Vor zwei Jahren wurde Haris Seferovic von den Nati-Fans ausgepfiffen. Jetzt wurde der schon als Chancentod abgestempelte Stürmer als Schweizer Fussballer des Jahres geehrt. Die Geschichte eines Stehaufmännchens.
Es ist der 12. November 2017. Die Schweizer Nati spielt im kapitalen Spiel um die WM-Teilnahme zu Hause gegen Nordirland. Das Hinspiel der Barrage in Belfast hatte die Nati drei Tage zuvor mit 1:0 gewonnen, jetzt steht es nach 85 Minuten 0:0. Haris Seferovic wird ausgewechselt. Und das Publikum im Basler St. Jakob Park reagiert mit einem gellenden Pfeifkonzert. Die Fans sind sauer auf den Stürmer, weil er in jenem Spiel zwei hundertprozentige Chancen ausgelassen hatte.
Ohnehin trägt Seferovic in der Schweiz zu dieser Zeit den Übernamen «Chancentod», obwohl er mit seinen vier Toren und drei Assists in der WM-Quali massgeblichen Anteil daran hatte, dass die Schweiz es überhaupt in die Barrage und dann auch nach Russland schaffte. Seferovic ist nun mal nicht der Stürmertyp Knipser, sondern der, welcher die «Drecksarbeit» für die Kollegen verrichtet, eine grosse Laufbereitschaft an den Tag legt und Bälle in der Offensive festnagelt. Das scheinen die pfeifenden Nati-Fans an jenem Tag im November 2017 aber vergessen zu haben. Genauso wie sein Tor im Jahr 2009, das der Schweiz den U17-Weltmeistertitel bescherte.
Wie Seferovic auf die Pfiffe reagiert? Mit hämischem Applaus und einer Geste, die symbolisieren soll, dass er die Zuschauer selber auspfeift. Nach dem Spiel wirft Captain Stephan Lichtsteiner den Fans fehlenden Respekt vor. Und natürlich kommt die Frage auf, ob Seferovic jetzt überhaupt noch Bock hat auf die Nati. Zum Glück hat er das. Ein Rücktritt sei für ihn nie infrage gekommen, sagt der heute 27-Jährige ein paar Monate später.
Vom Chancentod zum Fussballer des Jahres
Trotzdem gehen die Anfeindungen der Fans nicht spurlos am Benfica-Stürmer vorbei. Bis zum Ende der Saison 2017/18 schiesst Seferovic nur noch ein einziges Tor. Für Vladimir Petkovic aber kein Grund, nicht weiter auf seinen Mittelstürmer Nummer eins zu setzen. Immer wieder schenkt der Nati-Trainer Seferovic das Vertrauen – und spätestens in der Nations League zahlt sich das dann auch aus. Fünf Tore erzielt er in den vier Spielen gegen Island und Belgien.
Das entscheidende Spiel gegen die Belgier um den Einzug ins Finalturnier geht fast auf den Tag ein Jahr nach den Piffen in Basel über die Bühne. Seferovic schiesst gegen ein Team gespickt mit Weltklasse-Spielern drei Tore und beweist damit auch dem letzten Nati-Fan, was er wirklich draufhat.
Das Belgien-Spiel ist für Seferovic wie ein endgültiger Befreiungsschlag. Nach dem Jahreswechsel explodiert er regelrecht, schiesst alleine in der portugiesischen Liga zwischen Januar und Mai 19 seiner 23 Saisontore und wird Torschützenkönig. Mit seinen Treffern führt er Benfica auch zum Meistertitel. Die grosse Ehre folgt jetzt: Am Montag wird Seferovic in Lausanne als Schweizer Fussballer des Jahres 2019 ausgezeichnet.
Anfeindungen der Benfica-Fans
Während Seferovic die Gunst der Fans in der Schweiz zurückerobert hat, weht ihm nun in Portugal ein rauer Wind entgegen. Nun sind es die Benfica-Anhänger, welche mit ihrem Stürmer nicht zufrieden sind. Nach seinem Tor in der Champions League gegen Leipzig vor drei Wochen provoziert Seferovic die Fans, in dem er sich den Zeigefinger vor den Mund hält. Es ist eine Reaktion für die Kritik an den 27-Jährigen, der bis zu diesem Zeitpunkt erst ein Saisontor auf dem Konto hatte. Die Benfica-Fans reagieren verärgert darauf und beleidigen ihren Spieler sogar in den sozialen Medien.
Doch Seferovic wird wissen, wie er damit umzugehen hat. Schliesslich ist es ja nicht das erste Mal, dass er seine Probleme mit den Fans hat. Als Stürmer weiss er genau, wie er die Wogen wieder glätten kann: mit Toren. Solche sind auch in den beiden anstehenden EM-Qualispielen der Schweiz gegen Dänemark (Samstag, 12. Oktober) und Irland (Dienstag, 15. Oktober) gefragt. Seit seinem Hattrick im November 2018 gegen Belgien hat Seferovic übrigens nicht mehr für die Nati getroffen. Die grosse Chance also fürs Stehaufmännchen, der Schweiz zu zeigen, warum er sich den Titel Fussballer des Jahres auch wirklich verdient hat.