Artur Jorge wurde mit der Schweizer Nationalmannschaft, dem Schweizer Fussball und der Schweizer Öffentlichkeit nicht glücklich. Ein Rückblick auf eine Beziehung, die von Anfang an unter einem schlechten Stern stand.
Am 1. Januar 1996 brach eine neue Ära im Schweizer Fussball an. Der SFV installierte Artur Jorge als neuen Nati-Trainer. Damit zerschlug sich auch die Hoffnung vieler Fans, die lieber mit Roy Hodgson – der zuvor bei Inter Mailand unterschrieben hatte, aber mit einem Doppel-Mandat weitermachen wollte – an die EM im Sommer gehen wollten.
Kein Wunder, schliesslich hatte der Engländer in seiner Amtszeit aus besseren Freizeitkickern selbstbewusste Fussballer gemacht, wie die «Appenzeller Zeitung» schrieb. Nationalheld Hodgson führte die Landesauswahl innerhalb von zwei Jahren zweimal an Titelkämpfe (WM 94/EM 96) und war damit der erfolgreichste Nationaltrainer, den die kleine Schweiz bis dahin hatte.
Aus dem langen Schatten des erfolgreichen Vorgängers wollte ein 50-jähriger Portugiese treten, um das Werk von Hodgson weiterzuführen und zu vollenden: Artur Jorge.
Stiller Beobachter mit Meriten
Der Mann aus Porto hatte allen Grund dazu, optimistisch zu sein. Jorge (Aussprache: Schorsch), der als Spieler ein gefürchteter Stürmer (unter anderem bei Benfica Lissabon zweimal Torschützenkönig) war, feierte als Trainer beachtliche Erfolge, die oft auf einer geordneten Defensive fussten. Mit Porto gewann er den Europapokal der Landesmeister (1987) sowie vier Meistertitel.
Die Fans waren stolz auf ihren «King Artur», der danach auch für zwei Jahre Nationaltrainer Portugals (im Nebenamt) wurde. Mit Paris St. Germain wurde er 1994 Meister und Cupsieger. Kurzum: Sein Leistungsausweis war immens – zumindest auf dem Papier (viel) zu gross für die Nati.
Doch der feinsinnige Doktor der Philosophie und Germanistik wagte das Abenteuer im Land, das erstmals Morgenluft im lange brach liegenden Fussball witterte. Jorge, der neben portugiesisch, englisch, französisch, spanisch, italienisch auch fliessend Deutsch sprach, war ein Intellektueller und interessierte sich für klassische Musik, Malerei, Literatur.
So weltmännisch seine Gedanken und seine Haltung waren, vom Charakter her war der Nordportugiese mit dem eindrücklichen Walross-Schnauzer im Gesicht ein äussert bescheidener Zeitgenosse. «Ich bin ein ruhiger, besonnener Mensch und wohl kein idealer Kommunikator. Ich beobachte erst und mache mir meine eigenen Gedanken, bevor ihr rede», so seine Selbstanalyse zum Einstand.
«Man hört ihn nie!»
Riskanter Entscheid fällt ihm vor die Füsse
Während die Schweiz die Art des knorrigen Hodgson je länger je mehr liebgewann, fiel es dem introvertierten Artur Jorge schwer, die Herzen der Bürger hierzulande zu erwärmen. Die Ausbootung von den langjährigen Teamstützen Alain Sutter und Adrian Knup, die für die EM-Kampagne nicht berücksichtigt wurden, missfiel der Bevölkerung gründlich.
Der gewiefte Taktiker war sich nicht gewohnt, sportliche Entscheide öffentlich zu erläutern. Ein wenig Fingerspitzengefühl – die beiden Routiniers wurden im letzte EM-Vorbereitungscamp nach drei respektive zwei Trainings von Jorge mit einer 30-sekündigen Erklärung abgespeist – wäre trotzdem nicht zu viel verlangt gewesen.
So sorgte er nur elf Tage vor dem EM-Start für unnötige Unruhe in der Mannschaft, die Medienschar stellte sich gegen ihn. Der «Blick» schrieb nach dem Aus für Sutter und Knup empört: «Jetzt spinnt er!». Auch in den Kommentarspalten des Landes schoss man sich auf Jorge ein, der wie ein Fremdkörper die zuvor heile hiesige Fussballwelt aus dem Gleichgewicht brachte.
Dass es der Nordportugiese wagte, vom zuvor so erfolgreichen 4-4-2-System abzurücken, um mehr von seinem Flair für Kurzpassspiel und konventioneller Defensivstrategie reinzubringen, war ein Sakrileg.
Fragwürdiger Umgang nach der Ära Roy Hodgson
Die EM wurde – wen wundert's – mit nur einem Punkt aus drei Gruppen-Spielen zu einer Enttäuschung. Während unter Hodgson lange pure Euphorie zu spüren war, herrschte nun bei allen Beteiligten Tristesse. Artur Jorge verstand nie, wieso sich die Kritiker derart auf ihn einschossen. Bereits nach wenigen Wochen erhielt er den wenig schmeichelhaften Übernamen: der «grosse Schweiger».
Mit der mangelnden Kommunikation seiner (sportlich umstrittenen) Entscheide tat Artur Jorge sich sicher keinen Gefallen. Ehrlicherweise muss man sagen: Der eigenwillige Fussball-Lehrer hatte wohl nie eine reelle Chance, in einer normalen Atmosphäre arbeiten zu können. Die Flucht in sein Heimatland nach sieben Monaten Arbeitszeit war eine Erlösung für alle Seiten. Er war der falsche Mann zur falschen Zeit.
«Jorge hat in einem halben Jahr in der Schweiz viel kaputt gemacht.»
Bemerkung: Artikel mit Material von Keystone-SDA angereichert
Die Trainer der Schweizer Nationalmannschaft seit 1981
- Murat Yakin (SUI/TUR) / 2021 - ?
- Vladimir Petkovic (SUI/CRO/BIH) 2014 – 2021 / 78 Spiele / 1,79 Punkte im Schnitt
- Ottmar Hitzfeld (GER) 2008 – 2014 / 61 Spiele / 1,77
- Jakob Kuhn (SUI) 2001 – 2008 / 73 Spiele / 1,56
- Enzo Trossero (ARG) 2000 – 2001 / 10 Spiele / 1,20
- Hanspeter Zaugg (SUI) 2000 (interimistisch) / 4 Spiele / 1,25
- Gilbert Gress (FRA) 1998 – 1999 / 18 Spiele / 1,33
- Rolf Fringer (SUI/AUT) 1996 – 1997 / 11 Spiele / 1,18
- Artur Jorge (POR) 1996 / 7 Spiele / 0,71
- Roy Hodgson (ENG) 1992 – 1995 / 41 Spiele / 1,78
- Uli Stielike (GER) 1989 – 1991 / 26 Spiele / 1,65
- Paul Wolfisberg (SUI) 1989 (interimistisch/mit Stielike) / 1 Spiel / 0
- Daniel Jeandupeux (SUI) 1986 – 1989 / 28 Spiele / 1,14
- Paul Wolfisberg (SUI) 1981 – 1985 / 51 Spiele / 1,39