Zeit für Veränderungen «Geht nicht nur um diesen Kuss»: Wie die Macho-Kultur den Fussball beherrscht

dpa / mar

3.9.2023 - 12:57

Rubiales wurde für seinen Kuss inzwischen suspendiert.
Rubiales wurde für seinen Kuss inzwischen suspendiert.
KEYSTONE

Der Kuss-Skandal um den spanischen Verbandspräsidenten wühlt den Fussball auf, auch den deutschen. Männliches «Machtgebaren» werde immer noch akzeptiert, klagt die frühere HSV-Managerin Katja Kraus.

Ein Kuss beschäftigt die Fussballwelt. Luis Rubiales hat ihn der Spielerin Jennifer Hermoso wohl aufgezwungen.

Die Folgen: Rubiales suspendiert, seine Mutter im Hungerstreik, die gegen ihn opponierenden Spielerinnen im Boykott. Und Spaniens Fussball im Kulturkampf. In der Hauptrolle Verbandspräsident Rubiales, der «falschen Feminismus» beklagt. Weit über das Land der Weltmeisterinnen hinaus tobt nun die Debatte über Macht und Ohnmacht, alte Strukturen und langjährige Seilschaften. Begünstigt der lange als Männersport inszenierte Fussball ein System, in dem Macho-Kultur und Machtmissbrauch besonders gut gedeihen?

«Es geht nicht nur um diesen Kuss, das Thema, mit dem sich der Fussball beschäftigen muss, ist viel grösser», sagt die frühere HSV-Managerin Katja Kraus der Deutschen Presse-Agentur. Rubiales verkörpere eine Haltung, «der das Recht inne wohnt, sich zu nehmen, was man haben möchte, weil man glaubt, dass es einem zusteht. Das ist einfach widerlich».

Die frühere HSV-Managerin Katja Kraus.
Die frühere HSV-Managerin Katja Kraus.
dpa

Kraus beklagt eine «strukturelle Diskriminierung»

Es gibt auch andere Aufreger. Gegen Sambias Nationaltrainer Bruce Mwape oder Haitis Verbandspräsident Yves Jean-Bart wurden zum Beispiel Vorwürfe von sexuellem Missbrauch erhoben. Und dass Spaniens Fussball ein Problem hat, deutete sich schon vor einem Jahr an, als die Spielerinnen gegen die Methoden von Coach Jorge Vilda rebellierten.

Kraus, aktiv im Netzwerk «Fussball kann mehr», das sich für mehr Diversität und Gleichberechtigung im Fussball einsetzt, beklagt schon länger eine «strukturelle Diskriminierung» in der Branche. «Alle, die sich seit Langem in diesem System bewegen, sind Teil der Machtstrukturen geworden», meint Kraus. «Da sind Loyalitäten entstanden, die sich wechselseitig stützen und schützen.» Es brauche mehr neue Gesichter wie Lise Klaveness (41). Die Präsidentin des norwegischen Fussballverbandes hatte nach dem Kuss-Skandal «ein Jahrhundert der Frauenfeindlichkeit» beklagt.

«Im Fussball haben es progressive Kräfte schwerer, weil der Sport eben so stark männlich dominiert war und ist, sowohl auf Funktionärs- als auch Fanebene», erklärt der in Wien lehrende Historiker und Politologe Georg Spitaler. «Das macht es für feministische Anliegen schwieriger.» Bis heute würden im Fussball «Bilder einer rauen, durchaus auch gewalttätigen Männlichkeit inszeniert», sagt der langjährige Mitherausgeber des Fussballmagazins «ballesterer». Fussballerinnen würden immer noch als «Anhängsel» gesehen.

Rummenigge verteidigt Kuss-Skandal

In Deutschland sah Karl-Heinz Rummenigge den Kuss-Skandal so: «Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay». Emotionalität sei wichtig im Fussball, man solle die «Kirche im Dorf lassen», sagte Bayerns Aufsichtsratsmitglied. DFB-Präsident Bernd Neuendorf («glaube, ich hätte nicht so gehandelt») und BVB-Boss Hans-Joachim Watzke («weiss nicht, was da vorher gewesen ist») blieben zurückhaltend – offene Kritik an Rubiales äusserten aber auch sie nicht. Für Kraus ein Teil des Übels: «Dass dieses männliche Machtgebaren im Fussball noch immer akzeptiert ist, haben die spontanen Reaktionen aktiver Funktionäre und der ausbleibende Widerspruch Andersdenkender gezeigt.»

Wie Rummenigge kommen Watzke und Neuendorf in den Gremien der Europäischen Fussball-Union UEFA gelegentlich mit Rubiales zusammen. Unter den 27 wichtigsten Funktionären dort sind drei Frauen. Sieben von 37 sind es beim Weltverband FIFA. Die 20 Landesverbände des Deutschen Fussball-Bunds werden allesamt von Männern geführt. Das neunköpfige Präsidium der Deutschen Fussball Liga: rein männlich besetzt. Immerhin: Im DFB-Präsidium sind vier von 14 Mitgliedern Frauen. «Das sind mehr als es früher gegeben hat», sagt Reinhard Grindel. Der frühere DFB-Präsident sieht den Verband «auf einem guten Weg», die Frage des respektvollen Umgangs mit Frauen werde bei der Besetzung von Positionen mitgedacht.

Fall Rubiales beim DFB für Grindel nicht vorstellbar

Ein Fall Rubiales beim DFB? Für den 61-Jährigen so nicht vorstellbar. «Ein ehrenamtlich geprägter Verband, wo die Leute aus ganz verschiedenen Bereichen kommen, tut sich bei solchen Themen leichter.» Er wisse aus Gesprächen mit dem damaligen Frauen-Nationaltrainer Horst Hrubesch, «dass das immer ein Thema war: Wie verhalten wir uns, wenn wir in die Kabine gehen?», erzählt Grindel. «Diese Sensibilität haben wir damals schon gehabt, und die haben die Kollegen heute natürlich auch.»

Und Kollegen wie Rummenigge? «Bei Rummenigge muss man sehen: Der sitzt mit Rubiales im UEFA-Exekutivkomitee. Und der Rummenigge ist ein ganz loyaler Mann. Der ist anständig, durch und durch. Aber er mag nicht öffentlich den Eindruck erwecken, jemandem da was reinzudrücken», sagt Grindel. «Ich könnte mir vorstellen, dass er das heute anders formulieren würde. Aber ich sehe diese Äusserung mehr als einen Ausdruck von Loyalität gegenüber einem Kollegen, mit dem er zusammen an einem Tisch sitzt, als eine Verharmlosung der Sache selbst.»

DFB-Kapitänin Alexandra Popp glaubt, «dass einfach auf vielen Positionen noch Leute vertreten sind, die einfach noch kein zukunftsorientiertes Bild haben. Und da muss sich einfach einiges ändern.» Das habe man in dem Fall von «Hermoso extrem gesehen, sei es mit dem spanischen Verbandspräsidenten, sei es mit den Leuten, die nach seiner Rede auch noch für ihn applaudieren, sei es auch mit dem Statement unter anderem von Karl-Heinz Rummenigge».

dpa / mar