Ein Experte für Sportinnovation gibt in einem Interview mit «The Red Bulletin» einen faszinierenden Einblick in die technologischen Veränderungen, die den Sport grundlegend verändern könnten.
Sascha L. Schmidt forscht zur Zukunft des Sports. In einem Interview mit «The Red Bulletin» gibt er einen Einblick, wie sich der Fussball und Sportarten im Allgemeinen verändern könnten – sowohl für die Zuschauenden als auch für die Sportler*innen selbst. Im Folgenden erhältst du einen Überblick der interessantesten Visionen.
Komplett neues Fanerlebnis
«Warum sollen wir in zwanzig Jahren nicht im virtuellen Raum ein EM-Finale verfolgen?», fragt Schmidt. Bereits heute ist das Stadion von Manchester City im Metaverse verfügbar. Statt verzweifelter Versuche, Tickets zu ergattern, könnten Fans künftig bequem von der Couch aus ein Spiel erleben – als Avatar in der virtuellen ersten Reihe, ausgestattet mit VR-Brille. Ein Szenario, das es ermöglichen könnte, eine Milliarde Menschen im virtuellen Stadion zu vereinen.
Doch nicht nur das: Auch die klassische TV-Übertragung wird personalisiert. Schmidt erklärt: «Wir schauen beide dasselbe Spiel, und doch haben Sie eine ganz andere Experience als ich. Weil der Algorithmus weiss, dass Sie gerne häufiger den Trainer sehen oder etwa die Sicht des Torhüters, wenn der Stürmer auf ihn zurennt. Irgendwann würde kein Zuschauer mehr dasselbe Erlebnis haben wie der andere.»
Hologramme und Robotik
Ein weiterer revolutionärer Ansatz: Hologramm-Technologie. Spiele könnten simultan in Stadien weltweit projiziert werden. «Das Endspiel würde dann einfach in jedes Stadion projiziert werden und die Spieler als Hologramme dort über den Rasen laufen – angefeuert von echten Fankurven», so Schmidt. Dies würde die Magie eines vollbesetzten Stadions mit der Flexibilität virtueller Events verbinden.
Wie das konkret aussehen könnte? Die Schweizer Nati trifft im WM-Final 2030 in Saudi-Arabien auf Brasilien. Nun wäre es möglich, dass man im Wankdorf und im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro genau die gleiche Partie sehen könnte wie in Saudi-Arabien. Natürlich mit dem Unterschied, dass man nicht die echten Spieler über den Rasen flitzen sieht, sondern nur deren Hologramme.
Interaktive Einflussnahme durch Fans
Ein faszinierender Gedanke ist auch, dass Zuschauer*innen in Zukunft direkt ins Spielgeschehen eingreifen könnten. «In der Formel E gab es bereits einen Fan-Boost», erinnert Schmidt. Fans bestimmten, welcher Fahrer einen Geschwindigkeitsschub erhält. Solche Mechanismen könnten mithilfe von Nanobots auf den Fussball übertragen werden.
«In den USA wiederum gibt es schon eine Football-Liga, wo sich Fans über NFTs einloggen können und dann tatsächlich ins Spielgeschehen eingreifen. Etwa, indem sie über die Spielstrategie abstimmen oder über Neuzugänge. Sie werden bald auch an Erlösen beteiligt sein – im Grunde wie eine Aktionärsgruppe», weiss Schmidt.
Digitale Zwillinge
Technologie wird auch das Training revolutionieren. Schmidt berichtet von Trainingshallen des FC Bayern München und RB Leipzig mit interaktiven 360-Grad-Leinwänden, die schon heute Szenen simulieren und die Entscheidungsfähigkeit verbessern. «Beyond Sports stellt Klubs wie Ajax Amsterdam VR-Brillen zur Verfügung, mit denen Szenen eines Spiels nachempfunden werden können.»
Auch digitale Zwillinge könnten eine Schlüsselrolle spielen: «Dann können Sie einen Zweikampf gegen diese Person simulieren oder sich an deren Fitness messen, etwa bei einem virtuellen Radrennen. Das geht teilweise schon heute.» Ein weiteres Szenario wären KI-gesteuerte humanoide Roboter, die beispielsweise im Tennis Anwendung finden könnten und dann aufgrund unzähliger Daten den Spielstil eines Stars wie Novak Djokovic perfekt nachahmen könnten.
Der Athletenkörper von morgen
Die Verschmelzung von Mensch und Maschine wird den Sport grundlegend verändern. Prothesen oder Exoskelette könnten Leistungsgrenzen verschieben und neue Rekorde ermöglichen. Schmidt nennt als Beispiel den paralympischen Sport, wo Athleten auf Prothesen angewiesen sind und dank der Weiterentwicklung dieser Hilfsmittel schon heute immer wieder neue Rekorde aufstellen. Aber auch ältere Menschen, die beispielsweise eine künstliche Hüfte oder ein Knie brauchen.
«Da ist es vorstellbar, dass Sie dann Menschen vor sich haben, die äusserlich normal aussehen, aber Titan-Teile im Fuss haben, die ihren Schuss doppelt so stark machen. Das Binäre löst sich langsam auf. Ich kann nicht mehr klar trennen: Das ist Mensch, das ist Maschine», so Schmidt. Das stelle die Sportwelt aber vor ganz neue Fragen. «Wer darf überhaupt noch an welchem Wettbewerb teilnehmen? Oder gibt es eine offene Klasse, in der alle Hilfsmittel erlaubt sind?»
Das Bild des Behindertensports ändert sich
Wenn Menschen mit Behinderung Technologien erhalten, die sie genauso leistungsfähig machen wie Menschen ohne Behinderung oder sogar noch stärker, dann könnte dies das Bild von einer Behinderung ändern, glaubt Schmidt und geht sogar noch weiter: «Da liegt ein riesiges Potential für den ganzen paralympischen Sport. Ich nenne es gerne so: ‹The old odd becomes the new cool›. Der ehemals eingeschränkte Athlet wird dann der mit der cooleren Ausstattung.»
Unser Fazit zu möglichen Revolutionen im Sport
Wie immer, wenn wir in Kontakt kommen mit neuen Technologien und künstlicher Intelligenz, eröffnen sich auf der einen Seite viele neue Möglichkeiten und Chancen, auf der anderen Seite gibt es viele Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt. Manche sind ob der Entwicklungen einfach nur begeistert, andere wiederum befürchten das Schlimmste. Eine Mehrheit dürfte aber zwischen Begeisterung, Gleichgültigkeit und Besorgnis hin und her pendeln. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden technologische Entwicklung keinen grossen Bogen um die Sportwelt machen, das scheint so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Frage ist, wie wir damit umgehen.