Nati-Direktor Pierluigi Tami Tami: «Der letzte Schritt ist immer auch der schwierigste»

sda

24.3.2022 - 11:00

Nati-Direktor Pierluigi Tami verfolgt in diesem Jahr hohe Ziele.
Nati-Direktor Pierluigi Tami verfolgt in diesem Jahr hohe Ziele.
Bild: Keystone

Während des Trainingscamps des Nationalteams geniesst Pierluigi Tami Heimvorteil. Der Nati-Direktor besitzt in Marbella ein Haus und kennt das Trainingsgelände von Camps aus seiner Zeit als Trainer.

Während Nationalcoach Murat Yakin draussen mit der Auswahl trainiert, spricht der 60-jährige Tami im Café des Clubhouses auf dem Gelände des «Marbella Football Center» mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über die hohen Ziele im angelaufenen WM-Jahr und die gute Entwicklung der Mannschaft unter Murat Yakin. Tami hebt aber auch den Mahnfinger, wenn er über die Situation bei den Junioren-Auswahlen spricht.

Herr Tami, wir stehen am Anfang eines intensiven Fussball-Jahres mit Nations League und vor allem mit der WM-Endrunde im Spätherbst in Katar. Was muss passieren, damit Sie Ende 2022 von einem guten Jahr sprechen?

«Unsere Ambitionen werden immer grösser. Deshalb probieren wir, in der Nations League das Finalturnier zu erreichen und an der WM das Resultat der letzten EM zu wiederholen. In einzelnen Spielen ist man aber immer auch abhängig von Glück und Pech. Man schiesst an den Pfosten statt ins Tor. Als Direktor der Nationalmannschaft fokussiere ich mich auch auf die Leistung an sich und auf die mittelfristigen Tendenzen. Deshalb sage ich: Ein Erfolg wäre es auch, wenn wir unseren Platz unter den besten 16 des FIFA-Rankings bestätigen könnten.»

Um die Ziele zu erreichen, das Finalturnier in der Nations League und den WM-Viertelfinal, müssen Erfolge wie an der EM gegen Weltmeister Frankreich zur Regel werden.

«Wir haben in den letzten zwei Jahren gegen Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien fast nie verloren, aber eben auch nie gewonnen (der Sieg gegen Frankreich kam im Penaltyschiessen zustande – Red.). Es ist für uns der nächste und vielleicht auch letzte Schritt, dies zu schaffen und dann sogar noch regelmässig. Aber der letzte Schritt ist immer auch der schwierigste.»

Ist er für die Schweiz mit ihren beschränkten personellen Ressourcen überhaupt möglich?

«Wir haben ein Motto: Das Team macht den Erfolg. Wir müssen als Team stark sein, um grosse Erfolge zu feiern. Das ist unser Weg, denn wir verfügen nicht über die individuelle Klasse der grossen Länder. Aber wir befinden uns in einem fortwährenden Entwicklungsprozess und zu diesem gehören nicht nur eine klare Spielidee, sondern auch die grosse internationale Erfahrung vieler unserer Spieler. Sie haben deshalb viel Selbstvertrauen – und dürfen daher hohe Ziele verfolgen.»

Ist die Mannschaft nach einem halben Jahr mit Murat Yakin weiter als im letzten Sommer nach der EM?

«Murat hat an den richtigen Schrauben gedreht. Das System hatte er nach nur zwei Spielen gewechselt, ohne die Art zu ändern, wie wir Fussball spielen wollen. Wir sind weiterhin eine initiative Mannschaft, haben uns aber defensiv verbessert. Wir haben unter Murat kaum Tore kassiert (2 Gegentore in 7 Spielen – Red.) und nur wenige Chancen zugelassen.»

Ist eine weitere Entwicklung bald gefährdet, weil das Gerüst der Mannschaft in die Jahre kommt. Yann Sommer wird an der WM 34 Jahre alt. Die Generation um Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri ist 30 oder wird es in diesem Jahr. Steht nach der WM ein Umbruch an?

«An solche Dinge denkt man immer, klar. Aber wir haben im letzten Herbst gute Signale bekommen. In der wichtigsten Phase der WM-Qualifikation haben sehr viele wichtige Spieler gefehlt. Doch dann haben ein Ruben Vargas, ein Noah Okafor oder ein Kastriot Imeri ihre Chance gekriegt und sie genutzt.»

Wie gross ist der Anteil von Murat Yakin an der schnellen Integration solcher Spieler?

«Murat hat das gut moderiert. Er hat nie über die Abwesenden gesprochen. Er hat sich nie darüber beklagt, dass ihm wichtige Spieler fehlen. Damit hat er indirekt die Spieler stark geredet, welche ihm zur Verfügung standen. Er hat sie motiviert, aber nicht unter Druck gesetzt.»

Kommuniziert Yakin tatsächlich besser als sein Vorgänger Vladimir Petkovic? Auch intern?

«Vlado war im Umgang mit den Spielern sicher konservativer. Die Rollen waren klar geregelt. Murat ist jünger, er ist in einem anderen Modus, er ist sehr offen. Vlado ist eher zurückhaltend und sagt nicht immer, was er denkt. Aber die Mannschaft war auch mit Vlado sehr kompakt. Die Stimmung war gut. Deshalb will ich die beiden unterschiedlichen Führungsstile auch nicht werten. Letztlich zählt für mich, dass beide, Vlado und Murat, sehr kompetent sind und gute Resultate abgeliefert haben.»

Zurück zum Umbruch, der unumgänglich wird.

«Da muss ich etwas ausholen.»

Ja, bitte.

«Die A-Nationalmannschaft ist sehr wichtig, sie ist unsere Lokomotive. Doch die U21 repräsentiert den Schweizer Fussball besser. Im Team von Yakin sind 80 bis 90 Prozent der Spieler im Ausland engagiert, während die U21 eine Auswahl der Super League ist. Deshalb ist es wichtig, dass sie letztes Jahr an der EM teilgenommen hat und dieses Jahr wieder gut platziert ist in der Qualifikation. Aber wir müssen noch weiter nach unten schauen. Für die Nachhaltigkeit brauchen wir auch starke Auswahlen auf der Stufe U17 bis U19. Und hier haben wir Probleme. Die U19 ist im Moment die Nummer 32 in Europa. Wenn die UEFA ihre Pläne umsetzt und auf Juniorenstufe eine Nations League einführt, würde unsere U19 in die Liga C eingeteilt.»

Mit welchen Folgen?

«Ihr fehlten dann die Vergleiche mit den Besten. Wir müssen alles daran setzen, dass es unsere U17 und U19 wieder an EM-Endrunden schaffen. Dort können die Spieler am meisten lernen und die grössten Fortschritte erzielen. Fällt das weg, gibt es früher oder später auch Probleme an der Spitze der Pyramide. Dann wird ein Umbruch schwierig. Vielleicht nicht der nächste, aber womöglich der übernächste.»

sda