Was das 1:1 in Italien wert ist, erfahren die Schweizer erst am Montag. Doch mit dem Resultat und der Leistung in Rom bestätigen sie sich als Team aus der erweiterten Weltspitze.
Komplimente vom Gegner sind immer schön. Und wenn dieser eine eigene Enttäuschung verarbeiten muss, dann sind sie umso wertvoller. Deshalb war es fast als Ritterschlag zu werten, als Italiens Nationalcoach Roberto Mancini nach dem Spiel sagte, sein Team sei «den Schweizern in der Anfangsphase ausgeliefert» gewesen. Die «Gazzetta dello Sport» schrieb am Samstag über diese Phase: «Murat Yakin und sein Team haben uns während 30 Minuten terrorisiert.»
Murat Yakin wie Köbi Kuhn
Mit dem zweiten Unentschieden gegen Italien innerhalb von etwas mehr als zwei Monaten hat Yakin als neuer Nationaltrainer schon einmal eine Marke gesetzt. Gegen den zweiten «Grossen» in der Gruppe einer Qualifikation ungeschlagen zu bleiben, hat seit Köbi Kuhn und der WM-Ausscheidung 2006 – damals spielte die Schweiz gegen Frankreich zweimal unentschieden – keiner mehr geschafft. Hitzfeld verlor zweimal gegen England (EM 2012), Petkovic ebenfalls zweimal gegen England (EM 2016) sowie je einmal gegen Portugal (WM 2018) und Dänemark (EM 2021).
Und doch sind das 0:0 in Basel und dieses 1:1 in Rom gegen Italien wenig wert, wenn die Schweiz am Montag im Fernduell mit dem Europameister doch den Kürzeren zieht, wenn sie das Handicap von zwei Treffern in der Tordifferenz nicht aufholen kann und im März die Playoffs bestreiten muss. Die zwei Punkte gegen Italien helfen der Schweiz allenfalls insofern, als dass sie deswegen zu den sechs besten Gruppenzweiten gehören könnte und daher in der ersten Playoff-Runde gesetzt wäre und Heimrecht geniessen würde.
Im Kontext der gesamten WM-Qualifikation könnten diese zwei Remis gegen Italien zu wenig sein. Doch isoliert betrachtet sind sie ein weiterer Beleg für das neue Standing dieser Schweizer Mannschaft. Sie hat der Reihe nach Weltmeister Frankreich, Spanien und Europameister Italien die Stirn geboten. In vier Duellen gegen dieses Trio ging sie nach regulärer Spielzeit nie als Verlierer vom Platz. Vier Monate nach dem ersten Viertelfinal-Vorstoss seit 67 Jahren hat sich die Schweiz als Teil der erweiterten Weltspitze bestätigt.
Auf was für einem guten Weg sich die SFV-Auswahl befindet, belegt nicht zuletzt die Entwicklung unter Yakin in der kurzen Zeit zwischen dem torlosen Hinspiel gegen Italien Anfang September und dem 1:1 im Rückspiel vom Freitag. In Basel hätten sie gut verteidigt, aber vor allem Glück gehabt, sagte Yakin. In Rom war die Schweiz mindestens eine halbe Stunde lang spielerisch besser als der Favorit – und dies ohne Captain Granit Xhaka, Nico Elvedi, Breel Embolo, Steven Zuber und Haris Seferovic. Dass Jorginho auch in Rom einen Penalty verschoss, war sicherlich erneut grosses Glück, «aber wir haben uns dieses Glück verdient», so Yakin.
Grosses Lob für Okafor und Vargas
Der Auftritt war umso erstaunlicher, zieht man die vielen Absenzen in Betracht. Er dokumentiert, dass das Kader eine beachtliche Breite aufweist. Mit Noah Okafor und Ruben Vargas gehörten zwei Spieler zu den Besten, welche nur durch die Ausfälle anderer ins Team rutschten. Da rieben sich selbst die italienischen Medien erstaunt die Augen. Die «Gazzetta dello Sport» sieht in Okafor eine «Nummer 9 mit besseren Perspektiven als die anderen.»
Als diese Anderen waren durchaus auch die in Italien immer wieder scharf kritisierten Mittelstürmer Ciro Immobile und Andrea Belotti gemeint. Und über Vargas schrieb die «Gazzetta dello Sport», er habe eine halbe Stunde lang «mit seinen Sprints und mit seiner Schnelligkeit an Garrincha erinnert». Es ist nun an den Schweizern am Montag gegen Bulgarien in Luzern mit einem hohen Sieg dafür zu sorgen, dass diese schön formulierten Sätze dank der direkten WM-Qualifikation nicht bloss ein Muster ohne Wert bleiben.