Servette-Sportchef packt aus Weiler: «Das schweizerische Neidpotenzial nervt allmählich»

Michael Wegmann (Interview) und Ronja Zeller (Video)

22.11.2024

René Weiler verrät: Darum werde ich in der Schweiz nicht mehr Klubtrainer sein

René Weiler verrät: Darum werde ich in der Schweiz nicht mehr Klubtrainer sein

Nach dem Cupsieg mit Servette als Trainer, kann sich der jetzige Sportchef René Weiler kein Engagement mehr als Klubtrainer in der Schweiz vorstellen. Im exklusiven Interview mit blue Sport spricht er über die Gründe.

21.11.2024

Im Sommer trat Erfolgstrainer René Weiler (51) überraschend als Servette-Trainer zurück und wurde Sportchef. Seither hielt er sich im Hintergrund. Bei blue Sport bricht er nicht nur sein Schweigen, er redet auch Klartext. 

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Michael Wegmann (Interview) und Ronja Zeller (Video)

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • René Weiler spricht im Interview mit blue Sport über seine neue Rolle als Sportchef und die Meisterambitionen von Servette.
  • Ausserdem erklärt der 51-Jährige, weshalb er in der Schweiz nicht mehr als Trainer arbeiten will. Mit einer Ausnahme: «Nati-Trainer will ich nicht ausschliessen.»
  • Hierzulande würden Sportlerinnen und Sportler weniger geschätzt werden als im Ausland, meint Weiler: «Schweizer haben das schädliche Talent, landeseigene Potenziale klein zu machen.»

René Weiler, zu Beginn der letzten Saison haben Sie Servette umgekrempelt: Sie sortierten Spieler aus und holten neue. Ihr offensiver Fussball endete in der besten Saison seit 20 Jahren und im Cupsieg. Warum sind Sie nicht Trainer geblieben?

Ein Trainer hat in der Schweiz nicht denselben Stellenwert wie im Ausland. Hier reden viele Menschen mit – auch viele, die keine Kompetenzen auf diesem Niveau haben. Viele wollen sich in sportliche Entscheidungsprozesse einbringen, die Verantwortung trägt im Endeffekt dann aber nur der Trainer. Das missfällt mir.

Gibt es weitere Gründe?

Ja. Oft ist auch die Berichterstattung oberflächlich und in erster Linie von engen Kontakten sowie einigen wenigen Telefonaten bestimmt. Das empfinde ich als unprofessionell und wenig motivierend. Ich freue mich nun, mit meiner Erfahrung andere Trainer zu unterstützen, welche die Chance packen möchten, Karriere zu machen.

Haben Sie deshalb bisher als Sportchef keine Interviews gegeben?

Auch. Ich geniesse derzeit die Arbeit im Hintergrund. Und ehrlich gesagt: Es reden ja genug. Es wimmelt hier von Fussballexperten, welche ihre Expertisen abgeben müssen oder wollen. Auch wenn der Inhalt nicht bei allen fundiert ist.

Als Trainer waren Sie sehr erfolgreich: Aufstieg mit dem FC Aarau, Relegation mit Nürnberg, Meister mit Anderlecht in Belgien, Meister mit Al Ahly in Ägypten, Cupsieger mit Servette. Wäre diese Saison nicht der perfekte Zeitpunkt gewesen, um mit Servette auch noch den Schweizer Meistertitel zu gewinnen?

Die Meisterschaft können wir alle zusammen auch in der neuen Konstellation und mit dem neuen Coach Thomas Häberli gewinnen.

René Weiler: «Wir können den Titel auch in dieser Konstellation holen»

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René Weiler arbeitet als Sportchef bei Servette nun mehr im Hintergrund. Er ist überzeugt, dass Servette auch ohne ihn an der Seitenlinie Titel gewinnen kann.

21.11.2024

Ist der Titel also Ihre Zielvorgabe als Sportdirektor?

Wir wollen Spieler entwickeln, Spiele gewinnen und versuchen, Meister zu werden. Und das kurz-, mittel- und langfristig.

Egal, wen man in der Schweiz fragt, es heisst immer wieder «Der Weiler ist ein hervorragender Trainer, aber auch ein schwieriger Typ». Stimmt das?

Macht oder sagt man nicht das, was die Leute hören und noch verstehen können, gilt man als schwierig. Da ich jedoch nicht gerne im Mittelpunkt stehe und auch keine Zeitungen konsumiere, bekomme ich ehrlich gesagt gar nicht wirklich mit, was über wen gesagt wird.

Selbstbewusst, fordernd und konsequent. Diese Adjektive dürfen Sie nicht stören, oder?

Wichtig ist, sich seiner eigenen Kompetenzen, Stärken wie Schwächen bewusst zu sein und sich stetig weiterzuentwickeln. Ich bin mit den Athleten hart, mit den Menschen dahinter jedoch einfühlsam und verständnisvoll.

Eigenwillig sind Sie mit Sicherheit. Wer sonst würde in einem Cupfinal in der 118. Minute den Goalie fürs Penaltyschiessen wechseln oder nach einer Roten Karte in der 5. Minute offensiv wechseln, wie Sie dies einst im Spiel in Genk getan haben.

Eigenwillig, vielleicht. Aber ich bin unabsichtlich anders als andere. Leider machen viele Trainer nur das, was ihnen vorgegeben wird und was alle verstehen. Das ist falsch und zudem schwach. Im Leistungssport muss man nach Leistung handeln und das tun, was einem die grösste Chance auf den angestrebten Erfolg eröffnet. Das verfolgte ich stets und überall konsequent.

Was macht in Ihren Augen einen guten Trainer aus?

Unter anderem überdurchschnittliche Qualität im Einfühlungsvermögen, in der Antizipationsfähigkeit, in der allgemeinen Wirksamkeit, in der verständlichen und nicht widersprüchlichen Kommunikation und dazu eine gesunde Portion Mut wie Gelassenheit.

René Weiler beschreibt was einen guten Trainer ausmacht

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Als Sportchef von Servette arbeitet René Weiler eng mit dem Trainer zusammen. Er weiss genau, welche Eigenschaften für einen Trainer wichtig sind.

21.11.2024

Gibt es den Trainer René Weiler nicht mehr?

Bei einem Profiklub in der Schweiz nicht mehr, nein.

Und im Ausland?

Vielleicht.

Wo?

An lebenswerten Orten und mit Menschen, die ich faszinierend fände.

Sie haben kürzlich Schalke 04 und auch anderen Vereinen abgesagt. Warum?

Weil es mir in Genf gefällt und wir uns auf einem exzellenten Weg befinden.

Kommt der Job als Schweizer Nati-Trainer infrage?

Nati-Trainer und auch Juniorenspitzenfussball will ich nicht ausschliessen.

Viele Sportchefs sitzen auf der Bank. Warum tun Sie das nicht?

Weil ich der Meinung bin, dass auf der Bank der Trainer mit seinem Staff die alleinige Verantwortung haben soll und nicht meine Meinung, Präsenz oder Gedanken hören respektive spüren muss.

René Weiler: «Ich finde nicht gut, wenn ein Sportchef auf der Bank sitzt»

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René Weiler erklärt im exklusiven Interview mit blue Sport, warum er in seiner Rolle als Sportchef von Servette nie auf der Bank Platz nehmen würde.

21.11.2024

Sie tun sich in der Schweiz manchmal schwer, jedenfalls schwerer als im Ausland. Warum?

Weil die Schweizer Sportlerinnen und Sportler und deren Leistungen weniger schätzen als im Ausland und weil mich das landläufige Neidpotenzial allmählich nervt. Ich empfinde es als mangelnder Respekt. Erfolge werden hier tendenziell klein gemacht – im Ausland werden die Eigenen schon bei mässigem Erfolg hochgejubelt.

Sie haben in Ägypten, Japan, Deutschland und Belgien gearbeitet. Hinkt der Schweizer Fussball anderen Ländern hinterher?

Unser Fussball ist in einer entscheidenden Phase. Viele grosse Länder haben uns abgehängt und kleine haben uns tatsächlich eingeholt. Uns in der Schweiz fehlt es an Professionalität und Härte. Zudem sind die Bereitschaft, Widerstandsfähigkeit und Infrastruktur dürftig.

Was muss sich in Ihren Augen ändern?

Man müsste auf Personen in Entscheidungspositionen setzen, welche selbst den Beruf erfolgreich ausgeübt haben. Es braucht erfahrene Leute mit Persönlichkeit und Charisma. Es gibt zu viele, die das Business nur aus der Theorie kennen und über persönliche Beziehungen in diese Ämter gehievt wurden. Und es ist ja klar, dass schwache Personen schwache Personen einstellen.

Im Verband oder in den Klubs?

Sowohl als auch.

Jetzt sind Sie wieder Sportchef wie vor 20 Jahren. Im Dezember 2004 wurden Sie, 31-jährig, sportlicher Leiter beim FC St. Gallen. Es endete damit, dass der damalige Grossaktionär des FC St. Gallen Edgar Oehler Sie öffentlich denunzierte. Er polterte, man solle Ihnen doch einen Job als «Papierkorb-Leerer» anbieten ...

... das ist eine alte Geschichte. Sie hat mich damals schwer belastet. Ich wurde von einer Person kritisiert, die nicht mal die kleinste Ahnung vom Profifussball hatte, und die Medien gaben dieser sogar noch die Plattform. Umso erstaunlicher, dass ich danach noch Erfolge feiern konnte. Stellen Sie sich mal vor, was gewesen wäre, wenn ich deswegen nirgends mehr Arbeit hätte finden können. Das meinte ich, Schweizer haben das schädliche Talent, landeseigene Potenziale klein zu machen. Unfassbar eigentlich, erinnern Sie mich bitte nicht mehr daran.

René Weiler über seine negativen Erfahrungen als Sportchef beim FC St. Gallen

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René Weiler spricht im Talk mit blue Sport über seine negativen Erfahrungen bei seiner ersten Station als Sportchef in der Ostschweiz.

21.11.2024

Was haben Sie daraus gelernt?

Dass es an vielen Orten mehr um Egos als um die Sache geht. Und dass man sich nicht unterkriegen lassen sollte, immer wieder aufstehen muss und Aufgeben keine Alternative ist.

Das Video-Interview in kompletter Länge

René Weiler: «Darum werde ich in der Super League nicht mehr Trainer sein»

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Immer direkt und geradeaus: Das komplette Gespräch mit Servette-Sportchef René Weiler.

22.11.2024