten, Eintracht Frankfurt wird seine letzte Station als Profifussballer bleiben.
Schaut man nur auf Statistiken und Trophäen, dann wird man nicht auf die Idee kommen, Fernandes zu den ganz Grossen dieses Sports zu zählen. Ein Cupsieg mit Sion im Jahr 2006 und der Gewinn des DFB-Pokals im Jahr 2018, mehr war da nicht. In 508 Spielen als Klubfussballer hat der defensive Mittelfeldspieler eher bescheidene 15 Tore erzielt und acht vorbereitet. Beeindruckender ist da schon seine Kartensammlung: 125-mal wurde er verwarnt, 6-mal flog er mit Gelb-Rot vom Platz, einmal sah er direkt Rot – das war in der vergangenen Saison. Im Halbfinal des DFB-Pokals flog er 33 Sekunden nach seiner Einwechslung vom Platz und war deshalb im Final gegen Bayern München gesperrt – sicherlich einer der bittersten Momente in seiner Karriere.
Doch es gibt auch die nicht messbaren Komponenten, denen oft zu wenig Bedeutung beigemessen wird. So war der 33-Jährige – und er ist es bis heute und wird es bis zu seinem letzten Tag sein – ein Teamplayer allererster Güte. Fernandes hat sich immer zu hundert Prozent in den Dienst der Mannschaft gestellt. Auf dem Platz hat er stets vollen Einsatz gegeben, Mitspieler motiviert und auf der Bank nicht ein einziges Mal aufgemuckt. Schlechte Stimmung verbreiten, das tat der Mann, der abseits des Platzes stets ein breites Lachen im Gesicht zu haben schien, nie. Vielmehr hat er sich um seine Mitspieler gekümmert, da kam ihm sicher auch zugute, dass er sieben Sprachen (kreolisch, französisch, portugiesisch, deutsch, italienisch, spanisch, englisch) beherrscht.
Wie kaum ein anderer hat er vorgelebt, was es bedeutet, sein Ego hinten anzustellen. Nicht weil er unterwürfig alles mit sich machen liess, sehr wohl konnte er seine Meinung kundtun, doch er tat dies mit Stil und auf direktem Weg. Nie hätte Fernandes den Weg über die Medien gesucht, um gegen jemanden nachzutreten. Das gilt vor allem mit Blick auf seine Nationalmannschaftskarriere, denn auf Klubebene gehörte er oft zu den Stammspielern. Und er hat in vielen Klubs gespielt: Sion, Manchester City, Saint-Étienne, Chievo Verona, Leicester City, Udinese Calcio, Sporting Lissabon, SC Freiburg, Stade Rennes und seit Sommer 2017 bei Frankfurt.
Fernandes und die Nationalmannschaft
Klar, auch wir erinnern uns gerne daran, wie Fernandes an der WM 2010 in Südafrika im Auftaktspiel gegen den späteren Weltmeister Spanien den Ball in der 52. Minute über die Linie drückte und am Ende ein 1:0-Sieg resultierte. Über die folgenden Spiele braucht man an dieser Stelle nicht mehr zu berichten.
Am 21. August 2007 debütierte Fernandes unter Köbi Kuhn, an der Heim-EM 2008 ist er bereits unumstrittener Stammspieler. Unter Ottmar Hitzfeld, der nach der besagten EM das Steuer übernahm, war er nur zu Beginn gesetzt. An der WM 2010 stand er zwar in allen drei Partien in der Startelf, den unvergessenen Treffer gegen Spanien haben wir ja bereits erwähnt.
Doch es ging nicht in diesem Stil weiter, Fernandes war (zu oft) nur noch Lückenbüsser. So sass er etwa an der WM 2014 in allen Gruppenspielen auf der Bank, kam nur im Achtelfinale gegen Argentinien zu einem Teileinsatz – immerhin. Denn an seiner dritten und letzten WM blieb ihm selbst ein Teileinsatz verwehrt. Zwei Jahre zuvor war er auch an der EM nicht mehr als ein Edelreservist. Kurze Zeit nach der WM 2018, er schien wie Valon Behrami vorerst keine Rolle mehr im Nationalteam zu spielen, trat er aus freien Stücken zurück.
Aber im Gegensatz zum aufbrausend und beleidigt reagierenden Behrami, verabschiedete sich Fernandes mit Stil aus der Nati – mit einer emotionalen Botschaft, die eigentlich alles über seinen Charakter aussagt. Unter anderem war da zu lesen: «Ich bin mir stets darüber im Klaren gewesen, dass die grösste Gefahr für eine Nationalmannschaft der Egoismus ist. Denn jeder Spieler ist in seinem Verein sehr wichtig, und nicht selten überträgt sich derlei auf die Nationalmannschaft. Aber wer zu den besten Spielern eines Landes zählt, muss vor allem Stolz spüren, für sein Land spielen zu dürfen.» Deshalb sei es für ihn auch nie ein Problem gewesen, sich auf die Ersatzbank zu setzen.
Ja, wir werden Fernandes vermissen. Aber bestimmt werden wir ihn wieder sehen. Er wäre bestimmt ein grossartiger Trainer. Wie schwärmte doch Adi Hütter vor gar nicht mal so langer Zeit: «Gelson ist ein Spieler, der mir als Trainer das Gefühl gibt, er handle auf dem Platz wie ein Spielertrainer. Weil er sich in den Dienst der Mannschaft stellt, weil er ein Führungsspieler ist, weil er mehrere Sprachen spricht und die Jungs auf dem Platz super einteilt.» Vielleicht wird er ja doch noch zum Titelhamsterer …